Die Party will nicht so richtig in Schwung kommen. Dabei hat der italienische Künstler Luciano Chessa, der an diesem Abend bei der "Mighty Real Disco Party" im Marius auflegt, die ultimativen 80er-Jahre-Banger ausgepackt. Er sei hier für eine einjährige Artist Residency, hatte er mir beim Abendessen erzählt, wohne direkt neben dem Marius am Port Hercule, Monte-Carlos zentral gelegenem Yachthafen. Morgen Vormittag stelle er im Théâtre Princesse Grace seine Arbeit "Monaco Mobile" vor, eine künstlerische Reflexion über Geschwindigkeit. Es fallen Begriffe wie "multisensorische Erfahrung", "vibrierende Schnüre" und "synästhetische Landschaft", dann werden eisgekühlte Rosé-Flaschen und Servierplatten mit mariniertem Oktopus herumgereicht. Es ist Art Week in Monaco – und ich bin hier, um mich auf der Salonmesse Artmonte-Carlo und zwischen den Schönen und Reichen ein wenig umzusehen.
Weil der Dancefloor noch leer ist, drängen sich die Menschen auf den kleinen Balkonen. An einem Stehtisch mit Blick auf den nächtlichen Hafen komme ich mit zwei Männern in ihren Zwanzigern ins Gespräch, deren gebräunter Teint verrät, dass sie sich nicht nur zu Zeiten der Monaco Art Week an der französischen Riviera aufhalten. Wo ich denn herkomme, will der eine wissen. "Berlin", sage ich. "Das habe ich mir gedacht", meint ein älterer Mann mit Hornbrille, der bislang unbeteiligt an der Balkonbrüstung gelehnt hatte. "Aha", sage ich. Und dann: Ob er Sammler sei? "Nein, Bänker."
Das Event sei ja von der Bank gesponsert, da habe man ihn selbstverständlich eingeladen. Ob er sich denn trotzdem für Kunst interessiere, will ich wissen. "Nein, nicht wirklich", meint er. Übrigens, das täte ihm jetzt leid, aber er müsse auch schon los. Er sei ja VIP, habe dementsprechend auch Zutritt zur VIP-Area, da wolle er jetzt mal hin. Er lässt mich stehen, um mir ein paar Minuten später vom Balkon nebenan zuzuprosten, "Santé".
Von der hat man einen Pappaufsteller in der Wohnung
Der Journalist, der mir beim Abendessen gegenübergesessen hatte, gesellt sich zu mir und meint, die Party käme endlich in Schwung. Luciano spiele gerade ABBA, "Gimme Gimme Gimme", das gefalle den Leuten. Im Inneren sehe ich vage, wie sich Glitzer-Mini-Röcke schwungvoll über Tanzfläche bewegen. Witzig, sagt der Journalist, da sei ja auch diese eine italienische Sammlerin, von der habe er einen Pappaufsteller in seiner Wohnung.
Ich würde gern mehr wissen, aber da fragt uns ein Italiener mit Drei-Tage-Bart nach einer Zigarette. Er sei Galerist, sagt er. Nein, verkauft hätten sie noch nichts. Aber mindestens einen Parmiggiani werden sie hoffentlich noch an den Mann bringen – die Artemonte-Carlo sei ja gerade erst losgegangen.
Die überschaubare Salonmesse findet gerade in ihrer achten Ausgabe statt, in diesem Jahr zum ersten Mal unter der Leitung von Charlotte Diwan. Als ich am nächsten Tag durch das Grimaldi Forum laufe, wo die Artmonte-Carlo traditionell stattfindet, treffe ich den Galeristen wieder. Ein bisschen zerschlagen sieht er aus. Ob die Party noch gut gewesen sei, frage ich ihn. "Ja", sagt er. Das Problem sei nur gewesen, eigentlich hätte er ja kurz nach uns gehen wollen, aber dann sei ihm auf dem Weg nach unten dieser crazy guy begegnet und mit dem sei er dann dummerweise bis halb sechs morgens in einem Club versackt. Ich wünsche gutes Durchhalten und verabschiede mich, um eine Runde über die Messe zu drehen.
Qualität ist garantiert
Beim Rundgang wird schnell klar: Die Qualität ist garantiert auf der Artmonte-Carlo. Mit Hauser & Wirth, Perrotin, Franco Noero, Nathalie Obadia, Lisson, Lelong & Co. und Almine Rech, die gerade einen sechsten Standort ihrer Galerie in Monte-Carlo eröffnet hat, sind hochkarätige internationale Player dabei.
