Frau Sander, alle Welt spricht von den Veränderungen, die 3-D-Scanner und -Drucker mit sich bringen. Sie arbeiten seit langem mit dieser Technik. Wie hat das angefangen?
Im Mai 1996 wurde ich eingeladen zur Kleinplastiktriennale, die in Stuttgart stattfand. Ich hatte mich schon einige Zeit damit beschäftigt, eine Person dreidimensional „abzufotografieren“ und technisch bauen zu lassen. Für diese Ausstellung dachte ich daran, den Kurator selbst in einem Größenverhältnis 1:10 zu scannen, und anhand der gewonnenen Daten bauen zu lassen und als Kleinplastik zu zeigen. Meine Recherche führte mich zur Universität nach Utrecht, wo einer der ersten 3-D-Bodyscanner installiert war, für die Untersuchung von Konfektions- und Körpergrößen. Für mein Vorhaben musste die Mess- und Dateninformation sowie das Programm dahingehend erweitert werden, dass der gescannte Körper als geschlossene Oberfläche wiedergegeben werden konnte, was für die reine Vermessung von Körpern ja nicht notwendig war. Der 3-D-Bodyscanner, der die Person mit Laserstrahlen in damals 18 Sekunden abtastete, lieferte eine Punktewolke von Dateninformation, die durch Triangulation und Flächenrückführung mit einem speziell hierfür entwickelten Programm Lücken von Untersichten wie Verschattungen zurechnen und schließen konnte.
Wo haben Sie das Objekt dann ausgedruckt?
Damals habe ich mit unterschiedlichen Firmen und Universitäten zusammengearbeitet, die entsprechende Geräte im Bereich Rapid Prototyping entwickelt hatten. Meine aus dem Scanvorgang gerechneten Daten wurden einem Extruder zugeführt, einer Maschine, die die Figur in Millimeterschichten in ABS-Kunststoff aufbaute. Man kann sich das am besten so vorstellen: Wie aus einer Heißklebepistole wird ein Kunststoffaden entsprechend der Dateninformation computergesteuert geführt und so die Schichten übereinanderlegt und mit Licht gehärtet. Dieses Verfahren habe ich dann weiterentwickelt. 2001 konnte ich zum Beispiel Scanner und 3-D-Inkjet-Printer in einem Lastwagen installieren, damit auf der Art Basel ein Labor einrichten und Messebesucher scannen und monochrom ausdrucken. Zum Beispiel 2001 konnte ich mit Scanner, 3D-Inkjet-Printer, alles in einem Lastwagen installiert, auf der „Unlimited“ Art Basel ein Labor einrichten und die Messebesucher scannen und monochrom ausdrucken.
3-D-Drucker wurden vor allem entwickelt, damit in der Industrie Prototypen gebaut werden können …
Genau, technische Maschinenteile etwa, spezielle Formteile, die dann auch zur Massenfertigung weiterverarbeitet werden. Hierfür gibt es viele Techniken mit unterschiedlichen Materialien je nach Anforderungen und Präzision. Der 3-D-Inkjet-Printer kann mit Gips oder Kartoffelmehlgemisch drucken, ein Material für Prototypen, das leicht entsorgt werden kann. Ich musste nun aber das Druckverfahren so verändern, dass die Objekte und Figuren haltbar sind.
Sie haben die Entwicklung der Scanner und Drucker über die Jahre mitbekommen. Wie hat sich die Technik verbessert?
Ich habe zuerst mit einem Laserscanner gearbeitet, der die Oberfläche des Körpers abnimmt. Mich hat interessierte aber dabei interessiert, auch die Farbe über den 3-D-Scan zu übertragen – wofür die Industrie erst einmal keine Verwendung hat. Mit einem Weißlichtscanner, speziell für meinen Lehrstuhl an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich hergestellt, konnte ich das Verfahren in den letzten Jahren weiterentwickeln. Dieser Scanner erfasst die Farbe zusammen mit der dreidimensionalen Form, er kann einen schwarz gestreiften Pullover und eine karierte Hose genau abbilden. Die ersten Figuren 1996 habe ich noch mit einem Airbrush-Verfahren farbig fassen lassen. Jetzt funktioniert das Scannen und Bauen der Plastiken wie eine dreidimensionale Fotografie, und die Arbeiten befinden sich unter anderem auch in Fotomuseen und fotografischen Sammlungen.
