Frau Jähnisch, in diesem Jahr haben Sie in Leipzig den Kunstverein 47m Contemporary mitgegründet. Es gibt mit dem KV bereits einen Kunstverein für zeitgenössische Kunst, der 2019 mit dem ADKV-Art Cologne Preis ausgezeichnet wurde. Warum braucht Leipzig noch einen weiteren Kunstverein?
Wir sieben Gründungsmitglieder haben in Leipzig eine Lücke im Hinblick auf junge, politische und vor allem internationale künstlerische Positionen gespürt. Leipzig hat eine sehr pulsierende und gute Kunstszene, aber uns hat der internationale Anschluss gefehlt. Dazu wollen wir beitragen. Wir wollen Positionen zeigen, die Reibung erzeugen, gesellschaftliche Diskurse aufzeigen oder gar anstoßen.
Die Leipziger Kunstszene, wie sie sich momentan darstellt, ist Ihnen zu unkritisch und zu wenig international?
Ja, auf jeden Fall! Wir wollen nicht in Konkurrenz zu den anderen Institutionen treten. Das sind alles gute Institutionen, die sehr gute Ausstellungen machen. Aber uns fehlt eine internationale und politische Perspektive. Mit der ersten Ausstellung des georgischen Künstlers Shalva Nikvashvili haben wir Diskurse um Identität, Rassismus und das Leben als queere Person in Deutschland thematisiert. Jetzt erweitern wir mit Yael Bartana den Diskus um Antisemitismus, aber vor allem um die Frage nach feministischen Zukunftsperspektiven und wollen das Erbe der feministischen Geschichte Leipzigs sichtbar machen.
Warum war es nötig, dafür einen Verein zu gründen?
Es gibt nicht viele andere Formate, die wir als engagierte Bürgerinnen nutzen können. Das ist die Rechtsform, die sich als Struktur anbietet. Wir können Fördermittel beantragen und Spenden sammeln. Wir alle stehen mit unseren Namen für das ein, was wir machen.
Sie wollen drei Ausstellungen im Jahr machen. Treffen Sie alle kuratorischen Entscheidung im Team oder haben Sie innerhalb der Gruppe eine kuratorische Position definiert?
Es ist uns wichtig, als Gruppe aufzutreten. 47m soll kein Ort werden, der nur von einer Stimme geprägt wird, wie man das von renommierten Museen oder auch Vereinen kennt, sondern ein Ort, der durch verschiedene Perspektiven geformt wird. Für die kommenden Jahre haben wir uns vorgenommen, immer wieder Kollektive einzuladen. Die erste Ausstellung haben Erik Swars und ich kuratiert. Für die zweite mit Werken von Yael Bartana habe ich mir einen befreundeten Historiker mit ins Boot geholt, Tom Schremmer, der vor allem einen Fokus auf jüdische und feministische Geschichte in Leipzig hat.
Am vergangenen Wochenende eröffnete die Ausstellung "Midnight" mit drei Werken von Yael Bartana. War das auch eine strategische Entscheidung, Bartana in Leipzig in dem Jahr zu zeigen, in dem sie auch den Deutschen Pavillon in Venedig bespielt?
Tatsächlich nicht! Ich verfolge das Werk von Yael Bartana seit Jahren, vor allem seit ihrer Retrospektive im Jüdischen Museum in Berlin. Wir haben die Anfrage im Januar an das Studio gestellt, per E-Mail, morgens um 8 Uhr. Und am selben Tag wurde bekannt, dass sie den Deutschen Pavillon in Venedig bespielt. Ich dachte: Sie wird uns niemals zusagen! Aber eine Woche später kam die Rückmeldung von ihrem Studiomanagement. Wir haben uns getroffen, und Yael war angetan von unserem Konzept und der Kombination mit Tom Schremmer als Historiker. Ich glaube, sie fand auch die junge Energie gut, die wir einbringen.
Zentrale Frage der Ausstellung ist: Was wäre, wenn Frauen die Welt regieren würden? Präsentiert wird die Videoarbeit "Two Minutes to Midnight" von 2021, in der eine ausschließlich mit Frauen besetzte Regierung diskutiert, wie eine nukleare Bedrohung durch ein anderes Land abgewendet werden soll. War es von Beginn an Ihr Wunsch, diese Arbeit zu zeigen?
