Wie zuerst die "Süddeutsche Zeitung" berichtete, hat der indische Autor und Kurator Ranjit Hoskoté 2019 seinen Namen unter eine Petition gesetzt, die sich gegen eine damals geplante Veranstaltung des israelischen Generalkonsulats an der Universität Mumbai richtet. Diese sollte sich mit der Verbindung von Zionismus und Hindu-Nationalismus (Hindutva) beschäftigen. Dort sollte auch ein Vertreter der indischen Partei Bharatiya Janata Party auftreten, die von rechtskonservativ bis rechtsextrem bewertet wird und die Position vertritt, Indien solle ausschließlich ein Land der Hindus sein.
Die Petition mit dem Verweis "BDS India" wendet sich gegen diese Hindutva-Ideologie, enthält jedoch auch antisemtische Zuschreibungen gegenüber Israel: "Zionismus ist eine rassistische Ideologie, die einen siedlerkolonialistischen Apartheidstaat verlangt, in dem Nichtjuden nicht die gleichen Rechte haben und der in der Praxis, auf der ethnischen Säuberung von Palästinensern in den letzten sieben Dekaden besteht." Weiter heißt es: "Was bedeutet das für Indien und die Inder? Diese Beziehungen sind eine Verwirklichung des 'Brand Israel'-Projekts, der umfassenden Strategie des Apartheidstaates, seine Besatzung, Apartheid und den Siedlerkolonialismus gegen das palästinensische Volk mit 'wachsenden Partnerschaften' in der ganzen Welt zu beschönigen." Am Ende steht die Forderung, den indischen Kampf "für Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit" mit dem der Palästinenser zu vereinen und Israel zu boykottieren.
Die Unterstützung einer BDS-nahen-Petition durch Ranjit Hoskoté ist deshalb besonders brisant, weil die Debatte um Antisemitismus bereits die Documenta Fifteen beherrschte. BDS steht für die anti-israelische Kampagne "Boycott, Divest, Sanction", die unter anderem einen kulturellen Boykott Israels fordert und in Deutschland vom Bundestag als antisemitisch eingestuft wurde. In anderen Ländern wird die Initiative unterschiedlich bewertet, außerdem gibt es keine festen Kategorien von Mitgliedschaft. Bereits vor Beginn der Documenta Fifteen wurde dem indonesischen Kuratoren-Kollektiv Ruangrupa und anderen Teilnehmern BDS-Nähe vorgeworfen. Auf der Ausstellung wurde dann ein Banner der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi wegen antisemtischer Motiver abgehängt. Außerdem gab es Kontroversen um ein gezeigtes Archiv pro-palästinensischer Filme, die teils als antisemitisch eingestuft wurden.
Prämisse: Keine BDS-Nähe in der Findungskommission
Die Aufarbeitung des Antisemitismus-Skandals seitens der Documenta betraf auch die Zusammenstellung der Findungskommission. Diese stand unter der Prämisse der Gesellschafter, keine BDS-Nähe zuzulassen - was von einigen Stimmen aus der Kunstwelt als politische Einmischung bewertet wurde. Neben Ranjit Hoskoté besteht das Gremium aus der israelischen Künstlerin und Psychoanalytikerin Bracha Lichtenberg Ettinger, der Kuratorin Gong Yan, dem Schweizer Autor und Kunstkritiker Simon Njami, der Wiener Kuratorin Kathrin Rhomberg und der brasilianischen Ausstellungsmacherin María Inés Rodríguez. Die Gruppe wurde von den noch lebenden künstlerischen Leiterinnen und Leitern der vorherigen Documenta-Ausgaben bestimmt - nur Ruangrupa und Rudi Fuchs waren nicht dabei.
In einem Statement teilte die Documenta und Fridericianum GmbH am heutigen Freitag mit, Hoskotés Unterschrift sei ihr bis zum "SZ"-Artikel nicht bekannt gewesen. Geschäftsführer Andreas Hoffmann sagte, der Aufruf sei "aufgrund seiner explizit antisemitischen Inhalte nicht im Ansatz akzeptabel". Alle sechs Mitglieder der Findungskommission hätten sich "vor Aufnahme der Arbeit der Kommission eindeutig gegenüber der Documenta und Museum Fridericianum gGmbH erklärt und von der BDS-Bewegung explizit distanziert."
