Im Wasch-Treff auf der Wallstraße kann man jetzt nicht nur Wäsche waschen und während der Wartezeit "in gemütlichem Ambiente kalte und heiße Getränke aus dem Getränkeautomat genießen", wie der Waschsalon auf seiner Seite für sich wirbt. Sondern nebenbei vielleicht auch Zeuge einer neuen Superform von Thomas Bayrle werden. Dessen "Jacke wie Hose"-Print, ursprünglich aus den 1970er-Jahren, ziert jetzt die gesamten Wände des Waschsalons mit seinen 22 Hochleistungsmaschinen, in die zum Presserundgang gerade ebensolche Kleidungsstücke gepackt werden. Jeder Quadratzentimeter wurde mit der Sequenz tapeziert.
Es ist eine dieser Zusammenkünfte, die fast schon zu treffend sind: Hier die Umdrehungen der Maschinen mit ihren massenhaft gefertigten Kleidungsstücken, drumherum die Arbeit eines Künstlers, der sich schon vor 50 Jahren der seriellen Form, den Maschinen, dem Schleudergang im superindustrialisierten Zeitalter widmete. Und dann geht auch noch visuell alles zusammen wie das Filmset eines Musikvideos zu Hochzeiten von MTV und Viva Zwei.
Eine so einleuchtende Zusammenkunft also, dass man sich wundern kann, warum sie hier zum ersten Mal überhaupt erfolgt – nur hat eben bisher noch niemand daran gedacht oder eben gefragt, ob der Künstler "Jacke wie Hose" einmal derart außerhalb des White Cube präsentieren wolle. Liberty Adrien und Carina Bukuts sind inzwischen bekannt dafür, einfach zu fragen: Ob man den Main ins Ausstellungshaus umleiten dürfte, wie es zum Beispiel Asad Raza im letzten Sommer getan hat. Für "Assembly", die neue Ausstellung des Portikus, die sich über einen Spazierparcours durch Sachsenhausen schlängelt, hat das Kuratorinnen-Duo nun Kunstwerke mit verschiedenen Orten zusammengebracht und dabei einige solcher Perfect Matches fabriziert. Wie Bayrles Print als Allover-Tapete im Waschsalon, für die sich der Künstler gleich begeistern konnte.
Oder die künstlerische Gabe, die man sich im Kiosk "Fameless" kostenlos mitnehmen kann: Eine Zeitung von Sung Tieu, die CIA-Foltermethoden während des Vietnamkriegs in Bild und Text rückt. Eine Anti-Schlagzeilenarbeit, die sich während der gesamten zehn Wochen Ausstellungsdauer mit Hunderten Headlines nicht verändern wird (hier wurde das ansonsten gewissenhaft umgesetzte Prinzip größtmöglicher Zugänglichkeit allerdings nicht so konsequent befolgt wie anderswo – die Zeitung gibt es nur auf Englisch.)
Oder die beiden grafisch-künstlerische Arbeiten von Sandra Doeller im Parkhaus, deren leuchtende Tafeln und in verschiedenen Typografien nicht von Parkdecks und Stundenpreisen, sondern vom Ausstellungsvorhaben und seinen Künstlerinnen und Künstlern künden. Ein Werk, das man simultan beschaut und liest.
Einige Einsichten über Kunst im öffentlichen (oder semi-öffentlichen) Raum gibt es en passant mit auf den Weg: "Public Art muss nicht immer massiv sein", erklärt Liberty Adrien vor dem Baum stehend, der Ayşe Erkmens schneckenkleine Reminiszenz an eine 2019 ausgestorbene Art zur Bühne gereicht.
Und, an einer anderen Stelle des Parcours: Sie müsse auch gar nicht immer rund um die Uhr zugänglich sein. "Man kann ja auch nicht 24 Stunden am Tag in den Supermarkt gehen." Diese Kunstschau will sich erst einmal nicht aufdrängen, und natürlich funktionieren ihre Interventionen genau deshalb, siehe Erkmens "Lonesome George". Das Artensterben geht leise voran, einschließlich seiner medialen und aktivistischen Begleitmusik, aber es könnte Naturwissenschaftlern zufolge noch deutlich verheerendere Folgen mit sich bringen als der Klimawandel.
Es sind freundliche und ihrer Form nach solch eher leise Interventionen, die Publikum, Künstlerinnen und Künstler wie auch die Betreiberinnen und Betreiber der jeweiligen Orte mit ins Boot holen wollen. So ist auch James Gregory Atkinsons Soundinstallation im Park nur am Wochenende zu hören: Dann nämlich hat das Architekturbüro, das sich im historischen Fachwerkhaus in einem Park befindet, geschlossen, und es scheint, als ob Stimme und Musik einer Harfenspielerin aus Detroit durch seine Fensterläden hindurch in den öffentlichen Raum strömen, um die Geschichte der afrodeutschen Schauspielerin Marie Nejar (*1930) alias Leila Negra zu erzählen, die während des Nationalsozialismus als Statistin in Propagandafilmen als exotisierte "Andere" besetzt wurde.
Ein Ausstellungsbooklet empfiehlt sich allerdings, um den nötigen Kontext der Arbeiten zu erschließen (es liegt im Portikus aus und als Download im Internet). Nicht alles in diesem Ausstellungsparcours ist ständig geöffnet, nicht alles muss man sofort entdecken. In einem prachtvollen Wohnsalon auf der Schweizer Straße hat Atkinson eine Jukebox aufgestellt, die als zweiter Teil seiner Arbeit "Juke Joint" funktioniert. Wer freitags hineingeht, bekommt vom Aufsichtspersonal Münzen in die Hand, um eine Platte von Leila Negra durch den Raum schallen zu lassen.
Und wenn das Publikum nicht zur Kunst kommt, dann kommt die Kunst eben zum Publikum. Auch ungefragt. Das geht kaum zuverlässiger als mit Essen und Trinken. Am Mainufer ankert Meral‘s Imbiss, "das wahrscheinlich einzige Dönerboot Europas", wie es auf seiner Website heißt. Inhaber Ramiz Meral trägt stolz seine rot-weiße Signaturekleidung und scheint sowieso wie alle teilnehmenden Betreiber sehr angetan vom Projekt: Slavs & Tatars haben Frankfurts beliebtem Imbiss eine Art Kunst-Branding verpasst, inklusive T-Shirts und abwaschbaren Spiel- sowie Picknickdecken auf der Uferwiese. "Moschus und Wissen sind einander ähnlich, man kann sie nicht lange haben und verbergen", verlauten kryptisch bedruckte, mehrsprachige Dönertaschen und Servietten, die nur darauf warten, als kostenlos ausgegebene künstlerische Reliquien in Döner- oder Falafelsoßen getränkt zu werden.