Amoako Boafos Atelierhaus in Accra

"Wir waren bisher einfach nicht sichtbar"

Der Maler Amoako Boafo wurde mit seinen Porträts Schwarzer Personen auf Instagram berühmt. Jetzt startet der Shooting-Star sein eigenes Residency-Programm in seinem Heimatland Ghana. Ein Besuch

Wie eine Skulptur, die darauf wartet, bewohnt zu werden, erhebt sich der von Sir David Adjaye entworfene Bau aus dunkelrotem Lehm und grauem Beton mitten in dem Fischerviertel Osu, in dem sein Bauherr, Amoako Boafo, aufgewachsen ist. Der dreistöckige Bau ist in diesem Viertel von Accra weit und breit das einzige Gebäude mit vergleichbarer Traufhöhe und blickt mit einem gewissen Stolz auf den benachbarten Golf von Guinea. Dieses Gebäude wurde errichtet, um zu bleiben.

Boafo, der an dem inzwischen aus finanzieller Not geschlossenen Ghanatta College of Art and Design in Accra sowie im Rahmen eines Stipendiums an der Kunstakademie in Wien studierte, legte am internationalen Kunstmarkt einen raketenhaften Start hin, wurde kurzfristig zu einem der größten Spekulationstitel zeitgenössischer afrikanischer Malerei und wird inzwischen von der in Paris und Chicago ansässigen Galeristin Mariane Ibrahim vertreten. Erst vor wenigen Woche hat auch die Gagosian Gallery eine große Einzelausstellung mit ihm angekündigt.

Einen Großteil des Geldes, das Amoako Boafos als Shooting-Star am Kunstmarkt verdiente, hat er nun in das von ihm erdachte und erbaute Atelier- und Residencyprojekt Dot Ateliers gesteckt, das jungen Künstlerinnen und Künstler aus Accra Räumlichkeiten für ihre eigenen Projekte zur Verfügung stellt und ihnen darüber hinaus dabei helfen möchte, sich untereinander und mit Institutionen, Sammlern und Galerien zu vernetzen.

"King Boafo"

Einen Steinwurf von der Baustelle entfernt hat Bofao Atelierräume für zehn junge Künstlerinnen und Künstler gekauft, die ihn liebevoll als "Boss" und "Friend" bezeichnen und in höchsten Tönen von ihm sprechen. Ohne "King Boafo" hätten sie ihre künstlerische Laufbahn niemals eingeschlagen. Wie auch in einem Land, in dem man zumindest bis vor wenigen Jahren überhaupt kein Geld mit Kunst verdienen konnte? Bei einem Streifzug durch die Ateliers fällt auf, dass sich alle Künstlerinnen und Künstler wie Amoako Boafo selbst vor allem mit der traditionellen Form des Porträts beschäftigen – und hierfür sehr unterschiedliche technische und stilistische Ansätze entwickelt haben.

Aplerh Doku Borlabi, vertreten von der in Accra und London ansässigen Gallery 1957, etwa schafft Gesichter aus getrockneten Blättern der Kokosnuss-Palme und eifert in seinen Kompositionen seinem Meister und Förderer Boafo nach; Crystal Yayra Anthony hingegen hat sich der Schwarzen Aktmalerei verschrieben und schlägt mir ihren violetten Körpern eher einen expressionistischen Tonfall an. Auf die Frage, warum das Porträt eine so große Rolle spiele, antwortet Crystal: "Wir waren bisher einfach nicht sichtbar. Jetzt können wir unsere Körper und unseren Ausdruck feiern. Wir wollen nicht mehr als Opfer oder Problemfälle stigmatisiert werden. Es geht uns darum zu zeigen, dass unser Blut auch rot ist!"

Es ist sicherlich diese gemeinsame Haltung, die die Kunstschaffende rund um Amoako Boafo als Community zusammenschweißt, ohne dass sie sich als Kollektiv bezeichnen würden. "Wir teilen einen gemeinsamen Ort; aber nicht ein Zimmer", betont der ebenfalls von der Gallery 1957 vertretene Eric Adjei Tawiah. "Wir besuchen uns in unseren Studios, reden gemeinsam über unsere Arbeiten. Natürlich machst du deine Kunst – aber ohne die anderen geht nichts."

