Antisemitismus in alter Kunst

Abhängen, einordnen, umbenennen?

Antisemitismus in alter Kunst
Foto: Daniel Karmann/dpa

Das Gemälde der sogenannten Kemptener Kreuzigung (Kempten um 1460/70) in der Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum kennzeichnet mehrere Figuren unter dem Kreuz als Juden und stellt sie bewusst bösartig und "hässlich" dar. Damit werden Juden in ihrer Gesamtheit verhöhnt und ahistorisch als Mörder Christi gebrandmarkt. Ein Plünderer ist durch pseudohebräische Schriftzeichen und einen gelben Ring auf seinem Gewand als Jude gekennzeichnet. Dieser Ring ist ein Vorläufer des Judensterns und musste an vielen Orten in Europa von Juden getragen werden.

Vorurteile und Anfeindungen erleben jüdische Menschen nicht nur im Alltag. Auch Kunstwerke transportieren seit Jahrhunderten Judenhass. Wie gehen die Museen mit diesem schwierigen Erbe um?

Das Gemälde, das die Aufmerksamkeit des Kunsthistorikers Benno Baumbauer erregt hat, zeigt Jesus' Kreuzigung. Ein typisches Motiv für das Mittelalter. Wer genau hinschaut, entdeckt jedoch noch etwas anderes, das ebenfalls typisch für diese Epoche ist: explizit judenfeindliche Darstellungen. "Es ist in vielerlei Hinsicht ein problematisches Bild", findet Baumbauer. Trotzdem hat sich der Wissenschaftler ganz bewusst dafür entschieden, das fast 600 Jahre alte Kunstwerk aus dem Depot des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg zu holen und in der Dauerausstellung zu zeigen. 

Der namentlich nicht bekannte Maler stellt die Kreuzigung darauf als ein tumultartiges Gedränge dar. "Es ärgert und schockiert mich immer, wie alt diese Ressentiments sind", sagt Baumbauer und deutet auf mehrere Details in dem Gemälde. Neben dem Kreuz stecken zwei Männer mit großen Nasen die Köpfe zusammen und verspotten Jesus. Einer von ihnen trägt ein Banner mit einem roten Hut, in vielen Ländern Europas damals ein Stigma für Juden. 

Damit aber nicht genug: Am Fuße des Kreuzes streitet eine Gruppe hässlicher Gestalten um den Mantel des sterbenden Christi. Einer von ihnen trägt ein Gewand mit hebräischen Schriftzeichen und einem gelben Ring, ebenfalls ein Stigma für Juden. 

Einordnen ohne Hassbotschaften zu verbreiten?

Solche Darstellungen können auch heute noch verletzen und Hass verbreiten. Sollten Museen diese überhaupt noch zeigen? Ja, findet Baumbauer. Denn sonst würden blinde Flecken entstehen. "Die Art und Weise, Menschen zu diffamieren und herabzusetzen, funktioniert über die Jahrhunderte gleich. Deshalb müssen Menschen lernen, solche Codes zu lesen."

Doch wie können Museen das vermitteln? Wie können sie Kunstwerke mit diskriminierenden oder rassistischen Darstellungen historisch einordnend zeigen, ohne die Hassbotschaften weiterzutransportieren? Und welche Motive sollten zensiert werden? Mit diesen Fragen beschäftigen sich auch viele andere Museen in Deutschland. 

Der Antisemitismus-Eklat auf der Kunst-Ausstellung Documenta Fifteen im Jahr 2022 in Kassel habe das Bewusstsein für dieses Thema noch einmal geschärft, sagt Jan-Christian Warnecke vom Landesmuseum Württemberg in Stuttgart, der Sprecher beim Deutschen Museumsbund für die kulturhistorischen Museen und Kunstmuseen ist. 

Antisemitische Stereotype durchziehen die Kunstgeschichte

Große Häuser wie das Germanische Nationalmuseum mit mehr als 1,3 Millionen Kunst- und Kulturschätzen in der Sammlung stehen dabei vor einer großen Aufgabe. Baumbauer legt den Fokus deshalb auf die Dauerausstellung zum Spätmittelalter, die gerade neu konzipiert wird. 

