Haus-am-Waldsee-Direktorin Anna Gritz

"Ein Haus mit Ecken und Kanten"

Anna Gritz 
Foto: Debora Mittelstaedt

Anna Gritz 

Anna Gritz ist die neue Direktorin des Haus am Waldsee. Hier spricht die Kuratorin über ihre Pläne für das Berliner Ausstellungshaus

Der Generationswechsel im Haus am Waldsee verlief nicht gerade reibungslos. Im vergangenen September musste Katja Blomberg, 16 erfolgreiche Jahre lang Leiterin der Kunstinstitution in Berlin-Zehlendorf, das Haus plötzlich verlassen – einige Monate vor Ablauf ihres Vertrages. Offenbar hatte es Probleme zwischen der Kunsthistorikerin und dem neuen Vorstand des Trägervereins gegeben. Das war schon alles, was an die Öffentlichkeit drang. Die Krise im Haus am Waldsee scheint aber nur vorübergehend gewesen zu sein, denn inzwischen hat eine renommierte Nachfolgerin die Leitung übernommen, die sechs Jahre lang als Kuratorin am Berliner KW Institute for Contemporary Art tätig war. Ein Gespräch mit Anna Gritz über den schönsten Kunstgarten in Berlin und ihre Pläne am Haus am Waldsee.

Anna Gritz, im vergangenen Dezember wurden sie von einer siebenköpfigen Auswahlkommission zur Direktorin des Hauses am Waldsee ernannt. Was war Ihre erste Reaktion?

Die Nachricht hat mich wahnsinnig gefreut, aber zuerst auch ein bisschen fassungslos gemacht, denn ich bin mir der Verantwortung, einen so legendären Ort zu leiten, durchaus bewusst. Jetzt bin ich vor Ort, und das Wechselspiel zwischen alter Fernsicht und dem, was man in den Gesprächen mit dem Team, den Besucherinnen und den Künstlerinnen neu erfährt, ist wahnsinnig spannend und erweitert meine Perspektive auf das Haus und seine Geschichte täglich.

Gibt es Überraschungen?

Ja, ganz viele! Erstmal bin ich sehr froh und glücklich darüber, wie anregend die Zusammenarbeit mit dem Team ist, und wie schön es ist, hier draußen in der Peripherie zu arbeiten und Kunst auch im Außenraum mitzudenken. Ich schätze, ich brauche noch eine Weile, die lokale Umgebung besser zu verstehen. Zehlendorf ist für mich ein völlig neues Umfeld. Es ist ein spannender Prozess, sich so einen Kontext neu zu erarbeiten und in die Geschichte einzutauchen. Damit werde ich künftig auch arbeiten. Das heißt jetzt nicht, dass jede Ausstellung ortsspezifisch sein muss. Aber ich möchte die Direktion des Hauses doch mit den Charakteristika des Hauses und den ganz spezifischen lokalen Gegebenheiten zusammendenken. Hier arbeitet man nicht in dem vermeintlich neutralen Kontext eines White Cubes, sondern in einem Haus mit Ecken und Kanten, mit positiven und negativen Aspekten. Man arbeitet hier in einem Gebäude, in dem Menschen gelebt haben, das als Wohnhaus gebaut wurde. All dies soll Anstöße geben, sich mit dem Kontext dezidiert auseinander zu setzen und gelebte Realitäten zu reflektieren.

Bevor es ab 1946 als Ausstellungshaus genutzt wurde, war das 1922 erbaute "Haus Knobloch" eine Fabrikantenvilla. Dazu gehörte ein Landschaftspark im englischen Stil, aus dem später ein Skulpturenpark wurde. Am 26. Juni wird der inzwischen restaurierte Park wiedereröffnet. Werden Sie sich da schon etwas eingemischt haben?

Im Vordergrund soll die fantastische Restaurierung durch den Landschaftsarchitekten Georg v. Gayl und seinem Team stehen. Ich will das restaurierte Ensemble aber langfristig gerne als Plattform nutzen, um ganz neu darüber nachzudenken, wie Kunst und Natur im Garten koexistieren können. Ein paar Ansätze möchte ich an diesem Tag schon präsentieren, darunter zwei Skulpturen des Künstlers Peter Wächtler. Des Weiteren wird es eine Lesung der Schriftstellerin Kirsty Bell geben, und die Künstlerin Ayumi Paul wird neu im Moment entstehende "Cloud Concerts" performen. Das gibt vielleicht einen Eindruck davon, dass ich hier künftig nicht nur mit Skulpturen arbeiten, sondern auch andere künstlerische Perspektiven in den Garten holen will. Vielleicht lässt sich die Ideologie des Englischen Landschaftsgartens, der die Natur dazu instrumentalisiert, den Menschen zu beglücken, ein wenig unterwandern und stattdessen Impulse wie Zeit, das Zyklische, Wachstum und Zerfall aus der Natur aufnehmen. So könnten Kunst und Natur als gleichwertige Akteure im Garten agieren.

