Künstler Alfredo Jaar

Blut klebt am Handy

Der chilenische Künstler Alfredo Jaar erinnert im Kindl-Zentrum in Berlin an die Tragödien, die mit dem Abbau natürlicher Ressourcen einhergehen
 

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Die Adern unseres globalisierten Lebens sind aus wertvollen Mineralien und Metallen gemacht. Kein Emoji erreicht die WhatsApp-Familiengruppe ohne Kobalt, kein Tesla fährt ohne Kupfer. Satelliten werden mit Germanium betrieben. Aus Zinn wird Lötzinn, und durch Lötzinn fließt Strom. Platin brauchen wir für den begehrten grünen Wasserstoff, für Elektronik und Halbleiter. Mangan für Akkus, genauso wie Lithium und Nickel. Und der Bedarf steigt mit der weiteren Digitalisierung und dem Fortschreiten der Energiewende.

Die NGO "International Energy Forum" schätzt, dass die Welt bis 2050 zwischen 35 und 194 große neue Minen benötigt – allein für den Abbau von Kupfer. Auch der oberste Energiebeauftragte des US-Außenministeriums ist alarmiert: "Wir brauchen 25 Mal so viel Kobalt, wie wir derzeit abbauen", zitierte ihn kürzlich die "New York Times". "Wenn wir versagen, sind wir verloren." Ähnlich sieht es aus bei anderen seltenen Rohstoffen, die gerade die Weltwirtschaft massiv verändern.

"Dieser Computer, an dem wir hier miteinander sprechen, das iPhone, das Elektroauto, Sonnenkollektoren, die Cloud: Alles, was unser Leben ausmacht, hängt von diesen Bodenschätzen ab", sagt Alfredo Jaar, der aus seinem New Yorker Atelier via Zoom-Videochat sein neues Projekt fürs Berliner Kunstzentrum Kindl vorstellt. Es heißt "The End of the World". Der Künstler weiß, dass dieser Titel ein wenig drastisch ausfällt, andererseits sei die Gefahr real: "Im Grunde drehen sich alle gegenwärtigen und zukünftigen Kriege um diese Mineralien und Metalle."

Ökologische Tragödien

Jaar schickt einen Beitrag, in dem die Deutsche Welle die gewaltigen Lithium-Vorkommen in der Ukraine – unter anderem im mittlerweile von Russland besetzten Donbass – in Zusammenhang mit dem Krieg bringt. Noch im Juli 2021 hatte die EU mit dem Land ein strategisches Abkommen zur Gewinnung und Verarbeitung kritischer Rohstoffe beschlossen. Im Februar 2022 dann der Überfall.


Alfredo Jaar, dessen Heimat Chile selbst von Extraktivismus betroffen ist, hat in seiner Kunst schon früh auf die Tragödien aufmerksam gemacht, die mit dem intensiven Abbau natürlicher Ressourcen einhergehen. Im Jahr 1985 fotografierte und filmte er in der brasilianischen Goldmine Serra Pelada wochenlang die harte Arbeit der Schürfer in dem riesigen, von Menschenhand gegrabenen Krater. Porträts der mit Goldstaub und Schweiß überzogenen Minenarbeiter zeigte er auf Werbeplätzen der New Yorker U-Bahn-Station Spring Street, kombiniert mit Informationen zum aktuellen Goldpreis.

Das Gold hat seinen Preis: einen an der nur wenige Kilometer entfernten Wall Street, einen persönlichen für die Minenarbeiter. "Ich interessierte mich damals nicht so sehr für die Umweltzerstörung, die diese Mine auch bedeutete", sagt der heute 68-Jährige. "Ich war naiv, ich war jung und sah vor allem die unglaubliche, schreckliche Ausbeutung dieser Menschen." Ein Jahr später wurde die Mine weltberühmt durch die Aufnahmen von Sebastião Salgado, der seine Bilder an Fotoagenturen gab.

Zwischen Ästhetik und Ethik

Alfredo Jaar erlangte mit der Serie "Gold in the Morning" und der darauf aufbauenden Aktion "Rushes" in der U-Bahn-Station international Bedeutung und wurde 1986 zur Venedig-Biennale, 1987 zur Documenta eingeladen (nach eigenen Angaben als erster Lateinamerikaner, der an beiden Ausstellungen teilgenommen hat). Es folgten weitere Arbeiten, in denen es um die sozialen und gesundheitlichen Folgen brutaler Eingriffe in Ökosysteme geht. In "Geography = War" (1990) veranschaulichte er etwa, was Giftmüll aus Industrieländern in der nigerianischen Stadt Koko anrichteten.

1992 zog er auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro (damals besser bekannt als "Erdgipfel") schließlich eine direkte Linie zwischen Umweltzerstörung und der Zerstörung von Leben und Gesellschaften. "The Conference" war eine Installation mit Brechstangen-Symbolik: ein Verhandlungstisch, an dem die Stühle von Ländern des globalen Südens auf dem Boden stehen, die des globalen Nordens aber auf der Tischplatte. Auf den Lehnen der Stühle hatte Jaar ein Manifest geschrieben, Forderungen wie: "Den Export von Giftmüll und dessen Entsorgung auf See stoppen!", "Nationen, die giftige Materialien herstellen, sollten sie innerhalb ihrer eigenen Grenzen entsorgen", "Land- und Kulturrechte der Ureinwohner schützen und die wenigen verbleibenden Urwälder und die Kulturen, die in ihnen leben, retten".

Alfredo Jaar schaut mittlerweile selbst etwas ungläubig auf diese Arbeit: "Ich war zum Zeitpunkt der Konferenz wirklich sehr wütend." Die Arbeit des studierten Architekten zeichnet sich heute hingegen durch einen stoischen Minimalismus aus, durch Klarheit, Formstrenge und, ja, auch durch Schönheit. Er verbindet vermeintliche Gegensätze wie den zwischen Ästhetik und Ethik, zwischen Rationalität und Empathie. 

Ästhetik und Ethik gehören immer zusammen

"Ich zitiere gerne Jean-Luc Godard, den Filmemacher, den ich sehr bewundere", erklärt der Künstler. "Er sagte, dass es vielleicht wahr ist, dass man sich zwischen Ethik und Ästhetik entscheiden muss. Aber es ist auch wahr, dass man, egal für welche Option man sich entscheidet, am Ende des Weges immer die andere findet. Jede ästhetische Entscheidung ist auch eine ethische Entscheidung. Und jede ethische Entscheidung wird, um sie sichtbar zu machen, um sie zu visualisieren, zu einer ästhetischen Entscheidung. Ich also mache keinen Unterschied. Ich unterscheide jedoch zwischen Kunst, die einen kulturellen, politischen und sozialen Wert hat, und Dekoration."

Aus diesem Geist ist auch "The End of the World" entstanden, eine Installation für die große Kesselhalle der ehemaligen Kindl-Brauerei. Der Künstler möchte vor der Eröffnung nicht preisgeben, wie die Arbeit aussehen wird, deshalb sei hier nur verraten, dass er zehn geopolitisch bedeutsame Rohstoffe wie Kobalt, seltene Erden oder Lithium als bildhauerisches Material benutzt. Ein Material, das als Skulptur unschuldig wirkt, aber dennoch – beinah unsichtbar – Schicksale auf der ganzen Welt bestimmt. Wenn wir bei der Beschaffung dieser Bodenschätze versagen, sind wir verloren, sagt die Politik. Verloren haben indes schon viele Menschen, die dort leben, wo die begehrten Ressourcen im Boden schlummern.

Dieser Artikel ist zuerst im Monopol-Sonderheft zur Berlin Art Week 2024 erschienen