Die älteste und zugleich wieder aktuellste Angst vor Künstlicher Intelligenz (KI) rührt daher, dass eine KI plötzlich die Seiten wechseln und sich gegen den Menschen stellen könnte, wie es der Historiker Yuval Noah Harari regelmäßig befürchtet. Das kann ganz schnell passieren – das beweist der Künstler Andreas Greiner in seiner neuen Einzelausstellung "Game of Life" in der Berliner Galerie Dittrich & Schlechtriem.
Ein Mann kommt in einem marineblauen Blazer in die Ausstellung und wird anfangs von einer KI-Stimme dafür gelobt, dass er so sophisticated aussehe, viel förmlicher als die anderen Ausstellungsbesucher. Dann dreht sich der Wind, die KI wechselt das Team: Eigentlich sei ein legeres Outfit passender, findet die Stimme. Eine tiefgründige Persönlichkeit habe es nicht nötig, sich schick anzuziehen, um anderen etwas vorzumachen. Und dieser marineblaue Blazer sei nun nicht gerade ein "Ozean an Weisheit".
So kommt das Berliner Kunstpublikum, das in den Galerieräumen alle paar Minuten von einem fahrenden Roboter fotografiert wird, vor das erbarmungslose KI-Modetribunal. Alles geht automatisch vonstatten, wenn auch nur langsam. Das Eigenleben der Installation programmierte Andreas Greiner in mehreren KI-Softwares, wie dem von Facebook entwickelten Programm LLaMA.
"Das bin ja ich"
Über einen "Mann mit Bart" und einen "weisen alten Vogel" sagt die KI, sie seien "in Wahrheit doch nur Senioren-Hipster, die um jeden Preis relevant bleiben wollen". Gelobt wird hingegen eine "schlanke, stolze" Ausstellungsbesucherin für "ihre markanten Züge, ihren stylischen schwarzen Rollkragenpullover und ihre Designerbrille." "Das bin ja ich", sagt die Frau.
Ansonsten macht Greiners KI viele Fehler, vor allem bezüglich Alter und Geschlecht. Wenn sie auf den Fotos nichts erkennen kann außer den allgegenwärtigen Smartphones ("Wahrscheinlich machen sie wieder Fotos und stellen sie auf Social Media."), erfindet sie einfach neue Personen oder besonders blumige Outfits. Oder die KI philosophiert über Freiheit und Zwang. Mittels Mode wolle der Mensch zugleich dazugehören und sich von anderen abgrenzen, sagt die KI, das sei ein ewiger Dualismus.
Es sind sogar drei verschiedene KI-Stimmen, die aus drei Lautsprechern in einem von der Decke hängenden Sputnik-Kronleuchter schallen, zwei weibliche und eine männliche im Gespräch miteinander. Als einen Politiker, eine Kunsthistorikerin und eine Zen-Buddhistin hat Greiner die drei programmiert – und somit alle drei auch als Satire. Ein gelungenes Outfit hat noch keine der drei Stimmen am Körper getragen, aber das hindert sie natürlich nicht daran, die gesamte Modesoziologie aus dem Internet zu zitieren und zu Kalendersprüchen zu verdichten.
Performatives Potenzial
Nach vielen visuellen KI-Kunstwerken in den vergangenen Monaten, die als oberflächlich und dekorativ kritisiert wurden, ist es spannend, wie Greiner das performative Potenzial von KI austestet: in einem Galerieraum, der durch rote Samtvorhänge zu einer Theaterbühne wird.
Auf einem großen Bildschirm sind nebst Text die Fotos zu sehen, die die drei KIs zusammen kommentieren und die eine Art Saugroboter von den Besuchern macht. Der Roboter trägt einen Bonsai-Olivenbaum unter einer Glasglocke auf seinem Rücken mit sich herum und schleicht eigenständig durch den Raum, auf der Suche nach seinem nächsten Opfer. An der Seite hat er ein rotes Kameraauge, das an HAL-9000 aus dem Stanley-Kubrick-Film "2001: Odyssee im Weltraum" erinnert und vor dem die Ausstellungsbesucher in die Knie gehen, wenn sie sich nicht von unten fotografieren lassen möchten.
Ganz so garstig wie der mörderische HAL-9000 ist die KI bei Andreas Greiner leider nicht, nur ein bisschen schnippisch. Trotzdem wird deutlich: Dank Künstlicher Intelligenz gibt es in der Kunst neue Möglichkeiten, die über die klassischen interaktiven Installationen weit hinausgehen (auch Lynn Hershman Leeson spiegelte ihren Ausstellungsbesuchern 1993 schon den eigenen dümmlich-gaffenden Blick als Video zurück). Konnte in den 1990er-Jahren vielleicht ein Dutzend verschiedener Szenarien durch die Besucher einer interaktiven Installation ausgelöst werden, sind es heute bei Andreas Greiner unendlich viele Ausgänge, innerhalb bestimmter Grenzen.
Symbolik des Olivenbaumes
Einerseits spricht Greiner enthusiastisch über die Möglichkeiten von KI. Andererseits beweist er mit "Game of Life", dass sie gar nichts kategorisch anderes oder Disruptives ist. Denn in der Ausstellung gibt es ja noch mehr Arbeiten, die sich kontinuierlich von Neuem selbst generieren. Im titelgebenden Wandbild "Game of Life" drehen sich schwarz-weiße münzgroße Pünktchen nach mathematischen Regeln hin und her, sodass schwarmähnliche Muster daraus entstehen. Ein Volk aus schwarzen Pünktchen überfällt ein anderes schwarzes Pünktchenvolk vor weißem Hintergrund. Auch dahinter steckt ein Computer, aber keine KI. Im Kronleuchter stehen außer den drei Lautsprechern winzige Olivenbäume, die von violetten Pflanzenlampen herangezüchtet werden. Die Olivenbäume können sich bequem auf ihrem Status als Lebewesen ausruhen.
Doch nach genug Zeit in der Ausstellung – und im Anschluss an die Kunstphilosophie von Hans Haacke – wird es vielleicht zunehmend schwerer, diesen Status den KIs (ebenfalls offene, sich in Interaktion ständig wandelnde Systeme) zu verwehren.
Überhaupt ist der Olivenbaum ein schönes Symbol. Einen Olivenzweig bringt in der Bibel eine Taube zur Arche Noah zurück, um von Gottes Rettung zu künden, als die Sintflut überstanden ist. Wenn die Menschheit untergehen muss, sollte es also folgerichtig durch ein selbstfahrendes Olivenbäumchen geschehen.
Science-Fiction-Archen
Die Arche inspirierte Andreas Greiner dann noch zu einer neuen Bilderserie, die in der Galerie zu sehen ist. Die KI-Software Midjourney hat in Greiners Auftrag in Sekundenschnelle Science-Fiction-Archen entworfen, mit deren Hilfe sich die Menschheit eines Tages aus dem Staub machen könnte ("Exodus", "Movement to Venus").
Eine wochenlange Arbeit war es hingegen und ganz altmeisterlich sieht es im Ergebnis aus, wie diese KI-generierten Motive in die drei verschiedenen Schichten von kupfern-schillernden Computerplatinen eingeätzt wurden. Fast scheint es, als glänzte darauf noch menschlicher Schweiß.