Ob berühmte Kollegen wie Andy Warhol, die Menschen auf den Straßen um sie herum oder Stadtansichten von New York: Mehr als 100 Porträts und andere Gemälde der US-Künstlerin Alice Neel (1900-1984) zeigt das New Yorker Metropolitan Museum ab diesem Montag, 22. März. Neel sei "eine der radikalsten Malerinnen des vergangenen Jahrhunderts" gewesen, die sich zeit ihres Lebens für Humanismus und soziale Gerechtigkeit eingesetzt habe, hieß es von dem Museum am Central Park in Manhattan.
"Trotz vieler Hindernisse ist Neel während ihrer langen Karriere ihrer Vision immer treu geblieben, und heute in unseren herausfordernden kulturellen und politischen Umständen finden ihre Bilder bei uns einen ganz besonderen Nachklang", sagte der österreichische Direktor des Museums, Max Hollein. Die Ausstellung "Alice Neel: People Come First" soll bis zum 1. August 2021 zu sehen sein.
"Nur schüchterne Leute finden meine Porträts frech. Sie sind nicht frech. Sie zeigen die Wahrheit", sagte Alice Neel in einem Interview in den 80er-Jahren. Die Wahrheit, das war das einzige Konzept, das ihre Kunst trug – und das im Jahrhundert der Abstraktion und der Konzeptkunst. Fast ihr ganzes Leben lang verbrachte die am 28. Januar 1900 in Pennsylvania geborene Künstlerin deshalb in Armut. Neel lebte zeitweise in Kuba, zog 1932 nach New York, wo sie 1935 Mitglied der Kommunistischen Partei wurde. Ihre beiden Söhne, deren Väter sich jeweils aus ihrem Leben verabschiedet hatten, zog sie in Spanish Harlem mit Sozialhilfe groß.
"Wenn ich ein Psychiater gewesen wäre, wäre ich reich geworden"
Der Malerin ging ihr dabei nicht um Repräsentation, sie malte die Menschen nicht als Beispiel für irgendwas, als Essenz einer wie auch immer definierten Humanität. Stattdessen ging sie vom Individuum aus, von seiner Persönlichkeit und Psychologie. "Ein Porträt offenbart nicht nur das, was man sieht, sondern auch das, was man nicht sieht", erklärte sie. Und sosehr die Einfühlung in die menschliche Persönlichkeit bei vielen ihrer Generationsgenossen als überholt galt: Sie bestand darauf, denn nur so konnte sie dem einzelnen Menschen gerecht werden. "Wenn ich ein Psychiater gewesen wäre, wäre ich reich geworden", scherzte sie selbst mal über ihr psychologisches Talent.
Wie gut sie wirklich war, hat die Kunstwelt erst sehr spät verstanden. 1974, sie war 74 Jahre alt, fand im New Yorker Whitney Museum ihre erste Retrospektive statt. Zehn Jahre später starb Neel. Heute gilt sie vielen schlicht als die beste Porträtmalerin des 20. Jahrhunderts – eine Künstlerin, die es schaffte, die Menschen auf ihren Bildern als eigensinnige und würdevolle Subjekte darzustellen.
"Wenn ich etwas erreicht habe, dann dieses: Ich habe immer mit dem Wandel Schritt gehalten. Dem Wandel der Gefühle, der Lebensstile", sagte Alice Neel. Sie malte Bilder von Leuten. Und wurde zur Chronistin ihrer Zeit.