Glaubt man einem spätromantischen Frühlingslied von 1841, dann ist der Mai gekommen und die Bäume schlagen aus. Außer natürlich, es gab gerade den wärmsten Februar und März seit Beginn der Wetteraufzeichnungen und Anfang April war es fast 30 Grad heiß. Dann sind die allermeisten deutschen Bäume im Mai längst ausgeschlagen und stehen in fast frühsommerlichem Laubkleid. Das ist grün, das ist hübsch, aber nicht normal. Und wenn man kurz die Freude über den verfrühten Frühling beiseiteschiebt, ist es eine Erinnerung daran, wie sehr der Klimawandel die Natur aus dem Takt bringt. Dass Städte durch Hitzestau, Schädlinge und die Trockenheit der letzten Jahre ein besonderes Baumproblem haben, ist bekannt. Im aktuellsten Zustandsbericht der Berliner Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt von 2020 werden nur noch 44 Prozent der Metropolen-Bäume als "nicht geschädigt" eingeordnet. Seitdem dürfte sich die sowieso schon dramatische Lage eher noch verschärft haben.
Insofern ist jedes Gewächs, dass sein Plätzchen in einer urbanen Umgebung findet und dann auch noch gepflegt wird, ein Gewinn. Und wenn bei großen Museen das grüne Gewissen erwacht und sie sich an der "Stadtverwaldung" beteiligen wollen: umso besser. Dass dabei aber teilweise mehr Rhetorik als gärtnerischer Wille im Spiel ist, zeigt die Baumschule am Berliner Kulturforum, die in dieser Woche mit einer Pressekonferenz für komplettiert erklärt wurde.
Das Projekt ist eine Kooperation der dort ansässigen Kirchengemeinde St. Matthäus und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Die künstlerische Leitung hat Klaus Biesenbach, Direktor der Neuen Nationalgalerie. In der offiziellen Kommunikation ist stets von einer "grünen Oase" aus 200 Bäumen die Rede, die "zu einer Belebung, Aufwertung und Entwicklung des öffentlichen Raumes am Kulturforum" beitragen soll. Zu verbessern gibt es dort zweifelsfrei einiges, schließlich ist das Gelände eine fast vollständig schattenlose Pflasterfläche, der jegliche Belebung nur gut tun kann.
Daneben klafft die riesige Baugrube
Aus ökologischer Sicht ist die Fallhöhe zwischen Anspruch und Wirklichkeit jedoch ziemlich groß. Denn bei einer Baumschule handelt es sich der Definition nach um kleine Bäumchen in Töpfen, die später irgendwo eingepflanzt werden sollen. Und auch rund um das Kulturforum entpuppen sich die "grünen Inseln aus jungen Baumhainen" als Ansammlung von bepflanzten Kunststoffcontainern auf Steinboden.
Genau daneben klafft derweil die riesige Baugrube für das neue Museum Berlin Modern, das immer wieder wegen seiner miserablen Klimabilanz kritisiert wurde (die soll nun besser werden, ein Ressourcenfresser ist das Megaprojekt mit Baukosten um die 600 Millionen Euro trotzdem). Kleine Setzlinge gegen große Glas- und Betonpläne also. Den Themen, die man durch die Baumcluster laut Mitteilung behandeln will - "die Herausforderungen des Klimawandels, Stadtgrün, eine entsiegelte Schwammstadt" - wird man so jedenfalls noch nicht gerecht.
Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz steht unter Spardruck. Gerade wurde bekannt, dass aus Kostengründen die Öffnungszeiten einiger Berliner Häuser reduziert werden. Und so wirkt auch die Baumschule wie die kleinstmögliche, ein bisschen verdruckste Maßnahme, um das Thema Ökologie auf die Agenda zu setzen. Natürlich sind 200 Bäume in Töpfen besser als keine Bäume. Sie können aber lediglich ein bescheidener Anfang sein. Bis zur selbst formulierten Vision, das Museumsareal mit dem nahen Tiergarten zu verbinden, gibt es noch einiges zu tun.
Warum nicht wieder 7000 Eichen?
Bis zur Eröffnung des Berlin Modern kann man sich also nur ambitioniertere Projekte wünschen. Warum kein klimaangepasstes Pflanzprojekt nach dem Vorbild von Beuys' "7000 Eichen" in Kassel (die Bäume prägen das Stadtbild noch heute)? Warum - wenn es den unbedingt gebaut werden muss - keine entsiegelte Ausgleichsfläche für das Berlin Modern irgendwo anders, die als Naturkunstort bespielt wird? Warum keine wirkliche Entpflasterung rund um die Gemäldegalerie?
Gerade ist in Berlin erstmals der Beirat für Green Culture zusammengekommen, der Kunsthäuser bei der Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit beraten soll. Expertise, wie man auch in der Stadt wirkliche grüne Oasen schafft, gibt es inzwischen genug. Es wäre also sicher möglich, zwischen der Büroturmwüste am Potsdamer Platz und der Betonbrache am Kulturforum ein wenig größer zu denken. Wie heißt es weiter im Mai-Lied von 1841: "Wie die Wolken dort wandern am himmlischen Zelt, so steht auch mir der Sinn in die weite, weite Welt."