Gerade einmal 36 Quadratmeter misst der länglich-schmale Raum, in dem Martin Kwade hektisch auf und ab wandert. Lange braucht er nicht, um von der Saftpresse an der Theke bis zum verglasten Eingang zu gelangen. Und doch gestaltet sich der kurze Weg aktuell als Spießrutenlauf. Denn quer über die Galerie Kwadrat verteilt thronen derzeit 14 Marmorstelen, auf denen jeweils eine Orange liegt. Immer wieder rückt Kwade sie zurecht, versucht, die richtige Balance in der Fläche zu finden. Denn mit über 100 Ausstellungen ist der Galerist zwar schon routiniert, aber dieses Gastspiel ist nochmal etwas Besonderes – denn es ist gar keins. Zum ersten Mal zeigt er nämlich die Werke seiner Schwester: Alicja Kwade.
"Angefangen hat das mit einer Quantenbanane", erklärt sie den Ansatz der aktuellen Ausstellung. Aus dem Versuch, sich mit "wahnsinnig komplizierten quantenmechanischen Sachverhalten" zu beschäftigen, entwickelte sich damals eine silbrig patinierte Bronze einer Bananenschale, die sich wie eine dreibeinige Lebensform von ihrem Sockel streckt. Auch eine gepellte "Quantenkartoffel" hat sie bereits künstlerisch auf dem Gewissen. Dabei schwingen im Kleinen genauso die großen Fragen mit, die auch ihre raumfüllenden Skulpturen und Installationen auszeichnen: die Suche nach dem Kosmischen und Unbegreiflichen.
Die Idee, dieses neue Projekt aus der metaphysischen Obst- und Gemüseabteilung zusammen zu gestalten, habe sich dabei ganz spontan ergeben. "Alicja hat mir eine der Orangen gezeigt, und das fand ich so schön absurd", erklärt Martin.
Persiflage von Gesundheits- und Marketingstrategien
Die neue Werkserie trägt den Titel "Citrusmultiplex". Dabei handelt es sich um Plastiken, die mithilfe von Fruchtstücken gegossen wurden. Verlorene Form nennt sich dieses Verfahren, bei dem die Gussform im Laufe des Fertigungsprozesses zerstört wird. Dadurch wird jede so erzeugte Bronze zum Unikat. Was sie eint, ist jedoch, dass sie alle mehrere Stielansätze haben. "Das ist, als würde eine Orange ihre Kraft aus mehreren Bäumen gleichzeitig ziehen", erklärt Alicja Kwade.
Eine solche, besonders wohlgenährte Frucht, wäre damit wohl die "allerbeste Orange". Die Auseinandersetzung mit der Jagd nach Superlativen zieht somit auch an ihrem Werkkanon nicht vorbei: "Für mich ist das auch eine Persiflage von all diesen Gesundheits- und Marketingstrategien, die uns derzeit eingetrichtert werden."
Vor allem mit der Mise-en-Scene der Plastiken innerhalb der Galerie sei sie zufrieden. "Gewissermaßen wirkt es wie ein Geschäft, aber statt Schuhen oder Handtaschen gibt es hier eben 14 Orangen".
"Alicja hat mich dann schnell überholt"
Dass es die Kwade-Geschwister einmal künstlerisch zusammenführen würde, haben beide nach eigener Aussage nie bezweifelt. "Unser Haushalt hat uns das gewissermaßen vorgelebt", meint Alicja. "Unser Vater war Kunsthistoriker und Galerist", pflichtet Martin bei. Hinzu käme, dass die beiden einer alten Kattowitzer Tischlerfamilie entstammen, in der künstlerisches Handwerk von jeher großgeschrieben wurde.
In ihrer Kindheit in Schlesien hätten die beiden oft zusammen Kunst gemacht, beispielsweise Krippen aus Knetmasse zur Weihnachtszeit. Das Modellieren habe dem drei Jahre älteren Martin anfangs sogar mehr gelegen als Alicja, die dafür aber besser und schneller zeichnen konnte. "Alicja hat mich dann aber schnell überholt", verrät ihr Bruder. Mit dem Besuch von Kunstkindergarten und Kunstgrundschule schien der Pfad der beiden vorprogrammiert, als die Familie Mitte der 80er-Jahre aus Polen nach Hannover floh.
Zwar zog es Martin Kwade ursprünglich in Richtung Jura, doch noch während des Studiums besuchte er regelmäßig seine Schwester an der Berliner Universität der Künste. Schon damals habe man sich gegenseitig rege unterstützt. "Martin hat mir geholfen, meine Arbeiten zu transportieren und aufzubauen, und ich habe ihm geholfen, seine erste Ausstellung zu organisieren", erinnert sich seine Schwester. Anfangs stellte er geliehene Werke von Alicja und ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen in seiner Berliner Wohnung aus. "Mein Zimmer hatte schöne große weiße Wände", erklärt Martin amüsiert.
Die aktuelle Zusammenarbeit könnte nicht die letzte bleiben
In seiner vor fünf Jahren bezogenen Galerie Kwadrat gibt es davon nur eine. Die ihr gegenüberliegende Backsteinmauer ist ein Zeugnis der Historie, die die alte Remise in ihren Gemäuern verbirgt. Der ehemalige Pferdestall inmitten der Kreuzberger Bechsteinhöfe stand kurz vor dem Verfall, ehe der 48-Jährige ihn herrichten ließ.
Seitdem setzt sich dort Martin Kwades Zusammenarbeit mit Künstlern wie Tobias Dostal, Timo Klöppel, Johannes Albers und zuletzt Lara Koch fort. Für deren Ausstellung ließ er die Galerie sogar fluten. "Wir haben das ganze Ding unter Wasser gesetzt", schildert er begeistert. Der Funke springt schnell über, wenn das Geschwisterpaar Kwade über Kunst spricht. Man könnte meinen, die aktuelle Zusammenarbeit werde nicht die letzte bleiben. Die aktuelle Ausstellung ist noch bis zum 20. Dezember zu sehen.