Bereits nach John Rafmans psychedelisch-dystopischem LCD-Bildschirm-Tunnel für Balenciagas Frühjahr/Sommer-Show im vergangenen Jahr schien es, als könne Kreativdirektor Demna Gvasalia sich mit seinen Show-Konzepten nicht mehr selbst übertreffen. Dann kam vergangene Saison die bürokratieblaue Laufsteg-Spirale, die in ihrem Aufbau an den Plenarsaal des europäischen Parlaments erinnerte und deren Orouboros-Charakter einer sich in den Schwanz beißenden Schlange Hito Steyerl in der gemeinsam mit Giorgi Gago Gagoshidze und Miloš Trakilović entwickelten Lecture Performance "Mission Accomplished: Belanciege" herausarbeitet. Gvasalia steckte seine Models in absichtlich schlecht sitzende Anzüge mit Knöpfen in Bitcoin-Optik und arbeitete mit überzeichneten Instagram-Face-Prothesen, um den mehrdeutigen Anti-Ästhetiken der Macht nachzuspüren.
Und nun hat Setdesigner Nicke Bildstein-Zaar für die Pariser Fashion Week den Laufsteg geflutet und die Front Row unter Wasser gesetzt. Unter einem riesigen Screen, der apokalyptische Bilder wie unheilvolle Vogelschwärme und eine von Waldbränden zerfressene Erdkugel zeigte, stampften die Models durchs Wasser. Dabei trugen sie neben Gvasalias charakteristischen Knife Stilettos aus Spandex auch Zehen-Wasserschuhe und teils hüfthohe Schlachthof-Lederstiefel. 105 Looks zeigte Gvasalia in Paris vor einer maximal epischen, zwischen Bachs Cellosuite und Hardcore-Tracks changierenden Soundkulisse seines Partners BFRND.
Den Anfang machte eine lange Reihe präzise geschnittener schwarzer Kutten, zu denen sich Gvasalia von historischen klerikalen Gewändern inspirieren ließ. Die monströsen Großinquisitoren mit schwarzen und roten Pupillen passten ebenso großartig zur schwarzen, screenglatten Wasseroberfläche wie die riesigen Lackmäntel und Latexcapes, in denen Gvasalia seine Models versinken ließ.
Neben Eliza Douglas, die wie jedes Mal die Show schloss, liefen unter anderem die Künstler Yngve Holen und Tobias Spichtig, die Architektin Neda Brady, die Sammlerin Karen Boros und die Fotografin und Schinkel-Pavillon-Kuratorin Nina Pohl über den Laufsteg. Unter den zahlreichen Nodels der Show war auch L.A.-Expat und ehemaliger Mr. Universe Ralf Moeller, der wie Gvasalia ebenfalls in Nordrhein-Westfalen aufwuchs. Die Show war voll von humorvollen Elementen wie jener surreale Castingentscheidung: die AirPods, die den Models in den Ohren steckten, die Smartphones, die sie ungelenk in der Hand hielten, die iPhone-Ladekabel, die ihnen als Haargummis dienten.
Wie für Gvasalia üblich gab es Flatterkleider mit übergriffig bunten Blumenmustern, XXL-Schultern und großartige Spandex-Kreationen irgendwo zwischen Kleid und Catsuit. Die Fußballtrikots, Motocross-Ensembles und Tracksuits, die zwischendurch immer wieder auftauchten, wirkten dazwischen wie Fremdkörper. Der Versuch, mit den auf schon allzu oft andernorts zitierten Formen das Streetwear-Publikum anzusprechen, wird vermutlich aufgehen, störte jedoch das Gesamtbild der Show.
Bei seiner ersten Haute-Couture-Schau, die Gvasalia im Januar ankündigte, wird der Designer auf derartige Anbiederungen verzichten können. Wieder kann man sich nicht vorstellen, dass Gvasalia sein bedrohlich zeitdiagnostisches Show-Gesamtkunstwerk noch toppen will. Aber mittlerweile hat man das Gefühl, dass es ihm gelingen wird.