Serie über Karl Lagerfeld

Es ist nicht die Perücke, es ist Paris

Designer Karl Lagerfeld war ein teutonischer Workaholic, aber auch ein Alien in der eigenen Branche. Eine neue Serie bei Disney+ zeichnet nun ein weiches, komplexes Bild der Mode-Ikone

Wem bei Karl Lagerfeld nur Brille, Zopf und salvenartige Bonmots mit deutschem Akzent einfallen, hat etwas verpasst. Eine Mini-Serie auf Disney+ zeichnet jetzt ein viel weicheres, komplexeres Bild. Lagerfeld, gespielt von Daniel Brühl, verliert zwar nie die Fassung. Aber wenn er sein Korsett anlegt, um seine Figur zu kaschieren, wenn ihm seine Mutter ein Törtchen "zum 40., Söhnchen" schenkt, während alle glauben sollen, er werde 35, und wenn sein Geliebter ihm immer wieder entwischt, dann umweht den preußischen Workaholic eine Tragik, die auch eine große dunkle Brille mit Farbverlauf nicht ganz verbergen kann.

Dabei scheint Daniel Brühl auf den ersten Blick gar keine schlüssige Besetzung zu sein: zu freundlich, zu wenig kantig. Doch er hat Lagerfeld ganz genau studiert und verblüffend umgesetzt. Die verhalten zackigen Kinnbewegungen, das formvollendete Herumstehen bei nur notdürftig unterdrücktem Vorwärtsdrang, das leichte Lispeln und das bestimmte "hm?" am Ende einer Feststellung. Wer je Lagerfeld ohne Brille sah, entdeckte fast schon erschreckend warmherzige braune Augen. Auch die haben beide Männer gemeinsam.

Die eigentliche Sensation ist aber Jacques de Bascher (dargestellt von Théodore Pellerin): 18 Jahre jünger als Karl, schlank wie eine Modezeichnung und mit einem tiefen, kindlichen Blick, der ohne Wimpernschlag von flirty zu melancholisch wechselt. Und von Karl zu Yves. Die Designer Saint Laurent und Lagerfeld waren, so erzählt es die Serie, freundschaftliche Rivalen, doch als Lagerfelds Gefährte Jacques de Bascher eine Affäre mit Yves Saint Laurent beginnt, wird es kompliziert und gefährlich. Das höllische Eifersuchtsdreieck speist sich aus dem Sex, den Karl seinem Geliebten nicht gewährt, und aus der Anerkennung, die Karl nicht zugestanden wird. Yves ist das Genie, während Karl der "Söldner des Prêt-à-porter" bleibt; oder einfach "der Teutone". Aber er hat Jacques, den alle wollen. Sogar Andy Warhol.

Die Hosenbeine weit, die Hüften schmal

Die 1970er-Jahre in Paris sind visuell großartig inszeniert. Die Hosenbeine weit, die Hüften schmal, die Seidenhemden aufgeknöpft, die Schluppenblusen im Stroboskoplicht schimmernd. Es gibt Drinks und Drogen, und zeitweise scheinen Yves Saint Laurents Partner und Geschäftsführer Pierre Bergé und Karl Lagerfeld die einzigen klar denkenden Individuen in einem Zirkus kichernder Hedonisten zu sein. Natürlich denken sie professionell und feindlich übereinander.

Doch es ist nicht dieser Konkurrenzkampf, sondern allein der Kampf eines bis zum Wahnsinn ehrgeizigen, fleißigen Könners gegen sich selbst, den man gebannt verfolgt. Dessen Großzügigkeit und Loyalität sind grenzenlos, doch er fühlt eine "Wand aus Glas" um sich herum, wie Karl Lagerfeld tatsächlich einmal von sich sagte, die der Zuneigung physische Grenzen setzt.

Einmal ist Karl nach einem Streit mit zuerst Jacques und dann seiner "Mutti" bei Yves Saint Laurent zur Andy-Warhol-Soirée eingeladen. Die Kamera von oben folgt ihm durch die Räume, durch die Menschenmenge, die keine Notiz von ihm nimmt. Er gleitet hindurch, man weicht ihm nicht einmal aus. 

Der am wenigsten deutsche berühmte Deutsche

Vor den vier Porträts, die Warhol von Yves gemacht hat, bleibt er stehen, und Warhol kommt zu ihm. "In Paris fühle ich mich jedesmal, als würde ich ihre Party crashen", sagt Warhol. "Auch wenn sie zu meinen Ehren ist." Zwei Aliens, die auf derselben Frequenz funken. Ob es wohl an seiner Perücke liege? "Es ist nicht die Perücke, es ist Paris" erwidert Karl. "Eine andauernde Lektion in Demütigung."

Was ob der ganzen Isolation ein bisschen zu kurz kommt, ist die intellektuelle Maschine, die Karl Lagerfeld auch war, witzig und schnell. Einer der am wenigsten deutsche berühmte Deutsche. Aber die wird hoffentlich in einer zweiten Staffel in den 1980er-Jahren (Chanel!) aufblitzen, hm?