Neuer Museumscampus

Der Schatz von Sydney

Die Erweiterung der Art Gallery of New South Wales soll ein Wahrzeichen der Kulturmetropole Sydney werden und der berühmten Oper Konkurrenz machen. Auch nachhaltig will das Museum sein – und einen neuen Umgang mit der Kunst finden

Sie nennen es das größte kulturelle Projekt Sydneys seit dem Bau der Oper: Im Dezember eröffnet die erweiterte Art Gallery of New South Wales als neuer Museumscampus mit zwei Gebäuden, die durch einen öffentlich zugänglichen Kunstgarten verbunden sind. Herzstück der 344 Millionen Dollar teuren Erweiterung und Umgestaltung des 151 Jahre alten Kunstmuseums ist der Neubau des japanischen Architekturbüros Sanaa.

Spektakulär ist schon der Standort: In Hanglage inmitten der City, neben dem Royal Botanic Garden und mit Blick auf Sydneys Hafen. Werke von mehr als 900 australischen und internationalen Künstlerinnen und Künstlern können von den jährlich erwarteten zwei Millionen Besucherinnen und Besuchern bewundert werden. Ein Hauptaugenmerk liegt auf der Kunst indigener Völker Australiens sowie auf der Gleichberechtigung der Geschlechter.

Das leichte, verglaste Gebäude, das von den Pritzker-Preisträgern Sanaa gestaltet wurde, vergrößert die Ausstellungsfläche von 9000 auf 16.000 Quadratmeter und bietet räumlich ineinanderfließende Galerien, zum Teil riesige Wände und fantastische Ausblicke. Kaskadenartig passt sich der Bau der zum Hafen hin abfallenden Topografie an. Schon 2012 lud das Museum zwölf Büros zum internationalen Architekturwettbewerb, 2015 entschied sich die Jury unter Vorsitz von Museumsdirektor Michael Brand für das japanische Architekturbüro.

Von Transparenz geprägte Architektur

"Sie präsentierten ein tolles, vom Ort inspiriertes Konzept, das respektvoll mit der Umgebung umging", erinnert sich Brand. Zum bestehenden Gebäude – einem neoklassizistischen, eher verschlossen wirkenden Säulenbau – ergänzte Sanaa eine von Offenheit, Leichtigkeit und Transparenz geprägte Architektur, die warm und einladend wirkt und die Verbindung zu Hafen und City zelebriert.

Mit der Erweiterung entstand auch ein öffentlicher Kunstgarten, in dessen Zentrum das Werk "Bial gwiyuŋo" (Das Feuer ist noch nicht entzündet) von Jonathan Jones steht. Es soll 2023 eingeweiht werden. Der Künstler, der den Wiradjuri- und Kamilaroi-Völkern im Südosten Australiens angehört, thematisiert das indigene Wissen im Umgang mit der Natur. "Wir waren von seiner Idee überrascht, diesen Garten jedes Jahr kontrolliert abbrennen zu lassen. In Australien und an der Westküste der USA wüten ja regelmäßig schreckliche Buschbrände, was auch in unserer Landwirtschaft begründet liegt. Aber manche Pflanzen sind für ihre Keimung auf diesen Prozess angewiesen, und das soll auch in unserem Garten passieren", so Brand.

Spektakuläres Highlight im Inneren des Sydney Modern ist ein ehemaliger Öltank, der als unterirdische, 2200 Quadratmeter große Galerie mit sieben Meter hohen Decken und 125 Säulen fungiert. 1942 wurde er erbaut, um die Schiffe im Zweiten Weltkrieg auf schnellstem Weg mit Treibstoff zu versorgen. "Als wir die Tanks zum erste Mal besichtigten, waren Sanaa sofort überzeugt, dass wir sie nutzen müssen. Sie bezeichneten sie als 'Schatz von Sydney'", erinnert sich Brand. Einer der zwei Räume dient heute zur Präsentation von Kunstwerken und Performances. "Optisch wurde kaum etwas verändert. Die Patina an den Wänden ist noch da, ebenso die Säulen, der leichte Ölgeruch, der ungewöhnliche Klang – und es ist recht dunkel dort unten", beschreibt Brand.

Dunkelheit und Licht

Jährlich soll die Ausstellung in dem atmosphärischen Umfeld wechseln, zur Eröffnung ist "The End of Imagination" zu sehen. Die düsteren, dystopisch anmutenden Skulpturen des argentinisch-peruanischen Künstlers Adrián Villar Rojas spielen mit der Ungewissheit, Überlebende oder Propheten, hilfreich oder zerstörerisch zu sein.

