Frau Goscinny, Frau Uderzo, fühlen Sie sich kraft ihrer illustren Namen als so etwas wie die Hüterinnen des Asterix-Grals?
Sylvie Uderzo: Des Grals ... des Tempels – wie Sie wollen.
Anne Goscinny: Eher des Dorfes. (lacht)
SU: Ja, das ist noch besser. Wir sind die Wächterinnen des gallischen Dorfes!
AG: Zumal sich unsere Väter in einem Dorf wohler gefühlt hätten als in einem Tempel. Und sicherlich in diesem mythischen Dorf, das bekannt ist für seinen Humor, für seinen trotzigen Widerstand.
Sylvie Uderzo: Für seine Rebellion! (lacht)
Da kommt ja der neue Asterix-Texter Fabrice Caro gerade richtig – gilt er doch als jemand, der einen leicht verschrobenen, eben rebellischen Humor hat.
AG: Stimmt, als wir vor zwei Jahren einen neuen Drehbuchautor suchten, lautete die Frage für Sylvie und mich, ob sich jemand finden ließe, der den "Geist" von Asterix treffen und wiedergeben könne. Fabcaro kam wie gerufen. Seine bisherigen Werke mit ihrem oft absurden Humor hätten meinem Vater gefallen. In seinem ersten Asterix-Band "Die weiße Iris", der am Donnerstag erscheint, hat Fabcaro bewiesen, dass er in der Lage ist, ein ganzes Asterix-Abenteuer zu schaffen. Falls er weitermachen will, was ich hoffe, wollen wir ihn, den Schriftsteller und Autor, anhalten, mehr von sich einzubringen, also auch seine eigenen Vorstellungen des Asterix-Universums.
SU: Für Fabcaro muss es geradezu lähmend gewesen sein, einen ersten Band über eine Ikone wie Asterix zu schaffen. Und das mit einer Startauflage von über fünf Millionen und simultanen Übersetzungen in 20 Sprachen, mit Fans rund um die Welt, die genau darauf achten, dass all die bekannten Codes, die Figuren, ihr Wortwitz, der Klamauk, die Rituale, Running Gags respektiert werden.
AG: ... und dazu auch die Bilder, die Zeichnungen!
SU: Genau. Mein Vater erhielt ständig Kommentare der Art, die Vorderfüße des Elefanten seien falsch gezeichnet, oder der Henkel des Kochtopfs für den Zaubertrank sei daneben. Mein Vater amüsierte sich köstlich über solche Einwände. Für die jüngeren Asterix-Macher ist der Druck aber gewaltig. Unser Zeichner Didier Conrad, der nun schon seinen sechsten Asterix-Band gestaltet hat, kann ein Lied davon singen. Wer in den Fußtapfen von René Goscinny und Albert Uderzo wandeln will, braucht nicht nur gutes Schuhwerk, sondern auch breite Schultern. (lacht)
Können Sie uns die Zauberformel für den Erfolg von Asterix seit über 60 Jahren nennen?
SU: Unsere Väter hatten kein Rezept. Entscheidend war wohl ihre Beziehung, eine richtige, echte Freundschaft. Sie taten alles, um einander zum Lachen zu bringen. Später amüsierten sie sich, indem sie die Leser amüsierten. Das Rezept lautete ganz einfach, die Asterix-Leser zum Lachen zu bringen.
AG: Mein Vater sagte mir einmal, er arbeite nach dem Prinzip, dass er sich erst dann an ein neues Comic-Feld mache, wenn ihm für das vorhergehende Feld wirklich kein Gag mehr eingefallen war. Abgesehen davon ... mal ehrlich: Die Chance war doch eher minimal, dass die Geschichte von zwei Galliern, einem Kleinen und einem Dicken, der Hinkelsteine liefert, das Publikum in Scharen anziehen würde. Und doch lacht man ständig – dank der historischen Einschübe, der menschlichen Schwächen, der Personen, der Raufereien und so weiter.
SU: Das Geheimnis ist vielleicht, dass Asterix nie ein Marketingprodukt war, nie einem Modetrend folgte.
