Zuhause ist ein vager Begriff. Der Duden sagt: "Wohnung, in der jemand zu Hause ist (und sich wohlfühlt)." ChatGPT versucht es auf die emotionale Schiene: "In vielen Fällen ist 'Zuhause' nicht nur ein Ort, sondern ein Gefühl der Sicherheit, Geborgenheit und Zugehörigkeit." Die Band Feine Sahne Fischfilet hat gleich einen ganzen Song darüber geschrieben, in dem die Punkrocker behaupten: "Zuhause heißt / Wenn dein Herz nicht mehr so schreit".
Der gebürtige Mexikaner Raul Elias, der als Kind nach Kalifornien zieht, sagt: "Zuhause ist ein Ort, an dem man lernen kann und keine Angst haben muss, Fehler zu machen oder Fragen zu stellen." Die schulische Umgebung wird für ihn damals zu einem safe space. Aber seine wahre Heimat findet er woanders: Als Jugendlicher wird er für einen Reparatur-Nebenjob zu einem älteren Pärchen gerufen. In Dave und Rosie Tansey findet er zwei Seelenverwandte – und Zuflucht. Als Dave im Jahr 2020 stirbt, ziehen Raul und seine Verlobte Jessica kurzerhand zu der älteren Dame.
Raul ist eine von 25 Personen, die die US-amerikanische Fotografin Annie Leibovitz für ihr Projekt "Life at Home" abgelichtet hat, das in Kooperation mit dem schwedischen Möbelgiganten Ikea entstanden ist. Auf dem Bild sieht man holzvertäfelte Wände und vollgepackte Bücherregale (eher keine Ikea-Modelle), Kitsch-Objekte in einer Glasvitrine und einen Wandteppich mit einem Cowboy beim Ritt in die Morgensonne. Und Rosie, die in einem braunen Ledersessel sitzt und mit Raul und Jessica Karten spielt.
London, Mumbai, Stockholm
Dann ist da der in Kasachstan geborene Arslan Zhunus, der am Ufer des Flusses Lea im Osten Londons auf einem Hausboot lebt, abseits vom Trubel der englischen Hauptstadt. Die 24-jährige Künstlerin Priyanka Paul, die in ihrer Zweizimmerwohnung in Mumbai einen Ort der Ruhe und des künstlerischen Schaffens gefunden hat. Und die LGBTQI+-Aktivistin Cal Orre, die mit ihren beiden Co-Eltern und ihrem Kind Rio in Solna, einem Vorort nördlich von Stockholm, lebt.
Ab Januar 2023 war Annie Leibovitz, die sonst eher für ihre einfühlsamen Porträts von Prominenten bekannt ist, als erste "Ikea in Residence"-Künstlerin für das Projekt in Deutschland, Indien, Italien, Japan, Schweden, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten unterwegs. Die Serie wurde von der Möbelhauskette in Auftrag gegeben, nachdem deren "Life at Home Report" ergeben hatte, dass 48 Prozent der Menschen ihr Zuhause in den Medien nicht repräsentiert sahen (wahrscheinlich auch nicht im Ikea-Katalog). Annie Leibovitz' Fotografien hingegen sollen authentisch sein - und von mehr als Möbeln erzählen. Sie selbst sagt: "Unser Zuhause ist in gewisser Weise ein Spiegel unserer selbst."