Als es nichts Anderes zu sehen gab während des Lockdowns, war das Digitale so interessant wie nichts Anderes. Wir hatten ja sonst nichts. Kaum sind die Türen von Museen und Galerien wieder geöffnet, scheint vergessen zu sein, was wir während des Lockdowns über das Digitale gelernt haben. Vergessen sind all die positiven Erfahrungen, die mit Livestreams, Zoom-Pressekonferenzen und Online-Veranstaltungen noch vor kurzem gemacht wurden. Kaum waren die Türen wieder geöffnet, füllten sich die Mail-Postfächer wieder mit Einladungen zu Pressereisen nach München, Amsterdam, Salzburg und so weiter und so fort.
Was spricht eigentlich gegen eine Zoom-Pressekonferenz? Hand aufs Herz, liebe Museen, wie viele Journalist*innen kommen denn zu Pressekonferenzen vor Ort? Und es geht ja nicht um ein Entweder-Oder. Digitale Angebote sind eine Ergänzung, also eine Erweiterung von all dem, was eh gemacht wird. Jetzt, wo die Arbeit losgehen müsste, verlässt man sich lieber wieder auf bewährte Formate vor Ort. Noch vor einigen Wochen startete gefühlt alle paar Minuten ein Livestream auf Instagram. Und jetzt? Sendepause. Dabei sollten doch zumindest die Zahlen für sich sprechen, wenn es beispielsweise um Talks, Führungen und Veranstaltungen geht, die in die sozialen Medien oder auf andere Plattformen verlegt worden sind.
Plötzlich hat man Hunderte oder Tausende digitale Besucher*innen aus der ganzen Welt, die während eines Livestreams sogar noch miteinander ins Gespräch kommen und sich aktiv mit Fragen und Kommentaren einbringen können. Bei einer Panel-Diskussion sitzt das Publikum schweigend auf unbequemen Stühlen im Museum und wartet im Zweifel, bis in der Fragerunde im Anschluss an das Gespräch ein paar Zuschauer*innen zu Wort kommen dürfen. In einem Livestream kann sich jeder jederzeit einbringen und so vielleicht sogar den weiteren Verlauf der Unterhaltung aktiv mitgestalten. Gespräche finden plötzlich auf Augenhöhe mit dem Publikum statt.
Auch ohne Pandemie digital dabei sein
Kürzlich habe ich mir via Zoom eine Diskussionsrunde mit Simon Denny, Trevor Paglen und Lynn Hershman Leeson über Künstliche Intelligenz angehört. Die drei Künstler*innen sind Teil der Ausstellung "Uncanny Valley: Being Human in the Age of AI", die noch bis Oktober im de Young Museum in San Francisco zu sehen ist. Das Gespräch wurde von Claudia Schmuckli, der Kuratorin der Ausstellung moderiert, die zu Beginn erst einmal circa 30 Minuten durch die Ausstellung führte. Den Katalog habe ich, auch schon gelesen, aber nach San Francisco würde ich es selbst ohne globale Pandemie nicht schaffen, um mir eine Ausstellung anzusehen.
Ich saß also zu Hause, zugegeben, auf einem etwas unbequemen Stuhl und folgte einer Diskussionsrunde mit Künstler*innen, die auch zu Hause in ihrem Wohnzimmer saßen. Ich hatte mich mit einem Freund verabredet, wie man das eben so macht, wenn man zu einer Veranstaltung geht. Er saß allerdings in einem anderen Wohnzimmer, nämlich bei sich zu Hause in Berlin. Während der Diskussion unterhielten wir uns per WhatsApp über die Fragen, die diskutiert wurden, schickten Links hin und her und fanden es vielleicht etwas zu interessant, einmal in die Wohnung, vielleicht war es auch das Studio, von Trevor Paglen schauen zu können. Zum Ende der Talk-Runde dankte die Kuratorin freundlich ihren Gästen und sagte, sie hätte sich gewünscht, dass diese Runde vor Ort im Museum hätte zusammenkommen können. Das sei aber wegen des Lockdowns aktuell nicht möglich.
