"Denker im Dienst" und "Künstler ohne Werk" - das ist Bazon Brock, so wie er sich selber sieht. Der emeritierte Wuppertaler Ästhetik-Professor ist aber vor allem eines: ein wortgewaltiger Philosoph im Kunstbetrieb. Am 2. Juni wird der Kunsttheoretiker 85 Jahre alt - doch ans Ausruhen denkt der agile und streitbare Brock überhaupt nicht. "Alte Leute sind gefährlich, ihnen ist die Zukunft völlig egal", warnt er im Interview der Deutschen Presse-Agentur.
Brocks Grundhaltung ist der Optimismus. Den Beweis führt er so: "Die Pessimisten sagen: Schlimmer kann es nicht kommen. Der Optimist sagt: Bleiben Sie Optimist, es kann immer noch schlimmer kommen." Übrigens sei er mit 85 genauso in der Lage zu arbeiten wie vor 30, 40 oder 50 Jahren. Das einzige, was er nicht mehr so gut könne: nach vielen Etagen Treppen steigen werde sein rechtes Knie lahm.
Ist Brock also ein alter weißer Mann? "Man darf sich den Zuschreibungen nicht unterwerfen", sagt er. So sei etwa der Aufklärungsphilosoph Immanuel Kant vom Rektor der Königsberger Universität schon zu seinem 50. Geburtstag als "verehrter Greis" angesprochen worden. Damals, also etwa 1774, habe man sich das noch gefallen lassen. "Heute muss man strikt gegen diese diskriminierenden Unterscheidungen antreten", fordert Brock.
"Besserer Feminist oder auch Antikolonialist als die Betroffenen"
Auch wenn er heute als "Vertreter der alten weißen Männer" gesehen werde, sagt der Denker mit dem schlohweißen Haar, nehme er es mit Jedem öffentlich auf. Er sei ein "besserer Feminist oder auch Antikolonialist als die Betroffenen", denn er habe keine Interessen - "weil ich kein Kolonialist bin und auch nichts besitze." Er besitze weder Haus noch Wohnung, sagt Brock. In Berlin und in Wuppertal wohne er zur Miete. "Aber ich habe dafür gesorgt, dass ich weiter aktiv sein kann." So ungefähr verläuft eine Argumentation Brocks, der sich auf seiner Website auch als "Messias einer Erlösung vom Konsumzwang" bezeichnet.
Der Vorname Bazon ist übrigens ein Pseudonym des 1936 im pommerschen Stolp geborenen Jürgen Johannes Hermann Brock. Sein Lateinlehrer hatte ihm den aus dem Griechischen stammenden Spitznamen "Schwätzer" verpasst. Er studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie - unter anderem bei Theodor Adorno in Frankfurt. In den 1960er und 70er Jahren gehörte Brock zu den wichtigsten Kunstvermittlern. Er veranstaltete Happenings mit Joseph Beuys, dem er vorwirft, sich für die Politik entschieden zu haben, anstatt "einer der größten Künstler aller Zeiten" zu sein. "Er hat die Kunst verraten gegenüber der Kultur."
Brock hielt, als er jünger war, auf dem Kopf stehend Vorträge und warf seine Schuhe in den Ätna. Seit 1968 brachte er mit seinen "Besucherschulen" auf der Kasseler Documenta den Menschen Kunst nahe. Als Brock 2016 den Von der Heydt-Preis der Stadt Wuppertal erhielt, erklärte das Kuratorium treffend: "Sein Kunstbegriff kennt weder den Heiligenschein des hehren Werkes noch die Anbetung vermeintlicher Genies."
Ausruhen will Brock sich nicht
Nach Stationen in Berlin und Wien übernahm Brock 1991 die Professur für Ästhetik und Kulturvermittlung an der Universität in Wuppertal, bis er 2001 emeritiert wurde. Schon mit 29 Jahren bekam der gelernte Dramaturg und Doktor der Philosophie eine Ästhetik-Professur in Hamburg. Mit Peter Sloterdijk organisierte Brock "Profi-Bürgerbewegungen" in Karlsruhe, um den Bürger als Wähler, Patienten oder Konsumenten zu "professionalisieren".
Brock ist auch ein begeisterter Gründer: Er gründete etwa das "Institut für Rumorologie/Gerüchteverbreitung", das "Labor für Universalpoesie und Prognostik", das "Pathosinstitut Anderer Zustand" und die "Prophetenschule". 2011 bekam seine Denkschule einen realen Ort: Die "Denkerei" in Berlin, auch "Amt für Arbeit an unlösbaren Problemen" genannt. 2019 musste die "Denkerei" schließen und tourt seitdem an verschiedenen Orten durch die Hauptstadt. In Kürze hofft Brock darauf, einen neuen Laden in Kreuzberg zu finden.
Probleme sind für Brock nur dann welche, wenn sie unlösbar sind. Das entscheidende unlösbare Problem sei der Tod. Man müsse also die "Kunst zu sterben" lernen. "Das heißt, so zu leben, dass das Heute das Gestern von morgen ist." Die Erfahrung als Kriegskind, die Flucht vor der Roten Armee, Entbehrungen und Bombardements haben Brocks Denken geprägt. "Ich habe den Triumph des Gegenteils der Außerordentlichkeit, des Gegenteils von Einmaligkeit und menschlicher Größe gesehen", sagt er. "Ich habe deshalb mein ganzes Lebens den Hymnus auf die Normalität gesungen." Ausruhen will Brock sich jedenfalls nicht. "Es gilt jetzt, stärker zu wirken als je zuvor." Entscheidend sei die Fähigkeit standzuhalten, Rückgrat zu beweisen, sich nicht kaufen und nicht einschüchtern zu lassen. In haltloser Zeit gibt es nur Haltung."