Der Anzahl aktueller Titel an Bildbänden und dem Bestand in durchschnittlichen Möbelgroßmärkten nach zu urteilen, scheint die derzeitige Nostalgie vieler Menschen noch immer auf den Namen Mid-Century-Moderne zu hören. Und die ist, klar, natürlich vor allem mit der USA und noch genauer mit Kalifornien verknüpft, wo etliche der europäischen Migranten wie Richard Neutra oder Rudolph Schindler ihre Visionen einer neuen Architektur verwirklichen konnten. Dass insbesondere Schindler dabei gerade ein Kritiker des Internationalen Stils mit seiner Regelorthodoxie war, wird nicht ganz so oft erwähnt.
Das Buch "Los Angeles Modernism Revisited. Häuser von Neutra, Schindler, Ain und Zeitgenossen" leistet nun seinerseits einen Beitrag zur neuen alten Sehnsucht. Autor Andreas Nierhaus und Fotograf David Schreyer deklarieren allerdings schon im Vorwort: Hier soll es nicht um die romantische Verklärung gehen, sondern eine Aufschlüsselung des Wohn- und Baupotentials, das sich dereinst zwischen Hollywood Hills und Pacific Palisades Bahn gebrochen hat, geleistet werden.
Und wo von Mid-Century die Rede ist, da darf Julius Shulman nicht fehlen. Der Vater einschlägiger Architekturfotografien wird im essayistischen Vorwort unerbittlich in die Kritik genommen. Mit einem Rückgriff auf den Schriftsteller Kevin Vennemann wird gar argumentiert, dass Shulman den Siegeszug der bis dato beispiellosen Architektur als Wohnmöglichkeit für eine breitere Klientel mit seinen Aufnahmen, die funktionale Bauten als "beliebige Designikonen" in eine Art tödlicher Anmut gossen, geradezu verhindert habe. Ob man damit nun in jedem Detail übereinstimmt oder nicht: Eine schöne Abwechslung zu üblichen Bildbandeinführungen ist dieses essayistische und streitlustige Vorwort allemal.
Porträts von Hausbewohnern
Um das Bild der kalifornischen Architekturmoderne nun ein wenig zurecht zu rücken, wenden sich Schreyer und Nierhaus zum einen den weniger totfotografierten Häusern von Richard Neutra, Rudolph Schindler oder auch Gregory Ain zu, (einstigen) Mittelklasse-Wohnhäusern, die zum Leben und nicht "dazu entworfen wurden, fotografiert zu werden." Auch die sind heute ihrem Verkaufswert nach größtenteils Luxusimmobilien, worauf man gleich im Vorwort verweist. Schreyer und Nierhaus besuchen die heutigen Hausbewohner, was in kurzen Texten mit oft sehr persönlichen Beobachtungen und Anekdoten mündet. So erfährt man beispielsweise vom gescheiterten Versuch, eine ganze Mid-Century-Community mit ursprünglich Hunderten ähnlich gestalteter Häuser in Kalifornien zu etablieren. Oder von einer Dame, die das Haus von ihren Eltern geerbt hat und das kleine Refugium heute als Tagesatelier nutzt – viele der vorgestellten Bauten fassen gerade 80, manche 100 Quadratmeter Wohnfläche. Auf den Fotos tauchen die Hausbewohner selten auf, doch Spuren ihres Alltags sind in den Wohnräumen und Außenflächen, die zumindest kaum inszeniert wirken, zu finden.
Es sind Fotografien, die den Blick ihrer Betrachter nicht sofort abperlen lassen an makellosen Oberflächen und geometrisch angeordneten Bildkompositionen, und auch der Himmel bleibt einmal trübe. Schreyer und Nierhaus wollten zweierlei: Die kalifornische Architektur der Moderne ein bisschen von ihrem Podest zerren und, in einem zweiten Schritt, als Architektur somit aber erst richtig ernstnehmen. Mit den im besten Sinne unspektakulären Fotografien und Texten gelingt das bestens.
Zeitlos gute Raumarchitekur
Zwischen Steingärten und wild wuchernder Vegetation, Garagen, passgenau in Schrägen und Winkel eingesetzten Einbauschränken und den dramatischen Steilhängen der Hollywood Hills lässt es sich hervorragend und trotzdem fast schon bescheiden wohnen und leben. Es ist eine Entzauberung und zugleich natürlich auch gerade nicht, denn in der Hinwendung auf Augenhöhe werden die Häuser von Neutra, Schindler, Ain und Co. zugänglicher, aber keineswegs weniger anziehend.
Klug durchdacht und oft mit lokalen Materialien wie Redwood, Holz aus dem Mammutbaum, für gar nicht viel Geld maßgefertigt, bieten also gerade die unscheinbareren Mid-Century-Häuschen ein schönes Beispiel für zeitlos gute Raumarchitekur, die – zumindest im milden Klima von Los Angeles – auch 50, 60, 70 Jahre später offenbar eine hohe Wohnqualität bietet und dabei nahezu alterslos erscheint.