Die, die digital vorn waren, sind es immer noch
Da saßen wir in unseren Wohnzimmern und dachten uns, dass wir ohne den Lockdown nicht die Möglichkeit gehabt hätten, bei diesem Gespräch als Zuhörer*innen dabei zu sein. Wie vermutlich zahlreiche andere Menschen auf der ganzen Welt. Und nein, die Lösung ist natürlich nicht, nur noch auf Zoom-Runden und Livestreams zu setzen. Warum auch? Aber man könnte doch Diskussionsrunden, die im Museum stattfinden, live streamen oder im Anschluss an die Diskussionsrunde im Museum das Publikum zu Hause gemeinsam durch die Ausstellung führen ... oder, oder, oder. Und natürlich wird das in Einzelfällen gemacht. Aber im Vergleich zu dem, was während des Lockdowns plötzlich möglich war, werden jetzt die digitalen Möglichkeiten so wenig ausgeschöpft wie vorher. Die Museen, die schon aktiv in den sozialen Medien waren, machen weiter wie bisher, alle anderen leider auch.
Das Digitale bietet so viele Möglichkeiten und das besonders für Kunst, die eh irgendwie digital ist. Die Schirn in Frankfurt beispielsweise hatte Ende Juli zwei Tage lang Videokunst auf der eigenen Website von unter anderem Eli Cortinas, Ed Fornieles und Agnieszka Polska gezeigt. In Zoom-Talks haben die beteiligten Künstler*innen mit Expert*innen aus der Schirn über ihre Arbeiten gesprochen. Aktuell wird auf der Website der Schirn das erste "Online Opening" einer Ausstellung angekündigt. Im Text heißt es: "Auch wenn die Künstler wegen der Pandemie nicht in der Schirn vor Ort sein können, werden Sie die wundervolle Gelegenheit bekommen, sie virtuell kennen zu lernen." Die Eröffnungsreden werden live übertragen, und man wird auch einen kurzen Blick in die Ausstellung werfen können. Es geht übrigens um die Schau von Ramin Haerizadeh, Rokni Haerizadeh und Hesam Rahmanian. Aber ja, die Schirn ist natürlich eines der Häuser, die digital schon immer ganz vorne mit dabei waren und die verstanden haben, dass das digitale Kunsterlebnis nicht das analoge Kunsterlebnis ersetzen will.
Digitale Angebote müssen nicht umsonst sein
Jetzt könnte man natürlich wieder einwerfen, dass Museen die Einnahmen wegbrechen, wenn Talks und Kunst gratis online gezeigt werden. Oder, dass die Besucher*innen vielleicht gar nicht mehr ins Museum gehen, wenn eine Ausstellung auch online zugänglich ist, etwa via 3-D-Rundgang. Könnte man denn nicht auch für Online-Angebote, zumindest in Einzelfällen, Eintritt verlangen? Den Dokumentarfilm "Coronation" von Ai WeiWei kann man auf Vimeo beispielsweise nur gegen Bezahlung anschauen. Es gibt zwei Optionen. Ausleihen: 5 Euro. Kaufen: 15 Euro. Das hat übrigens dazu geführt, dass ich nicht einfach mal kurz so nebenbei in den Film hineingeklickt habe. 15 Euro, das kostet auch ein Kinobesuch, und ins Kino guckt man ja auch nicht nur kurz rein und geht dann wieder. Vielleicht würden digitale Angebote nicht weiter als die nervige und uncoole kleine Schwester gesehen werden, die doch bitte lieber nicht mitspielen soll, wenn für den Zugang bezahlt werden müsste. Oder wenn die digitalen Angebote zumindest genauso professionell präsentiert und kommuniziert werden, wie alle anderen Aktivitäten von Museen und Galerien.
Das ist nämlich während des Lockdowns als die große Digital-Hysterie ausbrach, zurecht bemängelt worden: Vieles wirkte etwas unbeholfen und wenig durchdacht. Aber wie gesagt, nach dem großen Testlauf müssten die Erkenntnisse ausgewertet und die Arbeit fortgesetzt statt ausgesetzt werden.