Die Kuratorin Aida Esi Hayfron-Benjamin, die das Programm der Residency betreut, schlägt den Begriff einer "Schule" vor – weniger im akademischen, sondern eher im kunsthistorischen Sinne. Haben wir es hier also vielleicht mit einer neuen Künstlergruppe zu tun, die wie Die Brücke oder Der Blaue Reiter in die Kunstgeschichte eingehen wird?

Bei allen Unterschieden der angewandten künstlerischen Ausdrucksformen und Motive gibt es zumindest eine eindeutig wiederkehrende Haltung, die alle Künstlerinnen und Künstler der Third Kaadjano Street teilen: Die porträtierten Freunde oder Verwandten strahlen in ihren Blicken und Körperhaltungen allesamt einen unverwundbaren Stolz und darin eine anmutige Überlegenheit aus.

Auch Amoako Boafo ist stolz an diesem letzten Novemberwochenende: Dass der Neubau der Residency noch eine Baustelle ist, auf dem Betonmischer rattern und Kabel verlegt werden, trübt seine große Pläne für die Dot Ateliers in keinster Weise. "Das Gebäude ist genau wie ich. Es schreit nichts heraus – und es ist trotzdem nicht zu übersehen."

Beim Rundgang durch das skulptural anmutende Gebäude führt der 38-jährige Künstler seine Vision für das Residency Programm aus: "Der Name Dots steht für den Punkt, der das Ende von etwas, aber auch den Beginn von etwas Neuem signalisiert. Und dieses Gefühl sollen die Künstler, die hier arbeiten werden auch haben. Dass sie etwas Neues anfangen können. Im ersten Jahr werden wir unsere Artists in Residency handverlesen auswählen, um das Profil der Dot.ateliers zu schärfen. In Zukunft planen wir auch Kooperationen mit internationalen Institutionen und wollen mit der University of Iowa ein Austauschprogramm für unsere Artists in Residence aufbauen."

Eine bunte Bühne

Im Innenhof des Atelier-Gebäudes wird inzwischen engagiert in neonfarbenen Trikots in der heißen Abendsonne Fußball gespielt, ein uniformierter Polizist macht den Schiedsrichter. Auf dieser bunten Bühne taucht überraschend der milliardenschwere Kunstsammler Nicolas Berggruen mit seinem Bruder Olivier aus einem der Atelierräume auf. Bald steht noch ein selbstbewusster Händler aus Dubai auf dem Hof und die Worte "Art Basel", "Frieze" und "Gagosian" fliegen durch die Luft.

Ein plötzlicher Stromausfall hält weder die Fußballer noch die umherstehenden Gäste aus Europa, Dubai und den USA von ihre Spielen ab. Durch das noch im Bau befindliche Dachgeschoss des modernen Lehmgebäudes von David Adjaye weht ein erfrischender Abendhauch, und durstige Vögel haben sich zum Trinken aus einer Pfütze der Baustelle verabredet. Das Eröffnungswochenende der Dot-Residency wartet mit einem großen Rahmenprogramm auf die aus allen Himmelsrichtungen angereisten Freunde und Sammler: eine Tour durch unterschiedliche Kunsträume, wie das Theater der Terra Alta Stiftung, den Freedom Skate Park und die Nabuke Foundation, die augenblicklich Na Chainkua Reindorf zeigt, die auf der diesjährigen Venedig-Biennale, den Ghana-Pavillon bespielte. 

Im Residency-Gebäude selbst zeigt Amoako Boafo neue Arbeiten von sich selbst und eine Group Show der jungen Künstlerinnen und Künstler, die in seinen Ateliers arbeiten: Alle von ihnen eingebrachten Arbeiten sind im Dialog mit Amoako entstanden – teilweise hat er die Haare oder die Augenpartie der Porträtierten gestaltet. Signiert sind die Arbeiten von beiden. Natürlich weiß Boafo darum, dass diese Geste die Werke der nächsten Generation noch begehrenswerter macht.

Auf der abendlichen Vernissage tritt der in Accra lebende und arbeitende Musiker M.anifest auf. Seine Beats schallen über die umliegenden Dächer in Richtung Ozean. Seit diesem Wochenende ist Amokao Boafos Atelierhaus ein neues Epizentrum der zeitgenössischen Kunst in Westafrika.