Wenn Legenden früh sterben, nehmen sie oft Geheimnisse mit ins Grab. Vielleicht war "Hope I die before I get old", die berühmteste Liedzeile der britischen Band The Who, auch ein bisschen in diese Richtung gemeint: Mal lieber früh sterben, als später noch aus altersbedingter Leutseligkeit den Legendenstatus zerplaudern. Aber während Schlagzeuger und Bassist der Band tatsächlich ihrem Rock'n'Roll-Leben zum Opfer fielen, sind Sänger Roger Daltrey und Gitarrist Pete Townshend wohlauf – und kramen im Nähkästchen.
In der aktuellen Episode des Musik-Podcasts "How to Wow" hat Daltrey erzählt, dass die Band früher nach Konzerten zerstörte Gitarren mit Kleber wieder zusammengesetzt hat. "Wir haben klugerweise herausgefunden, dass man die Gitarre wieder zusammenkleben kann, solange der Hals nicht gebrochen war", so der mittlerweile 75-Jährige. Fans hätten schon fast erwartet, dass Pete Townshend am Ende von The-Who-Auftritten seine Gitarre zertrümmert. Allerdings habe die Band zu der Zeit notorisch in Schulden gesteckt. Ständig neue Gitarren habe man sich nicht leisten können. "Der Klebstoff war schon teuer genug."
Dieses Geständnis könnte Wirkung haben auf die kunsthistorische Beurteilung autodestruktiver Kunst. Bislang wusste man, dass Townshend von dem deutsch-britischen Künstler Gustav Metzger inspiriert war. Der hielt unzählige Vorträge ("Demonstrationen") über autodestruktive Kunst, einen davon erlebte der Gitarrist und damalige Kunststudent an einer Londoner Kunstakademie. Die Idee, auf der Bühne seine Gitarre zu zertrümmern, führt Townshend auf Metzger zurück, der später auch beeindruckende Lichtprojektionen mit Flüssigkristallen bei den Konzerten der Band präsentierte.
Kunst für eine selbstzerstörerische Gesellschaft
Metzger habe ihn gelehrt, dass Kunst widerspiegeln solle, "wie wir die Welt zerstören", schrieb Townshend nach dem Tod des Künstlers 2017. Mit seiner Gitarrenzertrümmerung habe er dessen Konzept nur "beinahe" erfasst, so der Musiker. Metzger sei nie wütend oder gewalttätig gewesen, aber "sehr wirkmächtig".
1959 veröffentlichte der in Nürnberg geborene Metzger, der 1939 auf der Flucht vor den Nazis mit einem Kindertransport nach London gelangt war, ein Manifest der autodestruktiven Kunst. Es propagierte darin Werke, "die ein Element enthalten, das innerhalb von maximal 20 Jahren automatisch zu ihrer eigenen Zerstörung führt". Denn Metzger, dessen Eltern in Konzentrationslagern ermordet wurden, sah auch in der Gesellschaft ein selbstzerstörerisches Element; seine Kunst wollte darauf antworten: "Die Massen auf der Regent Street sind autodestruktiv, Raketen und Atomwaffen sind autodestruktiv."
Metzger bestrich Bildträger mit Salzsäure, die den Maluntergrund zerstörte, und 1966 organisierte er in London das "Destruction in Art"-Symposium, an der Fluxus-Figuren wie Al Hansen, Yoko Ono, Wolf Vostell und Wiener Aktionisten teilnahmen. Es wurde zerstört und gemetzelt, was das Zeug hielt, Hermann Nitsch führte sein "Orgien Mysterien Theater" auf, John Latham verbrannte vor dem British Museum Bücher und Robin Page bohrte ein Loch in den Fußboden einer Buchhandlung.
Pattex-Kunst
Was, wenn die Überlebenden dieses Kunst-Massakers jetzt mit weiteren Geständnissen kommen? Wenn jemand kleinlaut erzählt, dass Al Hansen die von ihm zertrümmerten Klaviere wieder mit Pattex zusammengesetzt hat? Oder Yoko Ono nach einem "Cut Piece" die den Menschen vom Leib geschnittenen Fetzen wieder zur Patchwork-Decke zusammengenäht hat? Raphael Montañez Ortiz seine zertrümmerten Stühle reparierte?
Eigentlich wäre das ganz sympathisch. Heute stehen wir vor den Trümmerbergen aus Gitarren, die Punk, Grunge und weitere auf The Who folgende Spielarten des Rock'n'Roll angehäuft haben, wir haben im Namen der Kunst zerschnittene Häuser, Flugzeuge und Straßen gesehen. Doch die destruktiven Kräfte der Politik, der Wirtschaft, der Religion oder in der Beziehung der Geschlechter müssen eigentlich nicht weiter in der Kunst gespiegelt werden, sondern zeigen sich ohnehin ganz offen in den Krisen, die Schlag auf Schlag aufeinander folgen.
Architektur, Institutionen, Presse, Parlamente – das damals noch als fest und starr Empfundene ist heute in der Defensive. Selbst die von Metzger zitierten "Massen auf der Regent Street" hat Corona auseinandergetrieben. Wahrscheinlich dominiert deshalb mittlerweile eine Kunst, die heilen will. Pattex-Kunst. Uhu-Kunst.
Das kann man belächeln, und dieser Anspruch führt auch schnell zur Überforderung. Aber diesen Wunsch nach konstruktiver Teilhabe nicht mehr zu verstecken, ist aufrichtiger, als sich in Gesten der Zertrümmerung zu überbieten. Hätte The Who die Gitarren doch direkt auf der Bühne geklebt, die Band wären doppelte Avantgarde gewesen.