Nachfolge von Okwui Enwezor

Andrea Lissoni wird Direktor am Haus der Kunst in München

Mit dem Haus der Kunst übernimmt Andrea Lissoni eine Institution in der Krise. Der hierzulande eher unbekannte Tate-Modern-Kurator kann den Ort mit seinem offenen Kunstbegriff bereichern - aber nicht alle Probleme lösen 

Man wusste gar nicht, wie man die Frage überhaupt stellen sollte: Wer würde die Ehre haben, das Haus der Kunst zu übernehmen und damit die Nachfolge von Kuratoren wie Christoph Vitali, Chris Dercon und dem im März verstorbenen Okwui Enwezor anzutreten? Oder umgekehrt: Wer würde sich bereit erklären, ein Haus in der Krise zu übernehmen, belastet mit der mehrfachen Hypothek eines bevorstehenden Umbaus und eines Finanzloches, an der Leine eines kaufmännischen Geschäftsführers, der zuletzt nicht gerade durch Fingerspitzengefühl überzeugte?

Jetzt endlich ist die Antwort da: Wie das Bayrische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst mitteilt, wird Andrea Lissoni ab April 2020 neuer Direktor des Hauses der Kunst in München. Der 1970 geborene italienische Kunsthistoriker ist in Deutschland bislang wenig bekannt: Seit 2014 war er als Senior Curator für Film und internationale Kunst an der Tate Modern tätig, davor leitete er den renommierten Ausstellungsraum Pirelli HangarBicocca in Mailand.

Dort kuratierte er unter anderem Ausstellungen mit Tomás Saraceno, Apichatpong Weerasethakul, Mike Kelley und Ragnar Kjartansson. In London entwickelte er eine neue Kino-Reihe, war maßgeblich an der Neuinstallation der Sammlung im 2016 eröffneten Anbau beteiligt und arbeitete an der großen Joan Jonas Ausstellung 2018 – ironischerweise genau an jener Schau, die von Okwui Enwezor nach München eingeladen und von Geschäftsführer Bernhard Spies dann "aus Kostengründen" wieder abgesagt worden war.

Die Herausforderungen warten

Insofern weiß Lissoni bereits sehr gut, worauf er sich in München einlässt. Die Frage wird nun sein, ob und wie die Institution neu aufgestellt wird. Das Finanzierungskonzept der Stiftung Haus der Kunst ging von Anfang an davon aus, dass sie stark von Mäzenen und Sponsoren unterstützt wird – wie wackelig dieses Konzept ist, zeigt die aktuelle Krise. Gleichzeitig ist immer noch nicht klar, ob der von Enwezor gewünschte Umbau des Hauses nach dem Konzept von David Chipperfield wie geplant stattfindet – auch das dürfte eine Herausforderung für Lissoni sein.

Als Okwui Enwezor 2011 nach München kam, war er ein international bekannter Kurator mit einer Documenta und zahlreichen Biennalen im Rücken, ein brillanter Intellektueller mit einer innovativen Agenda. Lissoni hat als Kurator dagegen bislang nicht auf der großen Bühne gespielt, dafür aber mit der Tate Modern eine der besten Institutionen der Welt im Lebenslauf stehen. Für ihn ist das Haus der Kunst trotz der aktuellen Widrigkeiten ein sinnvoller Karriereschritt.

Freude auf den offenen Werkbegriff 

In München kann man nun bedauern, dass weiterhin keine große Kunstinstitution von einer Frau geführt wird. Aber man kann sich wahrscheinlich auf einen offenen Werkbegriff des neuen Direktors freuen, der Film, Performance und Event bislang genauso selbstverständlich zu seinen Interessen gezählt hat wie die klassischeren Kunstgattungen. Die mit der Suche nach der neuen Leitung betraute Findungskommission lobte außerdem bereits das Auftreten des Italieners. Er schlage eher leise Töne an und stelle die künstlerische Kraft seines Programms ins Zentrum. 

"Ein Museum für zeitgenössische Kunst ist ein Ort für unerwartete Begegnungen", sagte Lissoni mal in einem Talk auf Mailänder Messe. "Es ist wie auf einer Piazza". Im Museum, so Lissoni, treffen sich die verschiedensten Menschen und werden mit etwas konfrontiert, für das sie keine Spezialisten sind. "Wie kann ein Museum ein Ort sein, der Menschen mit verschiedensten Biografien willkommen heißt?" Auf diese Frage wird er hoffentlich im Haus der Kunst eine gute Antwort geben. Die Frage nach der finanziellen Ausstattung und der organisatorischen Struktur des Hauses aber kann auch ein neuer Direktor nicht lösen. Das ist die Aufgabe der Politik.