Ende Mai wurde die Ausstellung "Überlagerungen" des Fotografen Thomas Florschuetz im Haus eröffnet. Es ist die letzte Ausstellung, die Katja Blomberg initiiert hat, die 16 Jahre lang Direktorin war. Wie war die Eröffnung für Sie?

Ich habe es sehr genossen, die Ausstellung zu sehen. Für mich, die ich hier nicht federführend war, bot sich die Möglichkeit zu beobachten, wie Abläufe am Haus funktionieren. Dafür habe ich ja nicht allzuviel Zeit, denn mein Programm startet schon im September. Ich habe die Eröffnung vor allem dafür genutzt, mit möglichst vielen Menschen zu reden. Das Publikum, die Angestellten, die Künstlerinnen und Künstler.

Ins Haus am Waldsee hat Katja Blomberg oft Kunstschaffende aus Berlin geholt, die international erfolgreich waren, aber wenig in der Stadt ausgestellt hatten: Bjørn Melhus, Carla Guagliardi, Corinne Wasmuht, Olav Christopher Jenssen, Valérie Favre, um nur einige zu nennen. Wollen Sie davon als künftige Direktorin abrücken?

Da will ich mich gar nicht festlegen. Ich möchte einfach mit den Positionen arbeiten, die ich als dringlich empfinde, bei denen ich das Gefühl habe, die bringen den Diskurs und das Fach weiter oder die produzieren gerade etwas, was gesehen werden muss. Das können und werden aber auch Berlinerinnen und Berliner sein. Aber letztlich ist dies nicht das ausschlaggebende Kriterium, sondern vielmehr die Inhalte, die auch zentrale Debatten und den Wandel in der Gesellschaft spiegeln sollen.

Sie waren sechs Jahre lang Kuratorin am KW Institute in Berlin. Geht man da mit einem weinenden Auge weg?

Auf jeden Fall. Mit dem Direktor Krist Gruijthuijsen war es eine wahnsinnig gute Zusammenarbeit. Mir wurde sehr viel Vertrauen entgegengebracht, und ich konnte große, ambitionierte und ausführlich recherchierte Ausstellungen machen. Mit Amelie von Wulffen oder Michael Stevenson konnte ich Künstlerpersönlichkeiten in den Fokus rücken, die in Berlin leben, die vor Ort aber meiner Ansicht nach zuwenig gewürdigt wurden. So hatte ich das Glück, ein wenig an der lokalen Kunstgeschichte mitzuschreiben. Andererseits wurde das "Zeitgenössische" am KW aber auch nicht nur am Jetzt und am Brandneuen festgemacht, sondern auch an Positionen, die noch oder gerade wieder hochaktuell sind, obwohl sie eigentlich der Vergangenheit angehören. Zum Beispiel die in Europa kaum bekannte Christina Ramberg, die 1995 jung starb, um die ich eine Ausstellung über das Zusammenspiel von Körpern und Rahmenbedingungen in der Kunst herum gebaut habe, "The Making of Husbands". Das Zeitgenössische nicht auf das Junge oder Aktuelle zu begrenzen ist eine Strategie, die ich auch am Haus am Waldsee fortführen möchte.

Bevor Sie nach Berlin kamen, waren Sie Kuratorin für Film und Performance an der South London Gallery, inwieweit werden diese Sparten im Haus am Waldsee eine Rolle spielen?

Ich bin sehr geprägt vom experimentellen Film und von der Performance. Aus diesen Bereichen schöpfe ich das Bedürfnis strukturelle Standards zu hinterfragen und immer wieder neu zu überlegen, welche Formeln man übernimmt. Kann eine Performance nur innerhalb einer Abendveranstaltung stattfinden oder kann man performative Strategien auch mal über ein Jahr laufen lassen oder an vier Wochenenden, wie es die Künstlerin Becky Beasley an der South London Gallery getan hat?

Und?

