Wer sich länger mit Finnen unterhält, kommt um das Thema Alvar Aaalto nicht herum. Irgendwann wird man nach seinem persönlichen Lieblingsgebäude des ikonischen Architekten gefragt, noch in der kleinsten, spärlichsten Studentenwohnung steht irgendwo ein schlichter dreibeiniger Hocker der Firma Artek herum, die Aalto und seine erste Ehefrau Aino gegründet haben. Für Anhängerinnen des nordischen Modernismus, die dem gestalterischen Powercouple besonders nahe kommen wollen, gibt es in Helsinki abseits der bekannten Prestige-Gebäude außerdem einen etwas versteckten Schatz zu entdecken.
Im Stadtteil Munnkiniemi, eine gute halbe Stunde vom Zentrum der Hauptstadt entfernt, steht in einer unscheinbaren Nebenstraße das Wohnhaus, das sich Alvar und Aino Aalto Mitte der 1930er-Jahre auf ein damals noch ziemlich einsames Grundstück in den Wald bauen ließen. Das sich ausbreitende Helsinki rückte erst einige Jahrzehnte später an die Mauern heran. Von der Straße aus wirkt der braun-weiße Bungalow mit seinen kleinen Fenstern fast ein wenig bunkerhaft. Doch dieser Eindruck verändert sich beim Betreten der Räume auf spektakuläre Weise. Im Wohnzimmer öffnet sich eine große Fensterfront in den verwunschenen Garten. Wenn die Sonne scheint (in Finnland nicht ganz selbstverständlich), ergießt sich das Mittagslicht über den hellen Fußboden und die Möbel in Originalanordnung und verleiht dem Raum fast etwas Unwirkliches.
Mit einer von der Alvar Aalto Foundation organisierten Führung kann man das ehemalige Wohnhaus dienstags bis sonntags besichtigen. Kommt man außerhalb der geschäftigeren Sommermonate, ist man mit etwas Glück sogar allein in den heiligen Aalto-Hallen. 1936 zogen Alvar und Aino, die vorher vor allem im westfinnischen Turku aktiv gewesen waren, nach Helsinki - und wollten mit ihrem neuen Wohnhaus gleich ihr ganzes Können zeigen und Aufträge an Land ziehen. Wie die Architekturgeschichte lehrt, ist dieser Plan hervorragend aufgegangen. Der Name Aalto gehört heute zu den bekanntesten der Welt - Alvar allerdings mehr als seine langjährige Geschäfts- und Lebenspartnerin Aino, die 1949 mit nur 54 Jahren starb. Lange war in dem privaten Domizil in Munkkiniemi auch das Studio der beiden untergebracht, wovon noch Zeichentische und Gebäudemodelle zeugen. 1955 zog das immer größer gewordene Team dann in ein eigens entworfenes Atelier ein paar Straßen weiter (auch das kann man mit Führung besichtigen).
Lust am Eklektizismus
Im "Kotitalo", also dem Wohnhaus, zeigt sich, dass die Aaltos keineswegs puristische Verfechter des reinen Funktionalismus waren. Zwar finden sich überall Anleihen des sogenannten Internationalen Stils (das Paar gehörte zu den Bewunderern des deutschen Bauhauses), genauso lassen sich jedoch Elemente aus der mediterranen und der japanischen Architektur entdecken. Der berühmte Artek-Tisch X 800 A, der in der Mitte des Wohnzimmers prangt, erinnert mit seinen Fächerbeinen sogar an Jugenstilmöbel. Die antiken Stühle um den Esstisch herum stammen von der Hochzeitsreise der Aaltos nach Italien und verteidigten bei allem ästhetischen Fortschrittsglauben ihren Platz im Wohnensemble. Natürlich darf auch die berühmte geschwungene Vase für die Glasfirma Iittala nicht fehlen, die gleich mehrfach in den Regalen des Hauses zu finden ist.
Im Obergeschoss mit gemütlicher Kaminecke liegen die privateren Räume der Familie und ein Gästezimmer (mehr als eine Person pro Übernachtung dürfte allerdings eng gewesen sein). Im Badezimmer hängen die tiefen, bauchigen Waschbecken, die Alvar Aalto auch in seinem berühmten Sanatoriumsgebäude in Paimio bei Turku verwendete. Das Kinderzimmer, ganz in hellem Holz gehalten, dürfte nicht immer so aufgeräumt gewesen sein.
Im "Master Bedroom" mit Panoramablick und Ankleidezimmer samt Oberlicht schlief Alvar Aalto zuerst mit seiner ersten Frau Aino. Nach deren Tod heiratete er 1952 die Architektin Elissa Mäkiniemi, die Parrtnerin in seinem Studio wurde und mit der er ebenfalls in dem Haus im Riihitie lebte. 1976 starb Alvar Aalto in Helsinki im Alter von 78 Jahren. Wer die architektonisch-persönliche Pilgerreise bis ans Ende bestreiten möchte, kann das übrigens auf dem Friedhof Hietaniemi tun. Dort liegen Alvar, Aino und Elissa alle im selben, natürlich sehr geschmackvollen, Grab.