Als Ai Weiwei noch in Berlin wohnte, sah man ihn manchmal im Prenzlauer Berg auf der Straße, wie er mit seiner Familie zum nächsten vietnamesischen Restaurant schlappte. 2015 waren erst seine Familie, dann er selbst von Peking nach Berlin ausgereist, er bekam eine Professur in der Stadt und baute hier sein Studio auf. Jetzt kann die Öffentlichkeit erstmals einen Blick in sein damaliges Zuhause werfen: Zum Berliner Gallery Weekend eröffnet die Galerie Neugerriemschneider eine Ausstellung Ai Weiweis in seiner ehemaligen Wohnung in der Greifswalder Straße 207.
Großzügig ist sie, zwei zusammengelegte Wohnungen im Vorderhaus eines typischen Gründerzeitaltbaus, mit etwas angejahrten Holzparkett, Stuck und großen, durch Flügeltüren verbundenen Räumen, Küche im Berliner Zimmer. Hier hat Ai Weiwei mit Frau, Sohn und zwei Katzen, aber auch mit zwei Mitarbeitern seines Studios gewohnt, Gäste empfangen, die Arbeit des Tages mit dem Team abends beim gemeinsamen Kochen fortgesetzt. Und wie das so ist an den großen Berliner Ausfallstraßen, hat auch er den Reichtum an Platz und Licht mit dem Lärm der Autos und der Tram bezahlt: Wer solche Wohnsituationen kennt, sieht auch gleich, dass nur ein Schlafzimmer nach hinten herausgeht, aber immerhin.
Etwas überraschend sind die prägnanten Farben, in denen Wände und Decken gestrichen sind – wollte Ai Weiwei wirklich seine Wohnung rosa und grün haben? Die Geschichte dazu hat der Künstler kürzlich in der "Berliner Zeitung" erzählt. Als er 2020 mit seiner Familie Berlin in Richtung London verließ – mittlerweile lebt er in Portugal –, beauftragte er eine Maklerfirma mit dem Verkauf seiner Wohnung. Doch die habe die Wohnung umgestaltet und ohne sein Wissen zur Location für Events, Film- und Fotoaufnahmen benutzt – was bei dem exilierten Künstler mehr auslöste als nur Verärgerung: "Als ich sah, wie mein 'Zuhause' in den Posts und TV-Spots in einer Sprache und in einer Art und Weise dargestellt wurde, die mir vollkommen fremd ist, hat mich das noch mehr erschüttert, als seine Zerstörung es hätte tun können. Auf meine Erinnerungen an die Zeit dort fiel ein dunkler Schatten", so Ai Weiwei.
Heimat und die Suche nach einem Zuhause
Vielleicht kann man die Ausstellung "The Pleasure of Home", die jetzt dort zu sehen ist, als eine Art Wiederaneignung verstehen. Ihr Thema ist Heimat und die Suche nach einem Zuhause – was der Künstler auch ganz privat interpretiert: An den Wänden finden sich Fotos von ihm und seiner Familie, die jeweils genau in dem Zimmer aufgenommen wurden, in dem sie nun präsentiert werden. Man sieht ihn und seinen Sohn nackt zwischen Zimmerpflanzen, das Kind beim Spielen, die Familie beim Essen und Kochen. Ein großes gemeinsames Thema von Vater und Sohn scheint Lego gewesen zu sein: Eines der lustigsten Fotos zeigt Ai Weiwei mit seinem Sohn, der ihm Bart und Haare mit Legosteinen verziert hat.
Natürlich hat Ai Weiwei auch aus dem Lego wieder Kunst gemacht – in der Ausstellung sind mehrere großformatige Bilder zu sehen, in denen er Mondrian in Lego übersetzt, aber auch in einer ganz neuen Arbeit das Bild des letzten US-Soldaten, der Afghanistan verlässt. Und Ai Weiwei wäre nicht Ai Weiwei, wenn er nicht auch mit Lego einen öffentlichen Streit ausgefochten hätte: Das Unternehmen hatte ihm große Bestellungen verweigert, weil sie nicht mit politischen Inhalten in Verbindung gebracht werden wollten.
Auch sonst zieht die Schau vor allem mit einigen großen Videoarbeiten sehr dezidiert die Verbindung vom privaten Zuhause zu den politischen Fragen, die damit verknüpft sind, zu Flucht, Migration, der Corona-Krise. "Human Flow" (2017) dokumentiert das Drama von Flucht und Exil rund um die Welt, "Cockroach" (2020) verfolgt den Kampf der Demokratiebewegung in Hongkong – auch diese Menschen verteidigen ihre Heimat als demokratischen Ort – und "Coronation" (2020) zeigt die ersten Tage und Wochen im Lockdown von Wuhan.
Und Ai Weiwei wäre wiederum nicht Ai Weiwei, wenn er diese politischen Filme nicht mit handlichen Objekten für die Sammlerhandtasche flankieren würde: eine Klopapierrolle, teuer in Muranoglas gegossen, das wäre doch ein schönes Souvenir an die Corona-Zeit. Auch das nächste Zuhause muss ja finanziert werden.