Maud Page, die stellvertretende Direktorin des Museums, beschreibt das übergeordnete kuratorische Konzept des Museums wie folgt: "Es wurden Werke ausgewählt, die auf unsere Sammlung und auf die poetische Architektur von Sanaa reagieren. Sie befassen sich mit wichtigen sozialen Fragen wie Migration, Vertreibung, Wertschöpfung und Klimawandel. Sie sind vielfältig, ästhetisch und konsequent, und sie kündigen kraftvoll neue Kunstgeschichte an, die von hier aus geschrieben wird."

Als wichtigsten Teil des neuen Museums bezeichnet Michael Brand die Yiribana Galerie, die der Kunst der Aborigines und Torres Strait Islanders gewidmet ist. Früher im Untergeschoss des Bestandsgebäudes zu finden, ist Yiribana nun in den Eingangsbereich des Neubaus verlagert. Nicht nur solle man hier wirklich das Gefühl haben, in Sydney zu sein, "im gesamten Museum ist indigene Kunst zu sehen, um daran zu erinnern, dass es in Australien schon vor der Ankunft der Europäer indigene Völker gab – falls noch jemand daran erinnert werden muss", bekräftigt Brand. Entsprechend postuliert die Art Gallery of New South Wales ganz generell: "Wir würdigen die traditionellen Bewohner des Landes, auf dem sich das Museums befindet, die Gadigal des Eora-Volkes, und erkennt ihre fortwährende Verbindung zu Land, Wasser und Kultur an."

Freundliche Riesen

Begegnung und Reflexion stehen auch im Mittelpunkt von Francis Upritchards Installation "Here Comes Everybody" im Eingangsbereich des neuen Gebäudes. Für ihre bis zu sechs Meter hohen verspielten Bronzewesen ließ sich die Neuseeländerin von Mythologie und Volkstum des Moreton Bay inspirieren. Sie empfiehlt den Besucherinnen und Besuchern: "Lernen Sie diese Figuren kennen. Umarmen Sie sie. Flüstern Sie ihnen etwas zu. Begrüßen Sie sie bei jedem Besuch des Museums erneut. Jede Figur tut etwas, es geht um ihre Gesten. Man kann ihre Hände halten, ihre Körperhaltungen nachahmen, sich auf die Zehen setzen. Es sind große Figuren, die kleine, manchmal winzige, 'geheime' Andeutungen machen."

Um Verbundenheit und spirituelle Erfahrungen geht es auch
Lee Mingwei mit seiner Installation "Spirit House". Zusammen mit Sanaa kreierte der taiwanesisch-amerikanische Künstler einen Raum, in dessen Zentrum er einen meditierenden Buddha aus Bronze platzierte. Jeder und jede ist dort eingeladen, über die eigene Vergangenheit, Gegenwart und Wünsche für die Zukunft zu reflektieren. Täglich wird ein Stein in die Hand der Figur gelegt, den das Publikum mitnehmen können. Hat der Stein seinen Zweck erfüllt, kann er zurückgebracht werden, um anderen zu dienen.

In einem ausliegenden Buch können die Erlebnisse festgehalten werden. Mingwei sagt: "Ich hoffe, dass das Werk ein Gefühl der Resonanz mit der persönlichen Geschichte und der inneren Welt der Betrachter hervorruft, es ein Teil ihrer inneren Welt werden kann, mit ihnen wächst und sich verändert, wenn sie die Galerie verlassen."

Sechs Sterne für Nachhaltigkeit


Nachhaltig soll das architektonische Prestigeprojekt ebenfalls sein: Als erstes öffentliches Kunstmuseum des Kontinents erhielt das Sydney Modern mit sechs Sternen die Höchstzahl vom Green Building Council of Australia. Und das zurecht: Das Museum wird zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben, Regenwasser wird zur Bewässerung und Kühlung aufbereitet, und die 8000 Quadratmeter großen Grünbereiche aus Dächern, Gärten und Höfen sind mit heimischen Arten bepflanzt.

Wenn es um den Anspruch an Nachhaltigkeit in der Architektur geht, haben sich die Zeiten zuletzt schnell gewandelt. Michael Brand sagt: "Vor fünf Jahren galt es noch als sehr ehrgeizig und gut, fünf Sterne zu erlangen. Aber wenn wir 2022 nicht sechs Sterne erreicht hätten, müssen wir uns dafür wahrscheinlich rechtfertigen."