Ich habe dort auch einmal eine Ausstellung gemacht, die überlegt, was die "Backstage" von Kunst ist, was "hinter" dem Performativen stattfindet. Diese Nischen, die Kunst bedingen, aber nicht immer sichtbar sind, interessieren mich sehr. Ab 14. September läuft die erste von mir kuratierte Ausstellung im Haus am Waldsee, die tatsächlich einen starken performativen Aspekt hat. Die Künstlerin Leila Hekmat ist in Los Angeles geboren und lebt schon lange in Berlin. Sie will das Haus als eine Art Sanatorium betrachten, um sich mit Normen der Gesundheit und Absurditäten einer Wellness-Kultur auseinanderzusetzen. Wir werden es also mit einem von Nonnen geführten Krankenhaus am Waldsee zu tun haben, in dem eine sehr exzentrische Gruppe von Patientinnen behandelt wird.

Wie soll das aussehen?

Jeder Raum der Villa wird als Behandlungsraum oder Schlafsaal neu gedacht werden. Die Ausstellung wird keine statische sein, sondern sich als Serie von Vignetten gestalten. Außerdem gibt es eine Sound- und Lichtinstallation, die die Räume abseits der Performances bespielt. Leila Hekmat ist eine Künstlerin, die sich gerade mit dem Zusammenspiel von Zeit und Präsenz stark auseinandersetzt, und deswegen schien es genau der richtige Zeitpunkt zu sein, an sie die Herausforderung heranzutragen, das gesamte Haus zu bespielen.

Interessant, das Haus zur Klinik umzuwidmen. Werde ich als Besucher dann zum Patienten?

So würde ich es nicht formulieren, aber ich hoffe, dass bei jedem Ausstellungsbesuch eine Transformation beim Publikum stattfinden lässt. Keine Angst: Das wird kein interaktives Theater werden. Man wird nicht zu irgendeiner Teilnahme gezwungen werden. Aber es reizt mich, die Kunst aus den Ausstellungsräumen zu holen und auch das Haus als etwas zu sehen, das transformiert werden kann. Langfristig möchte ich künstlerische Perspektiven viel zentraler an das Haus binden, auch an dessen unsichtbare (Infra-)strukturen, denn ich sehe diese und den Kontext, in dem Kunst entsteht, nicht nur als Rahmenbedingungen, sondern als etwas, das die Kunst essentiell in ihrem Wesen mit bedingt.

Glauben Sie an die Heilkraft von Kunst?

Transformation kann auch heilsam sein, das würde ich schon behaupten. Aber Kunst kann auch destruktive Züge annehmen. Ich finde es gut, wenn Kunst per se keine Funktion zugeschrieben wird. Doch ich glaube, dass gute Kunst Spuren hinterlässt.

"Female Remedy" von Leila Hekmat läuft bis Weihnachten. Was ist im neuen Jahr geplant?

Eine Ausstellung mit der 1933 geborenen Künstlerin, Fotografin und Filmemacherin Margaret Raspé. Sie lebt nicht nur in Berlin, sie wohnt sogar in Zehlendorf. Dazu gibt es eine enge Bindung an das Haus am Waldsee, Raspé war ein frühes Mitglied des Freundeskreises. Sie hat in den frühen 1970ern Filme mit einem von ihr selbst entwickelten Kamerahelm gedreht. Außerdem sind viele Arbeiten in Gärten und Landschaften entstanden, die um Natur kontra Zivilisation kreisen. Die Künstlerin hat Performances gemacht, bei denen sie in industriell verseuchte Gewässer gestiegen ist. Es ist wirklich überfällig, dieses Werk aufzuarbeiten, zugänglich zu machen, eine signifikante Publikation dazu herauszubringen. Ich sehe die experimentellen Ansätze von Hekmat und Raspé in einem Zusammenspiel, einem Narrativ, dass sich über die einzelnen Ausstellungen hinaus in seiner Gesamtheit erschließen lässt, sodass sich Verbindungen von Ausstellung zu Ausstellung ergeben.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Sagen wir so: Ich freue mich auf ein offenes, interessiertes, neugieriges Publikum, auf viel Austausch und Rückkopplung. Ich begreife mich als Person, die Dinge zur Debatte stellen möchte und die Diskurse zugänglicher und transparenter machen will. Ich habe das Gefühl, dass vieles einfach nur "geschluckt" wird. Oder es bleibt das unartikulierte Gefühl, man versteht die Kunst nicht. Ich hoffe, dass Dinge, die Unbehagen hervorrufen – das bleibt bei guter Kunst selten aus – auch benannt werden. Toll wäre es, wenn wir Menschen Kunst ans Herz legen können, die bisher noch wenig damit in Berührung waren.