Kunstmesse in London

8 Frieze-Highlights

Brexit, Pfundschwäche und Fremdenfeindlichkeit: Die Frieze London muss in diesem Jahr mit einigen Unsicherheiten umgehen. Trotzdem wartet die Messe mit vielen selbstbewussten Ständen auf. Eine Auswahl der Highlights

Hauser & Wirth
Das Künsteratelier ist immer noch aufgeladen mit Aura: Hier entsteht aus Material und Künstlerhand ein Werk, das noch keinen Preis, aber schon einen Wert hat. Hauser & Wirth hat den Produktionsort Atelier nun in seiner Koje mit dem Distributionsort Messe zusammengebracht: ein kreatives Chaos, ein Klischee aus Basteltisch und dudelndem Radio, dazwischen und an den Wänden – fällt kaum auf – Arbeiten, die das Künstlerstudio zum Gegenstand haben oder auf die eine oder andere Weise unfertig aussehen. Skulpturen von Bharti Kher, Louise Bourgeois oder Hans Arp und Skizzen von Allan Kaprow und Paul McCarthy. Das alles zitiere Cézannes Atelier in Aix en Provence und Brâncușis rekonstruiertes Studio im Centre Pompidou. Und auch wenn das mehr oder weniger ironisch gemeint ist, ist der visuelle Eindruck überwältigend.


The Nineties
Eine neue Sektion der Frieze widmet sich den 90er-Jahren. "Wir wollen Kollaborationen zwischen Künstlern und Galeristen beleuchten, die einen bleibenden Effekt auf die zeitgenössische Kunst hatten. Die Galerien waren damals die treibende Kraft, nicht die Institutionen", sagt Kurator Nicolas Trembley im Monopol-Interview. Der kleine Ausflug in das Nach-Mauerfall-Jahrzehnt gehört zu den Höhepunkten der diesjährigen Frieze-Ausgabe. Wolfgang Tillmans reinszeniert hier seine allererste Ausstellung, die 1993 im Buchladen von Daniel Buchholz' Vater in Köln stattfand, von Dominique Gonzalez-Foerster ist bei Esther Schipper der Raum "R.W.F. (Rainer Werner Fassbinder)" zu sehen. Mehdi Chouakri, Salon 94 und Sprüth Magers haben Sylvie Fleurys Videoinstallation von der Venedig-Biennale 1993: "Lean Routine – A New Attitude or How to Lose 30 Pounds In Under Three Weeks" zeigt auf mehreren Monitoren Ausschnitte aus Fitnessvideos von Stars wie Cindy Crawford und Raquel Welch. Dazu passt ein Video von Daniel Pflumm, das am Stand der Galerie Neu läuft: Der Künstler hat Aufnahmen von applaudierendem Fernsehpublikum in Dauerschleife zusammengeschnitten – klatsch, klatsch!


Sybille Berg und Claus Richters "Wonderland Ave."
Dieses "Puppentheater" der Schweizer Autorin und des Kölner Künstlers, das drei Mal täglich im Rahmen der Frieze Projects mit Schauspielern und Robotern aufgeführt wird, sieht für eine Dystopie doch ziemlich toll aus. Aber so ist das eben mit dem "Cyperfeudalismus": Die Ästhetik ist nicht das Problem an Apple oder Facebook, sondern die Aufteilung der Welt in IT-Giganten, die alle Daten besitzen, und das Datenproletariat und hirnlosen Konsumenten. Aber ... damn, dieser Roboter-Chor ist ganz schön niedlich.


Grace Weaver bei Koppe Astner
Eine Arbeit der Malerin Grace Weaver ziert das Cover unserer Oktober-Ausgabe. Sebastian Frenzel schreibt über junge Malerei und ihre an Cartoon und Slapstick geschulten Menschenbilder. Zwei neue Bilder von Weaver stellt die Glasgower Galerie Koppe Astner in der Focus Section der Frieze aus. Machen sofort gute Laune.


Grayson Perry bei Victoria Miro
Zum Glück gibt es Grayson Perry, der wie kein zweiter Künstler die Befindlichkeiten der britischen Gesellschaft erfasst und in ironische, historische Kontexte bettet. Victoria Miro zeigt mehrere ältere und neuere Arbeiten, die im Brexit-Jahr noch einmal ganz anders zu lesen sind. Darunter auch "The Tomb of the Unknown Craftsman", ein ehernes Grabmal in Form eines Schiffes, das aus Exponaten des British Museum zusammengesetzt ist. Zum Brexit hat der Transvestit Perry natürlich eine klare Meinung: "The arts have to hang together now. We should be supranational."


Latifa Echakhch bei Kamel Mennour
Die marrokanische Künstlerin hat eine der schönsten Kojen geschaffen: an den Wänden sechs dunkle Öl-Tusche-Bilder, auf dem Boden zwei große, zerlegte Bronzeglocken. Der schwergewichtige Symbolgehalt letzter aufgesogen durch die Zurückhaltung der Bildern mit ihren introvertierten, formalistischen Experimenten. 


Goshka Macuga bei Rüdiger Schöttle
Die polnische Künstlerin hat den Stand der Münchner Galerie in einen "Pavillon for International Institute of Intellectual Co-operation" verwandelt: Hier gibt es Diskussionsrunden, in denen offen über brennende Fragen gesprochen werden soll (noch einmal am 8. Oktober von 14 bis 16 Uhr). Die Inspiration dazu fand Macuga in einem Brief von Albert Einstein an Sigmund Freud, in dem der Physiker eine Art Philosophenherrschaft heraufbeschwor, die das Weltgeschick von 1931 noch in eine Richtung lenken sollte. Die Diskussionsrunden Macugas werden dokumentiert.


Julie Verhoevens Klo
Alle Funktionsbereiche, die eine Messe haben kann, sind von Künstlern bereits bespielt worden: der Eingang, die Garderobe, der VIP-Empfang, das Restaurant – und natürlich auch die Toilette. Geht das nicht zu weit? Auf jeden Fall. Aber Julie Verhoevens WC-"Verschönerung" auf der Frieze ist schon sehr irritierend. Es beginnt damit, dass der Klobesucher sich aussuchen kann, ob der auf einem pinken oder blauen Teppich zur Verrichtung schreiten will – anders als in der Genderschule gelernt, kommt man dann aber am jeweils falschen Klo raus. Ein Schild weist vor Videoaufzeichnungen auf der Toilette hin, nützliche und komische Utensilien (hä: Blaulicht?) werden angeboten und seltsam gekleidetet Klofrauen laufen rum. Ja, stimmt schon: Die Sanitärwelt ist ein Kosmos für sich.