Unterhält man sich mit den Galeristinnen und Galeristen, hört man meist eines: Die Sammlerinnen und Sammler seien vor allem auf der Suche nach kleineren Werken für ihre monegassischen Apartments; einige wären aber auch interessiert an größeren Arbeiten für Villen und Parks außerhalb Monacos. (Wobei auch die Apartments nicht so klein sein dürften – 2023 wurde hier eine von zwei Wohnungen für mehr als 28 Millionen verkauft. Kaum verwunderlich, wenn man bedenkt, dass das Fürstentum zwar nur 38.000 Einwohnende zählt, jedoch das am dichtesten mit Millionären besiedelte Gebiet der Welt ist.)
Kunst für's Wohnzimmer, so sei der Geschmack hier – und das zeigt sich vor allem im dekorativen Charakter der Werke. Die Galerie Poggiali ist mit Glas-und-Spiegel-Drucken des italienischen Künstlerinnenduos Goldschmied & Chiari angereist ("Untitled view", 2023 und 2024), Lelong & Co. unter anderem mit Fabienne Verdiers "Assis sous les nuages" (2023) und einer Bronzeskulptur des spanischen Künstlers Jaume Plensa ("Martina", 2022). Mennour setzt auf Anish Kapoor ("Magenata and Pink", 2023), Bastian auf Picasso ("Tête de femme de profil", 1959, "Jacqueline au bandeau, II", "Homme barbu couronné de vegine", beide 1962).
Experimente, politisch aufgeladene Werke, Galerien, die mit ihren Künstlerinnen und Künstler anecken wollen, sucht man hier vergeblich. Dementsprechend auffällig ist die Präsentation von Wilde. Die Galerie mit Sitz in Genf, Basel und Zürich hat die Installation "Die Taubenpost" des algerischen Künstlers Adel Abdessemed mit nach Monte-Carlo gebracht. Die zwei dunkelgrünen Tauben, die in ihrer Länge auf rund sechs Meter kommen, tragen Sprengladungen auf ihren Rücken – ein monumentales Manifest an der Schnittstelle zwischen der Banalität des Alltags und der Gewalt, die an seiner Oberfläche brodelt.
An dem Tisch eines anderen Messestandes sitzt ein weißhaariger Herr und füllt vor den Augen eines Galeristen Formulare aus. Ich höre, wie der Galerist sagt: "Ça m'embête de faire travailler Monsieur." Also in etwa: Das ärgert mich jetzt aber, dass ich Monsieur Arbeit bereite. Auf einmal sind da Worte, die nach 24 Stunden im Fürstentum Monaco wie unangenehme Erinnerungen an einen erfolgreich behandelten und längst vergessenen Fußpilz erscheinen: Qual, Anstrengung, Arbeit. Lieber schnell weitergehen.
Ein Duchamp, "der einen umhaut"
Beim Abendessen in der Messehalle des Grimaldi Forum habe ich das Glück, zwei wundervoll gesprächige Tischnachbarn zu haben. Sie ist Kuratorin, er Art Advisor, beide leben in Monte-Carlo. Wie sie die diesjährige Messe bewerten, will ich wissen. "Toll, aber ein bisschen überfüllt", sagt der Art Advisor. Er meint damit nicht die Menge der Besuchenden, denn die Artmonte-Carlo ist – wie ganz Monaco – so klein und intim, dass einen ständig das Gefühl beschleicht, man hätte sich auf ein Klassentreffen (absurd reicher) Menschen verirrt. Aber die Messestände seien für seinen Geschmack zu vollgestopft. Viele Galerien hätten besser daran getan, weniger Künstlerinnen und Künstler mitzubringen. Eine Ausnahme gäbe es aber, da sind er und die Kuratorin sich so einig, dass ich für einen kurzen Momente denke, sie würden sich in die Arme fallen: Larkin Erdmann.
Die Galerie mit Standort in Paris und Zürich ist eine der acht Galerien, die in diesem Jahr zum ersten Mal auf der Messe vertreten sind. (Bei 27 ausstellenden Galerien ergibt das fast ein Drittel Newcomer, darunter sind auch Semiose, Wilde, Lelong & Co., ML Fine Art und Lisson.) Mit im Gepäck hat Larkin Erdmann hochkarätige Einzelwerke von Künstlerinnen und Künstlern wie Andy Warhol, Joseph Halbers, May Ray, Alberto Giacometti, Meret Oppenheim und Alexander Calder. Und einen Duchamp, "der einen umhaut", wie die Kuratorin bemerkt.