AG: Wenn heute ein Spielfilm mit großem Budget in die Kinos kommt, werden zuerst Testvorführungen gemacht, bei denen Kinder, Jugendliche oder Erwachsene je nach Zielpublikum beobachtet werden, ob sie ein Gag zum Lachen bringt. Wenn sie gähnen, wird die Szene gekippt. Ich finde das schockierend, völlig unkreativ. Heute fragt man die Kinder, was sie lesen wollen, statt ihnen zu geben, was gut ist. Unsere Väter machten das Gegenteil: Statt dem Publikum zu folgen, ließen sie sich vom Publikum folgen.
SU: Asterix ist eben eine Form von Gegenkultur. In den 60er Jahren lief der kleine Gallier den Zeittrends völlig entgegen – und hatte doch relativ rasch Erfolg. Dabei war die Asterix-Idee fast aus der Not entstanden: René und Albert mussten der Comiczeitschrift Pilote auf Teufel komm raus etwas liefern. Sie brauchten nicht mehr als eine Viertelstunde, um das ganze Asterix-Universum zu schaffen.
Wirken unsere bevorzugten Gallier vielleicht auch deshalb so lebendig, weil Asterix – körperlich, aber offenbar auch charaktermäßig – Züge von Goscinny trägt, Obelix von Uderzo?
SU: Zweifellos ...
AG: ... war das auch so, weil unsere unsere Väter enge Freunde waren und dies in ihre Comicgeschichten übertrugen.
SU: Dazu kommt, dass René unbedingt einen kleinen Antihelden wollte, während Albert von den US-Comics beeinflusst war und, störrisch, wie er war, einen großen und starken Charakter wollte. Aber natürlich wurde Obelix dann auch ein Antiheld.
Und diese beiden so sympathischen Antihelden brauchen also Ihren Schutz?
AG: Ja, denn wir wollen nicht, dass sie auf Abwege kommen. Wir achten darauf, dass ihr Abenteuer keine Wendungen nimmt, die unsere Väter nicht gewollt hätten. Und zwar dauerhaft. Ein Verlag hat nicht die gleichen Interessen wie Asterix. Wir beiden ziehen es vor, weniger Produkte abzusetzen, aber dafür den Geist des Comics zu wahren. Die Herausgeber verschwinden, das Werk bleibt.
SU: Und das Gute daran ist: Je wachsamer wir den Asterix-Geist respektieren, desto mehr verkaufen wir. Uns geht es nicht um den kommerziellen Erfolg, sondern um die Wahrung eines immensen Kulturerbes. All die phantastischen kommerziellen Angebote, die wir erhalten, die aber diesem Erbe nicht entsprechen, lassen uns kalt.
Heißt das auch, dass Sie über den Kurs der Serie und den Inhalt der Alben entscheiden?
AG: Wir entscheiden nicht, wir begleiten. Nur wenn wir einen Fehler sehen, dann schalten wir uns direkt ein. Aber wir sind wie Mütter: Die geben ihr Kind nie ganz auf, selbst wenn es die schlimmsten Fehler macht. Asterix verdient unser Wohlwollen, unsere Zärtlichkeit.
Wenn Sie die Asterix-Macher "begleiten", heißt das, dass Sie ihnen beim Texten und Zeichnen buchstäblich über die Schulter schauen?
AG: Nein, das tun wir nicht. Dafür ist allenfalls der Verlag da. Wir mischen uns nicht in den Schöpfungsprozess ein, wir stehen daneben.
SU: Wir sind in diesem Prozess das Tüpfelchen auf dem i. Und was für ein i! (lacht)
Neuere Alben nehmen zeitgenössische Gesellschaftsthemen auf – Frauen, Umwelt. Ist das von Ihnen gewollt?
AG: Nein, das war schon immer so. Auch viele älteren Alben enthalten solche Themen wie etwa Religion, Immobilienkrise. Der neueste Band reiht sich mit dem Thema des "positiven Denkens" in diese Reihe ein.
Sind Themen wie Feminismus nicht ein inhärenter Stilbruch zur Antike?
SU: Der 29. Band, "Asterix und Maestria", war 1990 wohl eine Antwort auf Kritiken, René und Albert bezögen nicht genug Frauen ein. Solche Themen kommen aber nicht als Selbstzweck vor, sondern für den Plot. Wie auch bei Kleopatra. Sie wurde nicht schwach gezeigt, sondern stark und mächtig.
