Liebevolle, ehrliche, kritische, vernichtende Blicke: Von allen möglichen Seiten wird die Familie be- und durchleuchtet. Finger werden in Wunden gelegt, vermeintliche Tatsachen in Frage und alternative Ansätze in Aussicht gestellt. Die Ausstellung "Burning Down the House. Rethinking Family" im Kunstmuseum St. Gallen schaut auf Bewältigungsstrategien zum Konzept der Familie in der zeitgenössischen Kunst und hält dazu vielfältige Denkanstöße bereit.
Aufgeteilt in fünf Akte, bringt die von Melanie Bühler kuratierte Schau Positionen unterschiedlicher Jahrzehnte und verschiedener Kulturkreise zusammen: Die Abschnitte "Setting the Scene" (Intimität, Rituale und Ambivalenz), "Time" (Familie als Dauer), "Considering the Building Blocks" (Kapitalismus und Kolonialismus) sowie "Critique" (Burning Down the House) widmen sich den kleinen und großen Fragen, die mit Elternschaft und Care-Arbeit verbunden sind.
Familie erscheint mal als Ort der Zuneigung und Hingabe, mal als Zelle der Macht und Gewalt. Sie tritt als Handlangerin sowie als Leidensträgerin von Unterdrückung, zeigt sich hier als Eckpunkt des Kapitalismus und dort als überholtes Konzept. Die inhaltliche Komplexität wird dabei durch zahlreiche Highlights gestützt. Kyoko Idetsu widmet sich in ihren Gemälden den Belastungen und Herausforderungen, denen Familien und Care-Arbeit leistende Menschen gegenüberstehen. Ben Sakoguchis Arbeiten spielen darauf an, dass sich das Konzept von Familienwerten oft nur auf das weiße Amerika bezieht und somit Rassismus und Exklusion begünstigt.
Queere Reproduktion oder gar keine Reproduktion?
"At Home" (1984) von Pink de Thierry setzt die Familie als von der Werbe- und Unterhaltungsindustrie vermarktetes Produkt in Szene, und Sable Elyse Smiths "Coloring Book 111" (2022) thematisiert die systemische Unterdrückung Schwarzer und families of color in den USA.
Immer wieder entstehen starke Spannungsverhältnisse, die die Unerschöpflichkeit des Themas vor Augen führen: Während Mary Kellys fotografische Serien von 1974 die Intimität und Körperlichkeit, aber auch das Repetitive und Zwangsbehaftete einer Eltern-Kind-Beziehung in den Fokus nehmen, schockiert die Gewalt in Gillian Wearings Videoarbeit "Sacha and Mum" (1996).
Und während Juliana Huxtable Familie in ihren Arbeiten weiterdenkt und queere Reproduktion imaginiert, stellt die multimediale Arbeit "Deproduction" (2017) von Terre Thaemlitz die Institution Familie fundamental in Frage - und fordert das Ende der Fortpflanzung.
Ausgangspunkt für Auseinandersetzung
Wird die Familie hier als undemokratisch und schädlich gezeichnet, erscheint sie in den Blättern der Inuit-Künstlerin Shuvinai Ashoona als ein nichtwestliches Konzept, "das auf ganz verschiedene Arten des Verstehens von Geschlechtsidentität, gesellschaftlichen Hierarchien und Beziehungen zur Natur verweist", wie Melanie Bühler in ihrem einführendem Katalogtext schreibt.
Die in der Ausstellung gezeigten Positionen lösen die unterschiedlichsten Emotionen aus: Man fühlt sich verstanden und bestätigt, wird provoziert und irritiert, man ist schockiert und möchte widersprechen. So wird die Ausstellung zu einem Ausgangspunkt für Auseinandersetzung, die es in diesem Bereich dringend braucht.