Es ist unmöglich, die Stufen zu Ana Lupas' Ausstellung "Intimate Space – Open Gaze" im Kunstmuseum Liechtenstein unbeobachtet zu erklimmen. Schon im Foyer blicken ihre Porzellanaugen-Skulpturen mit fast einem Meter Durchmesser auf einen herab. Keins gleicht dem anderen, Paare sind nicht zu erkennen, und so wirken sie ein bisschen unheimlich und bedrohlich, wie sie dort schweigend liegen und starren. Ganz so, als hätten riesige Zyklopen sie dort kurz abgelegt, um sie später wieder zurück in ihren Kopf zu setzen. Manche sind versehrt, manche zugenäht, manche müde, aufgerissen, umgedreht.
Lupas' Skulpturen–Serie mit dem selbsterklärenden Namen "Eyes" entstand zwischen 1974 und 1991 und ist nun zum ersten Mal selbst dem urteilenden Blick der Öffentlichkeit preisgegeben. Überhaupt ist hier vieles aus ihrem Werk als Premiere zu sehen, in dieser großen, ja bisher wohl größten Retrospektive der 84-jährigen rumänischen Künstlerin. Einer Persönlichkeit, die trotz ihres beeindruckend komplexen und beständigen Lebenswerks, wie viele Frauen ihrer Generation in Westeuropa, nur langsam zu Bekanntheit und Anerkennung gelangt.
Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit dem Amsterdamer Stedelijk Museum. Einige der dort gezeigten Arbeiten sind bis März 2025 auch in Liechtenstein zu sehen, andere Teile unterscheiden sich von der niederländischen Präsentation, die den Namen "On This Side Of The River Elbe" trug. Die Kuratorinnen Leontine Coelewij (Stedelijk Museum) und Letizia Ragaglia (Direktorin Museum Liechtenstein) bereiteten die Versionen in ihren jeweiligen Häusern gemeinsam vor, reisten dafür häufiger zu Lupas nach Cluj, gemeinsam und einzeln. Die Künstlerin gilt als scheu. Nur wenige von denen, die schon bei ihr anklopften, bekamen die Chance, einen Blick auf ihr Werk zu erhaschen. Und noch viel weniger sahen mehr als ein paar ausgewählte Arbeiten. Viele Galerien sollen schon gefragt haben, doch Lupas vertraute bisher nur einer: P420 aus Bologna.
Zu wenig Kunst im engen Sinne des Regimes?
Skulptur, Performance, Installation, Enviroment, Textil – die Medien in Ana Lupas' Œuvre sind so vielseitig wie experimentell. Und sie waren unkonventionelle Genres unter der kommunistischen Diktatur Nicolae Ceaușescus (1965 bis 1989), deren enger Kunstbegriff sich fast ausschließlich auf den vorherrschenden sozialistischen Realismus stützte und unter dessen Regime Lupas konstant arbeitete, sogar unterrichtete. War ihre Kunst zu wenig Kunst im engen Sinne des Regimes? Oder bediente sie sich absichtlich ihrer Formensprache, um unter dem Radar von Zensur und Unterdrückung produzieren zu können?
Ana Lupas kommt 1940 in Cluj-Napoca als Kind einer großbürgerlichen Familie zur Welt. Unter ihren Vorfahren finden sich Professoren, Senatoren, Politiker. Noch während des Zweiten Weltkriegs wird die Familie verfolgt, muss ihren Heimatort verlassen und findet Zuflucht in der Stadt Braşov. 1945 kehrt die Familie nach Cluj zurück. Dort ist sie massiver Repression und Gewalt ausgesetzt. Die Familie wird enteignet, die Erwachsenen erhalten Arbeitsverbot, die Kinder dürfen gewisse Schulen nicht besuchen.
Dies gilt jedoch nicht für die Scoala Medie of Art in Cluj, an der Lupas 1952 als Zwölfjährige zu studieren beginnt, sich auf textile Kunst spezialisiert und schon mit 16 Jahren an der Ausstellung "Exhibition for Very Young Artists" in Brüssel teilnimmt. Trotz des rigiden Regimes ist dies nicht die einzige internationale Schau im Westen, an der Lupas bis zum Fall der sozialistischen Republik 1989 teilnimmt. 1962 beendet sie ihr Studium, beginnt selbst zu unterrichten und entwickelt ihr vielschichtiges, von Neo-Avantgarde und lokalen Traditionen geprägtes Werk. 1990 erhält Lupas die vormals enteignete Villa der Familie zurück, die ihr bis heute als Atelier- und (Schau-)Lagerraum dient.
