Clubs sind Anti-White Cubes. Es ist dunkel, Scheinwerfer flackern, die Betrachtenden sind verstrahlt bis zugedröhnt und die Bässe drohen andauernd, alles zu überwummern. Kunstwerke, die hier wirken sollen, müssen in Dialog mit ihrer Ausnahmezustands-Umgebung treten. Das wissen auch die Kuratoren des Atonal-Festivals, das aktuell im Berliner Club-Multiplex Kraftwerk stattfindet. "Man kann Leute nicht um drei Uhr morgens mit einer hochkomplexen Narrativ konfrontieren," erklärt Adriano Rosselli, der in diesem Jahr gemeinsam mit Max Negrelli das Kunstprogramm verantwortet.
Die gezeigten Arbeiten bedienen sich deshalb nichtlinearer und affektiver Erzählmethoden. So zeigt beispielsweise Cyprien Gaillard am Samstagabend eine von Steel Drums begleitete Live-Adaption seiner Videoarbeit "Ocean II Ocean", die momentan auf der Venedig-Biennale zu sehen ist. Der Videokünstler hat in den U-Bahn-Stationen der ehemaligen Sowjetunion nach in Marmorwänden eingeschlossenen Schnecken- und Krebsfossilien gesucht. Dieses Material ergänzt er durch Archivbilder der ausrangierten U-Bahn-Waggons, die vor einigen Jahren an der amerikanischen Ostküste versenkt wurden und nun als künstliches Riff am Meeresgrund fortbestehen.
Poesie in der Schaltzentrale
Auch die Videos, die in der original erhaltenen Schaltzentrale des ehemaligen Heizkraftwerks gezeigt werden, entfalten sich assoziativ und poetisch. Sohrab Huras "The Lost Head & The Bird" zeichnet mit immer schneller aufeinanderprallenden Fotografien voller Hysterie, Wut, Euphorie und Gewalt die explosiven sozio-politischen Entwicklungen des zeitgenössischen Indiens nach, Fabien Giraud und Raphaël Siboni erzählen die Geschichte der Rechnung in umgekehrter Reihenfolge und beginnen bei der Singularität. Während am ersten Abend James Richards und Leie Thortons Videocollage Schatten auf die Schalttische wirft, ergänzt die von der Hauptbühne hineindringende Musik immer wieder die Audio-Untermalung des Videos und füllt Momente der Stille aus.
Es ist gerade die Permeabilität, die die Atonal-Installationen so attraktiv macht. Im Erdgeschoss wird man beispielsweise empfangen von Marcel Webers Lichtkästen, die bis an den Rand mit mit Laserstrahlen, Hologrammen und Nebel gefüllt sind. Die Installationen entfalten ihre Wirkung auch im Zusammenspiel mit der Musik, die von der einige Etagen höher gelegenen Hauptbühne nach unten dringt. Immer wieder werden die transparenten Zellen von Performern bezogen, die zur sphärisch-düsteren Musik von J. G. Biberkopf eine Performance von Guillaume Marie aufführen. Sie tanzen Ballett auf Laufbändern, zucken wie von Laserblitzen getroffen zusammen und tauchen aus breiten, sich windenden Lichtflächen hervor.
Rave Cave
Anne de Vries, der bei der neunten Berlin Biennale mit einem Rave-Diorama vertreten war, sucht mit "Cave2Cave" ebenfalls den Kontakt zum Club-Umfeld. Seine Billboards zeigen Fotografien von Steinzeit-Höhlenmalereien, die unkenntlich verzerrt und auf Spiegelfolie gedruckt höchst futuristisch anmuten. Dass die Aluminiumrahmen vor den Bässen erzittern und durch die Scheinwerfer immer neue Farben annehmen, ist Teil der künstlerischen Intention.
Kunst im Feierkontext eröffnet Festivalbesuchern und Club-Stammgästen eine Erfahrung, die meist nur privaten Sammlern vorbehalten bleibt: eine rekursive Begegnung mit Werken in den verschiedensten Geisteszuständen. Mit dieser Tatsache spielt Roger Hiorn, indem er lebensgroße Puppen, ausgestopft mit Buchseiten aus Heideggers "Sein und Zeit", in unregelmäßigen Abständen zu Boden fallen lässt. Gegen Ende des Abends schwebt eine von ihnen wie vom Scheinwerferlicht in die Höhe gebeamt in der Luft, eine andere liegt zerstreut mit dem Kopf voran in der Ecke. Auch Cécile Beaus und Emma Loriauts durch eine alchemistische Umkehrung der Eisenerz-Elektrolyse gezüchete Kristalle wachsen im Laufe des Festivals immer weiter und erzeugen so behutsam eine eigene Zeitlichkeit in den vom Tageslicht abgeschirmten Hallen des Kraftwerks. Die Chancen auf ein transzendentes Nachbeben auf der Tanzfläche stehen gut.