Parallel beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe am Museum mit der Frage, wie diskriminierende und rassistische Objekte in den Ausstellungen beschriftet werden sollten. Diese diskutiert zum Beispiel, welche Erläuterungen sinnvoll und notwendig sind, ob Werke mit kritisch gesehenen Begriffen im Titel umbenannt werden dürfen oder ob Exponate aus der Ausstellung entfernt werden sollten. 

Auch die Staatlichen Museen zu Berlin sehen es als ihre Aufgabe, Werke mit explizit antisemitischen oder beleidigenden Motiven zu erforschen - und konzentrieren sich dabei auf einzelne Bereiche. "Ein großes übergreifendes Projekt wäre kaum sinnvoll, besonders angesichts der Fülle des Materials und auch der sehr unterschiedlichen Kontexte, in denen solche Motive entstanden sind und Verbreitung gefunden haben", heißt es von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. 

Antisemitische Stereotype finden sich demzufolge in der europäischen Kunstgeschichte in allen Epochen und Ländern bis ins 20. Jahrhundert. Bei zeitgenössischer Kunst sei die Problematik nicht so groß, weil die Stiftung schon seit Langem drauf achte, nur Werke in die Sammlungen aufzunehmen, die "die Vielfalt und den gegenseitigen Respekt unserer Gesellschaft widerspiegeln", teilt diese mit.

Nicht immer eindeutig zu erkennen

Doch nicht nur die schiere Größe der Sammlungen macht es für die Museen schwierig, Antisemitismus in Kunstwerke zu identifizieren. Neben unstrittigen und klar erkennbaren Stereotypen und Vorwürfen gebe es auch weniger eindeutige, schwerer interpretierbare Darstellungen, heißt es von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. 

Manchmal sei der Antisemitismus auch subtil, nicht erkennbar in konkreten Motiven, sondern eher eine Stimmung, sagt auch Baumbauer. Dann seien sich selbst Fachleute oft nicht einig. Das gilt nach Ansicht von Warnecke vor allem für die Gegenwartskunst. "Die diffamierenden Symbole des Spätmittelalters sind in der Kunstgeschichte bekannt – auch diejenigen, die als Stereotype oder Stigmata bis in die 1940er-Jahre verwendet wurden", sagt er.  Jene, die sich in der Gegenwart entwickelt hätten, seien dagegen weniger bekannt und schwieriger zu dechiffrieren. 

"Daher ist davon auszugehen, dass die Unsicherheit beim Zuordnen antisemitischer Symbole größer wird, je aktueller die Bildinhalte sind", sagt Warnecke. Nach dem Documenta-Skandal habe Baden-Württemberg daher ein Förderprogramm aufgelegt, um Sammlungsverantwortliche darin zu schulen, antisemitische Codes zu erkennen.

Diskurs nur anhand ausgestellter Objekte möglich

Beim Umgang mit antisemitischen Darstellungen gibt es keine einfachen Antworten. Die Fachleute müssen immer gut abwägen, was sie zeigen und was nicht. Denn natürlich besteht die Gefahr, dass die Objekte Stereotype verfestigen und weitertragen. "Die Documenta hat uns jedoch auch gezeigt, dass die Verpflichtung zur Aufklärung und der offene Diskurs bei kuratorischen Überlegungen einbezogen werden sollten", teilen die Staatlichen Kunstsammlung Dresden mit. Beides ginge nur anhand ausgestellter Objekte. 

In Nürnberg denken Sammlungsleiter Baumbauer und sein Team noch darüber nach, wie sie das Kreuzigungs-Tafelbild und andere problematische Exponate in der Dauerausstellung am besten einordnen sollen. Aktuell weisen nur zwei Sätze auf der Texttafel neben dem Gemälde auf die Judenfeindlichkeit hin. Dort heißt es unter anderem: "Solche judenfeindlichen Bildelemente scheinen in vielen spätmittelalterlichen Gemälden auf." Baumgartner sagt: "Wir sind noch in der Findungsphase. Aber es ist klar, dass da was passieren muss."