Gegenüber der Documenta hatte Ranjit Hoskoté laut des Statements betont, sich mit der Petition von 2019 "insbesondere gegen den Hindutva-Extremismus, der erklärtermaßen von Nazismus und Faschismus inspiriert sei, gestellt habe". Er habe sein Leben "der Ablehnung autoritärer Ideologien" gewidmet. Weiter heißt es: "Unterdessen habe er sich öffentlich und deutlich gegen jeden kulturellen Boykott Israels ausgesprochen. Er lehne die Ziele der BDS-Bewegung ab und unterstütze die Bewegung nicht. Insbesondere nach dem 7. Oktober 2023, dem Hamas-Terror in Israel und seinen Folgen, seien seine Gedanken sowohl beim jüdischen als auch beim palästinensischen Volk, bei der leidenden Zivilbevölkerung in Israel und Palästina."
"Über weitergehende Fragestellungen ins Gespräch gehen"
Auf Monopol-Anfrage äußerte sich Hoskoté in einem weiteren Statement. "Ich bin zutiefst betroffen von der indirekten Anschuldigung, ich sei 'antisemitisch'", heißt es darin. "Der hier eingenommene Standpunkt ist aus einer engen eurozentrischen Position heraus formuliert: Wird doch uns im globalen Süden geradezu herablassend geraten, uns besser mit der deutschen Situation vertraut zu machen. Dabei wir verkannt, wie dominant nazifaschistische Doktrin und Praxis heute in Indien sind. Deshalb ist die historische Erfahrung von 1933–1945 für diejenigen unter uns, die sich dem Wiederaufleben der nazifaschistischen Kräfte widersetzen, so real."
In Bezug auf den "SZ"-Artikel sagt der Kulturtheoretiker und Schriftsteller: "Es sollte anerkannt werden, dass ich nicht nur 'gerne jüdische Autoren' lese. Meine Verbindung zur Geschichte des Judentums ist durch meinen frühen Mentor, den großen indischen Dichter und Kunstkritiker Nissim Ezekiel, stark, tief und lebenslang. Aber warum sollten solche Details für jemanden von Bedeutung sein, der keine Kenntnis von den historischen Verbindungen zwischen der Levante und Indien hat, die über zweitausend Jahre andauern? Wir brauchen keine Belehrung in dieser Angelegenheit. Drei verschiedene jüdische Gemeinschaften – die Bene Israel, die Cochini-Juden und die Baghdadi-Juden – haben in Indien viele Jahrhunderte lang in Frieden gelebt und prosperiert."
Hoskoté kuratierte unter anderem mit dem ehemaligen Documenta-Leiter Okwui Enwezor die Gwangju Biennale 2008 und den ersten indischen Pavillon auf der Biennale in Venedig 2011. Documenta-Geschäftsführer Hoffmann kündigte an, mit dem Mitglied der Findungskommission "über weitergehende Fragestellungen" ins Gespräch zu gehen. "Die Aufarbeitung der antisemitischen Verfehlungen auf der Documenta 15 ist für uns ein sehr ernstes Anliegen."
Am Freitagabend äußerte sich auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne): Die von Hoskoté unterzeichnete Erklärung sei "ganz klar antisemitisch und strotzt vor israelfeindlichen Verschwörungstheorien", teilte sie mit. Sie droht der Documenta außerdem ökonomische Konsequenzen an. "Eine finanzielle Beteiligung des Bundes wird es für die nächste Documenta nur geben, wenn es einen gemeinsamen Plan und sichtbare Reformschritte hin zu klaren Verantwortlichkeiten, einer echten Mitwirkungsmöglichkeit für den Bund und Standards zur Verhinderung von Antisemitismus und Diskriminierung gibt. Ich sehe hier noch keine Grundlage erreicht."