Adrian Sauer in Frankfurt

256 Shades of Grey

Fotograf Adrian Sauer zerlegt die Dinge in ihre kleinsten Einheiten und verbindet backsteingraue Theorie mit künstlerischer Leichtigkeit. Auch in seiner Frankfurter Ausstellung fordert er das Publikum - zum Glück 

Fährt man am bleistifthaften Messeturm des kürzlich verstorbenen Architekten Helmut Jahn nach Frankfurt hinein, folgen viele neu entstandene und entstehende Hochhäuser - trotz Büroflächenleerstand und Homeoffice wird ständig vertikal gebaut. "Steingold" sagt der abgeklärte Humor der Anleger. Wenn Häuser Gold sind, dann ist ein Backstein die kleinste Einheit dieser Währung. Wenige Ampeln weiter hängt an einem der älteren Hochhäuser, dem gelungenen, 142 Meter hohen Cityhaus von 1971, ein großes Banner mit einem Backstein. Es ist die Ausstellungsankündigung für den Künstler Adrian Sauer.

Sauer, der in Leipzig bei Timm Rautert studiert hat, zerlegt die Dinge gern in ihre kleinsten Einheiten wie ein Naturwissenschaftler. Er untersucht die Beschaffenheit von Pixeln der Digitalfotografie, er misst Farbwerte und legt Skalen davon an. Die exakt 256 Graustufen, die das Medium zwischen Weiß und Schwarz bereit hält, zeigt er in langen Reihen wie auf einer Schautafel, die zwar ihre eigene Ästhetik hat, aber ohne Motiv, ohne beispielgebendes Bild, ebenfalls nur irgendeine kalte, losgelöste Einheit bleibt.

Adrian Sauer will genau daran erinnern. Er weiß um die technischen und mathematischen Voraussetzungen für die Bilder, die wir schön oder poetisch finden, denen wir zu glauben bereit sind und die uns etwas sagen oder bedeuten. Die künstlerische Selbstbefragung und die Befragung des Materials gehen bei ihm Hand in Hand. In der Kunstsammlung der DZ-Bank, die nach 30 Jahren jetzt in eine Stiftung überführt wurde, befinden sich seine Werke schon seit einigen Jahren. Die Bank mit ihrem frei zugänglichen Kunstfoyer nimmt in diesem Jahr an der Fotografie-Triennale Ray teil, die das Thema "Ideologien" ausgerufen hat. Adrian Sauer hat es erweitert um "Identitäten".

Skateboardtricks vorm Palast der Republik

Dass Fotografie einen Moment festhalten kann, dessen Bedeutung erst viel später offenbar wird, ist vielleicht jener magische Teil dieses Mediums, den man nicht analytisch zerlegen kann. Auch das weiß Adrian Sauer ganz genau, der zu seinen biografischen Angaben (geboren 1976 in Berlin) "DDR" hinzufügt. Zum Thema Identitäten und Ideologien hat er eine frühe Serie von 1993 wiederaufgelegt: "Palast der Republik" besteht aus knapp 40 Schwarzweißaufnahmen vor der damals leerstehenden ehemaligen Hauptstadtarchitektur. Das DDR-Symbol aus Hammer, Zirkel und Ährenkranz ist schon abmontiert. Davor aber machen Jugendliche ihre Tricks auf Skateboards, die zuvor nur Rollbrett genannt werden durften.

Heute wären solche Aufnahmen im Handy oder auf der GoPro, auch immer in der Hoffnung, hier auf etwas draufzuhalten, das sich im Nachhinein als episch erweist. Wie sich die gesamthistorische Bedeutung dieser Aufnahmen fast 30 Jahre danach entfalten könnte – Abriss des Palasts, die Entwicklung Berlins und der wiedervereinigten Bundesrepublik, Neubau des Hohenzollernschlosses – war in dem Moment nicht nur undenkbar, sondern auch völlig uninteressant. Skaten hat da eher mit dem sportlichen Moment des Fotografierens, dem "moment decisif" Cartier-Bressons zu tun.

Die erstaunliche Fähigkeit, sehend zu ergänzen

Adrian Sauer fordert seine Besucher - zum Glück. Die vier großen Himmelsaufnahmen, die er hier zeigt, sind weitaus mehr als gelungene Wolkenstudien, die auf die Kunstgeschichte von William Turner bis Wolfgang Tillmans verweisen. Es sind beim genaueren Hinsehen zwei Motivpaare, die farblich so manipuliert sind, dass das eine die Umkehrung des anderen ist und beide übereinandergelegt eine vollkommene graue Fläche ergäben. Die technischen Möglichkeiten mögen erstaunlich sein, die menschliche Fähigkeit, Dinge zu lesen, sehend zu ergänzen, sich vorauseilend einzufühlen in das Bild wie ein Skateboardfotograf, sind es erst recht.

Adrian Sauers naturwissenschaftliches Interesse am Zeigen könnte etwas Didaktisches haben, doch die Werke funktionieren auch alle auf der Motiv- und Materialebene. Das Centre Pompidou und andere große Fotosammlungen haben schon Arbeiten von ihm angekauft. Auch seine Serie von Backsteinen sind manipuliert und retuschiert wie heute manche Influencer ihre Gesichter auf Instagram glätten. Sie sind kein Backstein mehr, noch weniger als das Renée-Magritte-Gemälde einer Pfeife eine Pfeife ist.

Doch außer einem strukturalistischen Beweis sind sie auch gute Bilder. Die backsteingenaue Theorie und eine künstlerische Leichtfüßigkeit sind hier in Balance. Einer der Skater auf den frühen Bildern vor dem Palast der Republik, verrät Adrian Sauer, ist der Künstler selbst. Er soll laut seinem Galeristen Sebastian Klemm den Kickflip immer noch einwandfrei stehen.