Als Angela Merkel 2016 gefragt wurde, von wem sie gern ihr Kanzlerinnenporträt gemalt hätte, entglitt sie gewohnt diplomatisch ohne Namen zu nennen. Anders als beispielsweise Gerhard Schröder, der sich stolz mit den Malerfürsten Immendorf, Baselitz und Lüpertz umgab, hat Angela Merkel bisher keine besondere Kunstvorliebe durchblicken lassen. Die beiden Noldes in ihrem Büro verbannte sie diskret, als die Nazi-Sympathie des Malers im April dieses Jahres erneut zum Politikum wurde. Besonders leidenschaftlich schien sie an den Bildern nicht zu hängen.
Da der Großteil der merkelschen Politik-Karriere von bundesgrauer Farb-Armut und buddhahaftem Aussitzen geprägt wurde, war die mächtigste Frau der Welt umgekehrt auch für die Künstler relativ uninteressant. Mit einer so soliden Figur lässt sich schlecht provozieren und wenig Selbstprofilierung betreiben (Karikaturisten ausgenommen, die mussten da durch). Gleichgültigkeit und Konsens verwandeln sich selten in künstlerische Inspiration. Selbst der Fotograf Andreas Mühe, der 2013 in Monopol eine Deutschlandreise mit einem Kanzlerinnen-Double inszenierte, war mit einem Perücken-Hinterkopf vor einem Autofenster zufrieden. Merkel blieb eine Chiffre, die Person hinter dem Amt eine Leerstelle. Der "New Yorker" nannte Angela Merkel "The Quiet German". Deutschland nannte sein Staatsoberhaupt, eine gestandene Politikerin, freundlich herablassend "Mutti".
Ein gemaltes Denkmal auf dem "Time"-Cover
Das änderte sich 2015, als die Kanzlerin zuerst Härte in der Griechenland-Krise zeigte (die Folge waren Merkel-Plakate in allerhand Nazivariationen auf den Straßen Athens) und dann auf dem Höhepunkt des Flüchtlingszuzugs die deutschen Grenzen offen ließ. Darauf folgte der Ewigkeitssatz: "Wir schaffen das".
Seitdem ist alles anders und die Kanzlerin eine Figur, an der man sich abarbeitet. Auf "Pegida"-Märschen wünscht man ihr einen Galgen, in der traditionell links situierten Kulturszene entdeckt man unerwartete Sympathien für eine CDU-Führungsfigur. Die Konturlose hat eine ziemlich klare Form bekommen: Nur dass die eben je nach Standpunkt ein Ungeheuer oder eine Heilige sein kann.
Diese Bedeutungsverschiebung schlägt sich auch in der Kunst nieder. Ende 2015 kürte das "Time Magazine" Angela Merkel zur "Person of the Year" und ließ die Kanzlerin fürs Cover vom irischen Künstler Colin Davidson malen. Durch den pastosen Farbauftrag wirkt ihr Gesicht wie eine Bronzeskulptur oder grob behauener Stein. Eine Frau mit Struktur und Patina. Davidsons Gemälde ist zweifellos ein Denkmal.
Auch die US-Malerin Elizabeth Peyton, die seit langem in Berlin lebt, malte Merkel für ein Magazin. In der US-"Vogue" lässt sie die Kanzlerin aquarellig zart aussehen und ihre Augen in hoffnungsvollem Poolblau leuchten. Das Bild ist eine Hommage an die gefühlige Merkel, die sich im Sommer 2015 offenbarte - und ein Schlag vor den Kopf für alle, die ihre Entscheidung für einen historischen Fehler halten.
Auch zu ihrem 65. Geburtstag Mitte Juli lässt sich Angela Merkel gleich in zwei Kunstausstellungen entdecken. In den Hamburger Deichtorhallen zeigt der Fotograf Walter Schels unter anderem seine Serie "Hände", für die er die Gesichter und Handflächen von Prominenten wie Unbekannten ablichtet.
Eigentlich geht es Schels dabei um die Hände als "zweites Gesicht", als unverwechselbares Merkmal eines Menschen. Aber wenn man sein 14 Jahre altes Bild von Angela Merkel mit erhobenen Händen heute ansieht, kann man sich dem Assoziationsstrom kaum entziehen: Ist das eine Geste der Abwehr oder des Aufgebens? Beides vorstellbar nach den Anfeindungen, dem Rücktritt vom Parteivorsitz und dem angekündigten Ende ihrer Kanzlerschaft. Sind das die Hände, die zittern? Auch Merkels öffentliche Schwäche (ausgerechnet bei der Nationalhymne) offenbart die Polarisierung der Gesellschaft. Die einen verlangen von Merkel Rechenschaft über ihre Gesundheit, die andere Hälfte will sie vor diesem Verlangen schützen.
Merkel als Postergirl
In Chemnitz, dem Ort der rechten Aufmärsche von 2018, hat das Künstlerduo "M+M" Angela Merkel in ihrer Ausstellung "Fan der Menschheit" sogar einen ganzen Raum gewidmet. Im "Panic Room Chemnitz" sind alle Wände mit Auszügen aus der "Wir-schaffen-das"-Rede tapeziert. Darauf sind Videostills aus Beiträgen zu den rechten Demonstrationen in Chemnitz geklebt. Der "Panic Room" ist entgegen seiner eigentlichen Funktion kein Schutzraum, der die Gefahr aussperrt, sondern vielmehr ein Ort, der Menschen aus verschiedenen Gründen in Panik versetzt. Die einen, weil sie Merkels Rede als Platzhalter für das Ende des Abendlandes verstehen und ihr jedes Verbrechen eines Nichtdeutschen persönlich anlasten. Die anderen, weil sie diese Reaktionen auf die Merkel-Rede entsetzen.
Zur Ausstellung gibt es mit "Merkel 05" sogar ein eigenes großformatiges Magazin. Darin ist in aller Ausführlichkeit die Pressekonferenz vom 31. August 2015 abgedruckt, auf der der folgenschwere Satz gefallen ist. Eine Seite mit einem Pop-Art-bunten Doppelportrait der Kanzlerin kann man sich sogar als Plakat aufhängen. Dass es Angela Merkel nochmal zum Postergirl der zeitgenössischen Kunst schafft, hätte man auch nicht gedacht.