Fassadenarbeit von Franz Erhard Walther

Anwesenheitsnotiz

Franz Erhard Walthers "Anwesenheit" fängt in wenigen Sätzen viele Themen ein, die uns aktuell umtreiben. An der Außenfassade des Münchner Haus der Kunst bringt die Arbeit das Erlebnis der abendlichen Kunsterfahrung zurück

Es ist erstaunlich, mit welch einer gesteigerten Aufmerksamkeit wir dieser Tage die Positionierung unseres eigenen Körpers spüren. Sobald wir uns in den öffentlichen Raum begeben, nehmen wir von der Türklinke bis hin zum Tastaturfeld jeden einzelnen Berührungspunkt mit unserer Außenwelt bewusst wahr und vollziehen eine konstante Choreographie, deren improvisierter Ablauf geleitet ist von der Verortung anderer, fremder Körper. Die Beschränkungen zur Eindämmung der Pandemie lenken unsere Wahrnehmung auf die Zonen des Übertritts und des Einhalts, die unsere physische Präsenz im Raum kontinuierlich erzeugt. Um es mit Franz Erhard Walther zu sagen: Körper sind die Grenze. 

In wenigen Sätzen fängt Walthers "Anwesenheit" (2020) viele Themen ein, die aktuell durch die Luft schweben. Die Satzfragmente der Arbeit – "Körper sind die Grenze / Dem Raum entgegen / Der Zufall der Geschichte / Körper in der Gegenwart" – laden zur Meditation über ihre mehrdeutigen Konnotationen ein. In München lässt sich das aktuell bei einem Spaziergang durch den öffentlichen Raum tun, der sich momentan so ganz anders anfühlt. 40 Tage lang werden die Sätze von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang auf die Fassade des Haus der Kunst projiziert, dessen Innenräume die aktuell geschlossene Retrospektive des aus aus Fulda stammenden Künstlers beherbergen. Münchnerinnen und Münchnern erlaubt "Anwesenheit" etwas, das trotz allmählicher Galerieöffnungen noch in weiter Ferne zu liegen scheint: Einfach mal wieder abends vor die Tür zu gehen, um sich Kunst anzuschauen. Bewohner anderer Städte können die Arbeit ab kommender Woche im Online-Livestream verfolgen.

Bevor er 2017 mit dem Goldenen Löwen der Venedig-Biennale ausgezeichnet wurde, war Franz Erhard Walther, der von Kollegen hochgeschätzte Künstlerkünstler, dem breiten Kulturpublikum kaum ein Begriff. Mit seinen partizipativen Stoffskulpturen, die in der Hauptausstellung in der Arsenale zu sehen waren, wurde er bekannt. Deshalb wird häufig übersehen, dass er sich seit Beginn seines Schaffens intensiv mit Sprache als künstlerischem Werkstoff auseinandergesetzt hat. Walther selbst beschreibt die Sprache als ein Material, das es vermag, Bilder zu schaffen, Raum zu ummanteln, Zeit zu überbrücken und Räume zu verbinden. An der Fassade des monumentalen neoklassizistischen Baus kann sie das nun unter Beweis stellen.