"Here We Go Again"
Auch die 193 Gallery mit Sitz in Paris und Venedig sei in diesem Jahr toll, meint der Art Advisor. Die Kuratorin scheint nicht ganz überzeugt, aber ich pflichte ihm bei: Die Ausstellung sei wie ein kleiner Streifzug durch die Welt des zeitgenössischen Kunstschaffens konzipiert. Aldo Chaparro aus Mexiko, Kitikong Tilokwattanotai aus Thailand, Francisco Vidal aus Portugal-Angola, Sesse Elangwe aus Kamerun und Thandiwe Muriu aus Kenia sind vertreten; außerdem hat die Galerie figurative Stillleben und Landschaftsdarstellungen des Neuseeländischen Künstlers Rob Tucker mitgebracht. Seine Formensprache und verspielte Farbpalette erinnern ein bisschen an David Hockneys Pop Art der Siebzigerjahre – und passen wie kaum ein anderes Werk der Messe zur Atmosphäre der französischen Riviera.
Ob ich eine Lieblingsarbeit gehabt hätte, fragt der Art Advisor. "Ja", sage ich. "Mel Bochner bei Cortesi." Der 1940 in Pittsburgh geborene Künstler zählt zu den führenden Persönlichkeiten in der Entwicklung der postminimalistischen und konzeptuellen Kunst in New York, war Teil einer neuen Generation von Künstlerinnen und Künstlern, zu der auch Eva Hesse, Donald Judd und Robert Smithson gehörten – Künstler, die wie Bochner nach Wegen suchten, mit dem Abstrakten Expressionismus und traditionellen Kompositionsmitteln zu brechen. Die Cortesi Gallery hat eine 2022 entstandene Arbeit Bochners recht unscheinbar an ihrem Messestand platziert, an einer Seitenwand. Aber die drei Schriftzüge hätten mich irgendwie angesprochen, sage ich. In Öl auf Büttenpapier steht dort: "Here We Go Again / I've Had It Up To Here / I Can't See Where This Is Going".
Endlich läuft "Gimme Gimme Gimme" mal wieder
Gegen Mitternacht bewegt sich ein Teil der Dinner-Gesellschaft in Richtung Jimmy'z. Ich bin mit dem DJ, der Kuratorin und dem Art Advisor unterwegs. "The VIP’s favourite club" heißt es auf der Webseite des Nachtclubs selbstbewusst – und ich frage mich, wieso in Monte-Carlo ständig alle mit dem Begriff "VIP" um sich werfen. (Selbst die VIP-Managerin lässt kaum ein Zusammentreffen verstreichen, in dem sie einem nicht erklärt, dass sie die VIP-Managerin sei. Am Tag zuvor im Marius hatte sie mir noch erklärt, dass ich gerade meine Füße in die VIP-Area bewegt hätte und sie ja ganz offensichtlich sähe, dass ich kein VIP sei.) Auch der Art Advisor scheint nicht den optischen Anforderungen Monte-Carlos zu entsprechen; an der Tür wird er abgewiesen. Schade. Aber wir wollen trotzdem rein.
Während uns der erste Baila-Morena-Techno-Remix entgegenschallt, fällt uns auf, dass sich der Art Advisor mit einem "Free Drinks"-Armband verabschiedet hat – und das braucht man hier auf jeden Fall. Ich habe eines. Aber beim Bestellen eines Gin Tonics schüttelt der Barmann mit einer Mischung aus Genervtheit und Bedauern den Kopf: Er wisse jetzt gar nicht, was ich von ihm wolle? Free Drinks? Wegen des Armbands? Nee, sorry, davon wüsste er aber. Egal, ich kann ja auch ohne Alkohol Spaß haben.
Ich gehe auf Erkundungstour. Auf der Terrasse begegne ich dem Galeristen, es scheint ihm wieder gut zu gehen. Ob er seinen Parmiggiani an den Mann gebracht hätte, frage ich. Er schüttelt den Kopf. Aber die Verkäufe seien in diesem Jahr generell langsamer als gewöhnlich. Wir sitzen auf den Designer-Loungemöbeln mit Blick auf die von Philipp Plein gestaltete Bar und die Tanzfläche. Endlich läuft auch "Gimme Gimme Gimme" mal wieder, diesmal in einer absurd schnellen Party-Remix-Version. Riesige Champagnerflaschen werden von Kellnern in Fliege und schwarzem Hemd an die Tische gebracht, die Menschen tanzen jubelnd auf den dunkelbraunen Ledersofas. Wo man denn so ausgehen würde in Monte-Carlo, wenn man normal sei, will ich von dem Galeristen wissen. Er schaut mich nachdenklich an. Dann sagt er: "In Monte-Carlo gibt es keinen Platz für normale Menschen."