Kommunismus als "Tumor"
Mit Geduld, Zeit und Hilfe ihrer Schwester Marina haben die beiden Kuratorinnen nun Werk um Werk aus den "Verstecken" gelockt, immer wieder Neues, Überraschendes entdeckt und erfahren. Zum Beispiel, dass Lupas nicht nur die eine große Porzellan-Skulptur des Auges mit Netz produzierte, die sich schon seit Längerem in der Sammlung des Kunstmuseums Liechtenstein befindet, sondern dass diese lediglich ein Element einer mehr als 20-teiligen Serie ist.
Das Werk der rumänischen Künstlerin wird oft als konzeptionell, experimentell und radikal beschrieben – die Inhalte als regimekritisch und widerständig gedeutet. Klar ist, Ana Lupas, die in der eigenen Familie den Schrecken von Ceaușescus Diktatur erlebte, hasst den Kommunismus.
Noch heute vergleicht sie ihn mit einem Tumor, dessen Folgen noch Jahrzehnte nach seiner Entfernung nachwirken. Doch sind ihre Arbeiten keineswegs ostentativ politisch oder offen kritisch. Vielmehr zeichnen sie sich durch subtile Gegenentwürfe, einen tiefen Humanismus und zuweilen fast spirituell anmutende Liebe aus, formal oft gepaart mit den medialen Mitteln, die aus Not und Notwendigkeit entsprangen: Material war teuer und oft nicht verfügbar.
Rebellion durch geheimen Individualismus
Am deutlichsten wird dies wohl in Lupas‘ "Coats to Borrow" von 1989, die sich im letzten Raum der Ausstellung befinden. Auf orangen Stahlmöbeln (der passende Lack war zur Zeit der Entstehung der einzige verfügbare) hängen Parka-ähnliche Jacken. Lupas nähte sie aus Uniformstoff, den sie teils selbst mit Batik-Muster versah. Allein das handwerkliche Können, das in den detailreichen Schnitten der Jacken steckt, ist beeindruckend. Die Mäntel waren als partizipatives Werk zum Weitergeben gedacht: Jeder Träger und jede Trägerin schrieb sich mit Namen auf einem selbst gestalteten Etikett am Innenfutter ein: Rebellion durch Individualismus – aber im Geheimen.
Es ist längst nicht Lupas‘ einzige partizipative Arbeit, in der die Künstlerin den Einzelnen in den Vordergrund rückt und den Menschen so dem kommunistischen Kollektiv enthebt, ihm Geschichte (zurück)gibt, auch rituelle und folkloristische, die das Regime unterdrückte. Auch anderswo wird die Kombination hyperlokaler gesellschaftlicher Werte, Traditionen und Bedürfnissen mit individuellem Ausdruck deutlich: Bei "Humid Installation" von 1970 zum Beispiel, bei der Lupas nasse, traditionell gewebte Leinentücher auf fast grafisch anmutend gespannte Leinen in regelmäßigen Abläufen auf einem Berghang hängen ließ. Oder beim ortsspezifischen Werk "The Solemn Process" von 1964, in dem sie diverse abstrakt anmutende Ährenskulpturen auf Metall aufbringen ließ und für diese Kisten aus Aluminium herstellte.
In einem besonders beeindruckenden Raum der Schau reihen sich übermalte Plakate mit dem Gesicht der Künstlerin aneinander. Es sind übrig gebliebene Ausstellungsposter einer Schau von 1998. Die Serie "Selfportrait" von 2000 stammt aus dem späten Werk der Künstlerin und ist ebenfalls zum ersten Mal überhaupt öffentlich ausgestellt. Wie ein zeichnerisches Tagebuch übermalte Lupas die Drucke, erweiterte ihr Gesicht um Schichten, ergänzte ganze Personas; ganz so, als sei sie nach dem jahrzehntelangen Reparieren der gesellschaftlichen Identität ihres Umfelds auf der Suche nach ihrer ganz eigenen Form, ihrem Sein, ihrem eigenen Selbst – mit gnadenloser Intensität.
Schlüssel zu den Grauzonen
Verlässt man die Ausstellung, stieren da wieder die fein gezeichneten Augen vor sich hin: auf die Besucherinnen, jedoch auch auf eine kleine, von Lupas ausgewählte Sammlungspräsentation, in der sich auch ein Bild aus dem Besitz der Künstlerin befindet: ein Stillleben der eigenen Großmutter. Sind es die Augen der Künstlerin, die ihre eigene Geschichte betrachten? Sind es die omnipräsenten Beobachter des denunzierenden kommunistischen Regimes? Sind es die Augen der Opfer? Eines spirituellen Wesens? Beschützen oder kontrollieren sie?
Wer einen Blick einfängt, schaut auch zurück. Und vielleicht liegt hier der Schlüssel zu den Grauzonen des gleichermaßen sinnlich-mythisch wie politisch aufgeladenen Werkkörpers Ana Lupas', den man in jedem Fall ganz genau betrachten sollte.