Kann man sagen, dass die Bildhauerei durch die 3-D-Technik genauso herausgefordert ist, wie die Malerei damals durch die Erfindung der Fotografie?
Auf jeden Fall verändert das 3-D-Scannen und -Drucken das Denken in der Kunst, in der Bildhauerei. Mich hat an der Technik interessiert, etwas dreidimensional abzubilden und genau mit dem zu arbeiten, was da ist, und mit dem, was derjenige mitbringt, der gescannt wird. Ich suche eine Interpretation anhand der technischen Möglichkeiten. Und diese Möglichkeiten haben sich in den letzten 20 Jahren rasant entwickelt. Die Datenerfassung wurde sehr viel umfangreicher und die Wiedergabe präziser. Bei meinen ersten Plastiken sieht man beispielsweise noch, dass Untersichten und Verschattungen zu Artefakten führten, die ich natürlich akzeptiere. Ich kann also sagen, dass nicht ich das Porträt mache, es steht mir niemand Modell, sondern die Leute kommen zu mir oder ich lade sie ein, und sie entscheiden selbst, wie sie als Skulptur gesehen werden wollen, wie sie sich kleiden, welche Gegenstände sie bei sich tragen, in welchem Farbton sie gebaut werden wollen. Im LehmbruckMuseum Duisburg und Im K20 der Kunstsammlung NRW ist eine Reihe von circa 900 „Selbst“-Porträts entstanden, jeder und jede um Haltung bemüht, stehen sie alle auf einem 35 Meter langen Tisch, nach Farben sortiert.
Sie treffen jedoch Entscheidungen über die Skalierung: Die Personen sind verkleinert dargestellt. Es scheint, dass Künstler, die mit 3-D-Technik arbeiten – Urs Fischer, Ugo Rondinone, David Zink Yi und andere – , gerade davon fasziniert sind, kleine Dinge groß und große Dinge klein darzustellen.
Es gibt für jede Arbeit eine sinnvolle Größe. Bei meinen Figuren war es zunächst so, dass das Verhältnis 1:10 sich auf die wichtigsten Informationen in Bezug auf die Genauigkeit konzentrierte. In München habe ich 2005 die Figur von Maximilian Joseph Graf von Montgelas nach historischen, eingescannten Vorbildern errechnen und anhand von den Daten fräsen lassen. Die Aluminiumskulptur steht auf dem Promenadeplatz und misst 6,20 Meter, das entspricht der Höhe der Statuen neben ihm. Für die Charité in Berlin wurde ein kleiner Smaragd in einer Vergrösserung von 10:1 in Aluminium, ein anderer in Kunststoff gefräst. Es kommt immer auf den Kontext an, welche Größe ich wähle. Die Skalierung ist eine Übersetzungsleistung, eine Übersetzung in ein anderes Medium, in eine andere Größe.
Sie scannen Ihre Modelle in Ihrem Atelier. Wo drucken Sie die Figuren aus?
Ich schicke die Daten per Mail oder lege sie auf dem entsprechenden Server ab. Meist werden die Figuren an der ETH in Zürich oder an dem entsprechenden Ausstellungsort direkt ausgedruckt. Der Transfer von Daten wird in Zukunft auch in der Museumsarbeit eine Rolle spielen. Zurzeit bereite ich eine Ausstellung in New York vor. Ich plane dort keine Objekte hinzuschicken, sondern Datensätze, die von einem Drucker vor Ort ausgedruckt werden können.
Was dann auch die Frage nach dem Original aufwirft. Was soll ein Museum eigentlich sammeln: den Ausdruck oder den Datensatz?
Beides!
Mehr über den künstlerischen Gebrauch von 3-D-Technik lesen Sie in Monopol 3/2013
„Karin Sander: Visitors on Display, LehmbruckMuseum, Duisburg, bis 23.6. Im Verlag der Buchhandlung Walther König erscheint ein Katalog, der die gesamte Gruppe der Museumsbesucher abbildet. Am 26.3. um 19 Uhr wird die Monografie in der Buchhandlung Walter König, Berlin-Mitte, vorgestellt. Außerdem ist von Karin Sander im Humboldt Lab Dahlem, Berlin, bis zum 12. Mai die Ausstellung „Identities on display“ zu sehen