Wir wollten vor allem einen Fokus auf den feministischen Aspekt ihrer Arbeit legen. Yael Bartanas Videoarbeiten sind von weiblichen, androgynen Figuren geprägt, es geht um weibliche und queere Zukunftsperspektiven. Wir hatten auch andere Arbeiten im Blick, die aber technisch viel aufwendiger in der Präsentation gewesen wären. Wir hätten etwa gern "Malka Germania" gezeigt, die Auftragsarbeit vom Jüdischen Museum. Aber unser Budget gab nicht her, für drei Monate eine Panorama-LED-Wand zu zeigen. Die Auswahl der Arbeiten war daher limitiert.
Zur Ausstellung gibt es ein umfassendes Begleitprogramm, das lokal verortet ist. Etwa ein Rundgang mit Christine Rietzke zu "Frauen in der friedlichen Revolution – Leipzig 1989" oder eine Diskussion zu feministischen, jüdischen und migrantischen Perspektiven auf Widerstand im Ostdeutschland der Nachwendezeit. Ist das Teil Ihres Konzeptes, internationale Positionen zu zeigen und parallel thematischen Verbindungen zum Standort herzustellen?
Ja, das haben wir fest vor! Uns ist wichtig, zu überlegen, warum wir die internationalen Positionen in Leipzig zeigen und wie Leipzig durch unsere Aktivitäten international strahlen kann. Das Begleitprogramm wurde von Tom Schremmer kuratiert. Es soll ein Beitrag zur aktuellen Debatte sein, ohne den Krieg in Israel und Palästina direkt zu thematisieren, sondern sich vor allem mit jüdischer Identität oder feministischer Geschichte vor Ort auseinandersetzen. Es ist etwa ungewöhnlich, dass wir in Leipzig mit Esther Jonas Märtin eine weibliche Rabbinerin haben. Mit ihr wird es am 11. Dezember ein Gespräch in der Ausstellung geben.
Ihre Mitgliedsbeiträge staffeln sich von 30 Euro für Studierende, Künstlerinnen und Künstler und Erwerbslose bis hin zu einer exklusiven Fördermitgliedschaft ab 5000 Euro. Wie wird dieses Modell angenommen? Wie viele Mitglieder hat der Verein derzeit?
Wir haben aktuell rund 40 Mitglieder. Wir wollen niedrigschwellig sein, und auch mit kleineren Beiträgen von 30 oder 50 Euro kann unser Verein sehr viel machen. Kunst zeigen kostet verdammt viel Geld. Gerade als junger Kunstverein ist es sehr schwierig, höhere Fördergelder von öffentlichen Einrichtungen wie der Stadt oder dem Land zu bekommen. Deshalb sind wir auf private Fördergelder angewiesen. Wir brauchen das Engagement von anderen Bürgerinnen und Bürgern, die an das glauben, was wir machen. Bei der Beitragsstaffelung haben wir uns an anderen Vereinen orientiert. Wir stehen auch mit anderen Kunstvereinen im Austausch, etwa in Dortmund oder Dresden. Wir sind neu im Business und haben noch Fragen, etwa zur Versicherung oder dem Umgang mit Mitgliedern.
Sie haben als Verein beeindruckende Räume unweit des Leipziger Zentrums im Wünschmann-Haus, das von 1914 bis 1917 nach dem Entwurf des Leipziger Architekten Georg Wünschmann erbaut wurde. Die Ausstellungsfläche erstreckt sich über die obersten zwei Etagen bis in die denkmalgeschützte Kuppel des Gebäudes mit einer Höhe von 47 Metern und einem 360-Grad-Panorama über die Stadt. Der Name des Vereins bezieht sich direkt auf die Architektur des Gebäudes. Wie haben Sie diese Kuppel für sich entdeckt?
Angestoßen wurde die Idee zum Verein von Erik Swars, der selbst Künstler ist. Er hatte den Raum schon länger im Auge, weil er in diesem Gebäude mal sein Atelier hatte. Dieser Kuppelsaal steht seit vielen Jahren leer und wurde nur temporär für Veranstaltungen genutzt. Der Besitzer Silvan Engelmeier hatte bisher keinen passenden Vorschlag zur Nutzung der Kuppel auf dem Tisch gehabt. Seine Firma sitzt in München, ihr gehören noch weitere Immobilien in Leipzig, etwa auch die Pittlerwerke, wo auch schon Ausstellungen stattgefunden haben. Sie stellen uns diese Räume für verhältnismäßig wenig Geld zur Verfügung. Wir zahlen im ersten Jahr etwa noch nicht die volle Miete.
Für wie lange hat er Ihnen die Räume zur Verfügung gestellt?
Unser Mietvertrag läuft zehn Jahre. Wenn wir viele Mitglieder gewinnen und Fördergelder bekommen, wird es uns mindestens zehn Jahre geben.