"Blues Blood Bruises" steht über dem Eingang zum zentralen Pavillon der Venedig-Biennale, aber das eigentliche Fest der Matern wird nur ein paar Meter weiter, außerhalb der Giardini gefeiert: Auf der schönen Viale Giuseppe Garibaldi und am Wasser neben den Luxusyachten liefern sich in der Eröffnungswoche der Kunstschau hartgesottene Performance-Künstler einen regelrechten Wettstreit in Drastik, Ausdruckskraft und Authentizität. Die wenigsten von ihnen leiden im offiziellen Programm der Biennale, sondern legen ohne Auftrag und Honorar ihr Können und Wollen den angereisten Kunstexperten vor die müden Füße.
Eine abgekämpfte Frau zieht Kugeln hinter sich her, die sie an in ihren Haaren verknotete Bindfäden befestigt hat. Eine Studentin sitzt in einem Nachbau eines elektrischen Stuhls und verdreht theatralisch die Augen. Auf der anderen Seite der Via Garibaldi prügelt ein Skinhead mit freiem Oberkörper wütend nasse Hemden auf dem Straßenpflaster trocken. Währenddessen brennt sich ein Ai-Weiwei-Lookalike mit Zigaretten Löcher in sein Leibchen und versengt dabei seinen Zauselbart gleich mit. Drei clownesk gekleidete Darsteller schreiten stumm und ernst an ihm vorbei, aber nicht einfach so, sondern rückwärts und sich dabei auf die Brust schlagend, dass es knallt. Oh, ist das da hinten nicht dieses britische It-Girl mit ihrem Baby? Ach nein, auch eine Performance, und der Kinderwagen ist gefüllt mit Schlamm.
Besonders komisch ist dabei der Kontrast zu der allgemein als wunderschön empfundenen Stadt. Kann man vor dieser Kulisse glaubhaft vom Elend der Welt sprechen? Manchmal kommt die Polizia vorbei und fragt die Künstler, ob sie nicht etwa gewerblich unterwegs sind. Aber nicht doch, wir sind hier im Namen der Kunst und der Wut und einer besseren Zukunft. Und wenn ein Beamter nicht ganz abgestumpft ist von seiner täglichen Exekutivpraxis, dann flirtet er jetzt ein bisschen mit der Kunststudentin, die eben noch auf dem elektrischen Stuhl schmorrte.
Der Biennale würde etwas fehlen ohne diesen Passionsweg der Enthusiasten. Eigentlich egal, was hier im Einzelnen dargestellt wird – der Glaube an die Kraft der Kunst wird nirgends besser performt.