Basquiat-Comic

Das Leben, ein Delirium

Der Comic "Basquiat" erzählt das Leben des New Yorker Malers als Fiebertraum, von der Kindheit in Brooklyn bis zum Aufstieg zum Kunststar. Dabei kommt das Buch dem Künstler näher als eine buchstabengetreue Künstlerbiografie

Der Anfang des "Basquiat"-Comics nimmt das Ende vorweg: Wie Spinnenbeine krallen sich seine Rastalocken ins Kissen, im bläulichen Dämmer liegt der junge Mann gekrümmt im Bett. Pinsel, Zigaretten und ein Spritzbesteck um ihn herum. Jean-Michel Basquiat starb am 12. August 1988 an einer Überdosis Heroin. Julian Voloj (Szenario) und Søren Mosdal (Zeichnungen) imaginieren sich eine Begegnung des siechen Künstlers mit seinem Schatten: Basquiat hat diese dämonische, wie aus afrikanischem Ebenholz geschnitzte Figur selbst gemalt. Im Comic kriecht sie aus dem Fernseher des Sterbezimmers, begleitet Basquiat auf einer letzten Erinnerungsreise von der Kindheit in Brooklyn bis zum Aufstieg und Fall des Kunststars.

Den Autoren gelingt, was in Künstlerfilmen nach realem Modell – etwa "Basquiat" von Julian Schnabel – selten so richtig klappt: Die Verbindung von Plot und Emotion, Biografie und Delirium, von äußerer und innerer Realität. Der neue "Basquiat"-Bilderroman kann sich härtere Übergänge und knappere Ellipsen leisten als ein Film. Und weil ein Comic den Bildwelten des aus der New Yorker Graffitiszene entsprungenen Künstlers besonders nah ist, können Voloj und Mosdal vom kurzen Leben des Künstlers in Form eines Fiebertraums erzählen, ohne dass es aufgesetzt wirkt.

Anfangs zeigen sie Basquiat, der als Jugendlicher von einem Auto angefahren wurde, im Krankenhaus. Seine Eltern schenken ihm ein Buch: "Gray's Anatomy", aus dem dann die blutrot-hautlosen Muskelmänner kriechen: "Das Buch hinterließ einen tiefen Eindruck, machte dich neugierig darauf, was sich in deinem Inneren befindet", kommentiert Basquiats Schatten aus dem Off. Der dänische Zeichner Søren Glosimodt Mosdal überzeugt nicht nur hier mit energetischem Strich und kühnen Farbklängen.

Auf gerade mal drei Comicseiten wird von der psychischen Erkrankung der Mutter erzählt. Sie öffnet eine Campbell’s-Suppendose, ein paar Bilder weiter geht sie mit dem Messer auf ihren Jungen los, während der Kleine "Batman" im Fernsehen guckt: Lautwörter wie "Bam!" und "Clash!" mischen sich in Mutters Veitstanz, die Krisenstimmung im Hause Basquiat ist in giftige Pop-Farben getaucht.

Mit 15 haut der Junge aus seinem Elternhaus in Brooklyn ab, schlägt sich als Kleinkrimineller durch, taucht in die Drogenszene ein. Er wird von der Polizei erwischt, woraufhin sein Vater Basquiat in eine alternative, dem experimentellen Lernen verpflichtete Privatschule schickt. Als Mitglied der Noise-Band Gray und als Künstler (der sich bald von der Graffiti-Szene verabschiedet), lernt er Keith Haring, Kenny Scharf oder Klaus Nomi kennen.

Absurde Logik einer Verfolgungsjagd

Später kommt es zur schicksalhaften Begegnung mit Andy Warhol, einer unverzichtbaren Figur, die Voloj und Mosdal aber auch nicht übertrieben oft auftreten lassen. Was den Autoren wichtiger ist als Promis und New Yorker Szene der 80er, sind Identitätsfragen. Sie zeigen Basquiat auf der Suche nach Lebensentwürfen: Soll er sich dem Buddhismus oder dem Katholizismus anschließen? Oder gar dem "Lennyismus" nach dem Komiker Lenny Bruce: "Wäre Jesus vor zwanzig Jahren getötet worden, würde man elektrische Stühle um den Hals tragen und keine Kreuze."

Und natürlich spielt Rassismus eine Rolle. Auf der Flucht vor rosa-gesichtigen, im eckigen Basquiat-Stil gezeichneten Cops flüchtet sich der Künstler in eine Toilette. Er geht an der Tür mit der Aufschrift "White" vorbei und nimmt die Tür mit dem "Colored"-Schild. Drinnen wird Basquiat von einer Art New-Age-Medizinmännern abgewiesen: "Du gehörst hier nicht hin! Du hängst immer nur mit Weißen ab." Ein schmuddeliger weißer Taxifahrer will ihn auch nicht mitnehmen. Die Alptraumpolizei ist weiter hinter ihm her, im Atelier eines Künstlerkollegen, wo das rundliche Keith-Haring-Völkchen tanzt, während ein DJ-Hund auflegt, findet Basquiat Zuflucht, bis die Jagd weitergeht.

Insgesamt folgt der Comic der absurden Logik einer Verfolgungsjagd. "Basquiat" ist atemlos, schillernd, expressiv, driftet ständig vom Ideal einer buchstabengetreuen Künstlerbiografie ab – und wirkt gerade deshalb sehr wahrhaftig.