AG: Mein Vater sagte oft, eine karikierte Frau bringe niemanden zum Lachen, zumal es einfach unschön sei. Es stimmt, Gutemine, die Frau von Majestix, ist eine Zänkerin, aber mein Vater inspirierte sich auch gerne an schönen Frauen wie Sylvies Mutter, um Frauen zu zeichnen.
Könnten auch heikle Themen wie der Wokeismus direkt oder indirekt Eingang finden? In Kanada wurde ein Asterix-Band verbrannt, offenbar weil ein indigenes Mädchen einen Minirock trägt.
AG: Ein Buch zu verbrennen, ist ein kriegerischer Akt. Es ist wie mit den Statuen: Man sollte sie als Geschichtszeugnis nicht entfernen, sondern darüber diskutieren.
SU: Was maßen sich diese Leute an, über ein künstlerisches Produkt zu urteilen? Wir haben die Meinungsfreiheit. Mit welchem Recht schwingen sich diese Leute zu Kulturrichtern auf?
Puristen werfen Ihnen seit jeher vor, den Geist der Urväter zu verraten, da sie nach dem Tod von René Goscinny 1977 und von Albert Uderzo 2020 mit neuen Textern und Zeichnern weitermachten.
AG: Dabei kommt die Zeichnung von Didier Conrad dem Stil von Albert Uderzo näher denn je!
SU: Ja, vor allem im neuesten Album.
Eine Kritik lautet, Asterix laufe sich langsam tot.
AG: Es gibt immer Leute, die sagen, vorher sei alles besser gewesen. Einverstanden, zu Beginn der Asterix-Serie hatten wir unsere eigenen Väter noch! Trotzdem bin ich glücklich, dass das Abenteuer weitergeht, und froh zu sehen, dass sich die Figuren mit jedem Album von neuem beleben – ob im Comic, Film oder einem Buch.
Albert Uderzo hatte 2018 selbst gesagt, nach ihm werde die Serie eingestellt.
SU: Das hatte er effektiv einmal gesagt. Später änderte er seine Meinung wieder.
Asterix altert nie. Wie lange soll er sich noch halten?
SU: Unsere Väter sind uns Motivation genug, um mit Asterix weiterzumachen. Anne und ich haben zudem beide Kinder, und wenn wir ihnen etwas weitergeben können, dann sehe ich persönlich keinen Grund, damit aufzuhören.
Ist die Frage nicht auch, ob Asterix bei einer steigenden Millionenauflage überhaupt aufhören kann?
AG: Ich kann nur sagen, dass wir sehr wachsam sind. An dem Tag, an dem wir feststellen, dass die Serie nicht mehr auf der Höhe ist oder vom Weg abkommt, werden wir alles unternehmen, damit sie eingestellt wird.
Spricht das Grundthema des neuesten Albums, das positive Denken, auch Kinder an? Anders gefragt: Steigt das Alter der Leserschaft nicht?
AG: Ich glaube nicht, dass sich das Alter der Leserschaft ändert. Auch das neue Album kann man mit fünf oder sechs Jahren lesen. Man kann über einzelne Grundzüge hinweglesen und später darauf zurückkommen.
Wenn Asterix schon nicht in den Ruhestand treten darf – könnte er eines Tages heiraten?
SU: Nein, nie! Er kann sich verlieben, hat das auch schon getan. Aber wenn die Autoren nicht wollen, dass er heiratet, wird er nie heiraten. Man muss schon kohärent bleiben. Dass Asterix keine Frau hat, gehört zu den Codes, von denen wir sprachen. Und diese Codes legen nicht wir fest, sie ergeben sich von selbst, aus der Geschichte.
Täusche ich mich oder stimmt mein Eindruck, dass die Person von Asterix in den letzten Geschichten zunehmend in den Hintergrund rückt, nicht mehr spielentscheidend ist?
AG: In einigen Alben vielleicht. Im letzten Spielfilm "Das Reich der Mitte" wollte ihn der Regisseur und Hauptdarsteller Guillaume Canet klar in den Mittelpunkt rücken, erntete aber viel Kritik dafür. Man kann es nie allen recht machen.