Der moderne Mensch sehnt sich ins All, weil er auf Erden leidet, es ihm zu eng wird, weil die Ressourcen hier unten langsam zur Neige gehen. Jetzt ist es offenbar auch in der Kunst soweit: 2018 wurden Skulpturen in den Orbit geschossen, und einige Künstler üben schon die Bewegung in der Schwerelosigkeit, um selbst bald in den Kosmos zu folgen. Verständlich, denn vom "Sockelproblem" bis zur letzten "Verfransung der Künste" (Adorno) ist hienieden alles durchdacht und erledigt. In die Tiefe gehen bedeutet jetzt, in die Höhe zu steigen.
Anfang Dezember brachte das private US-Raumfahrtunternehmen SpaceX nach einigen Verzögerungen Trevor Paglens Skulptur "Orbital Reflector" in die Umlaufbahn: Etwa 575 Kilometer über der Erdoberfläche hat sich sein 30 Meter langer, diamantenförmiger Ballon entfaltet, der das Sonnenlicht reflektiert und von der Erde aus mit bloßem Auge zu sehen ist.
An Bord war auch eine weitere Skulptur von Tavares Strachan, der mit seinem Werk "Enoch" an den ersten afro-amerikanischen Astronauten Robert Henry Lawrence Jr. erinnern will und dabei von ägyptischer Mythologie über Shintō-Kult bis zum Afrofuturismus viel zusammengedacht hat. "Enoch" soll die kommenden sieben Jahr um die Erde kreisen.
SpaceX, die Firma des visionären Unternehmers Elon Musk, steht auch hinter dem Vorhaben des japanischen Milliardärs und Kunstsammlers Yusaku Maezawa, der als erster Weltraumtourist den Mond umrunden will – und zwar mit Künstlern. Die sechs bis acht Stipendiaten aus aller Welt sollen nach ihrer Rückkehr "Meisterwerke" schaffen, die "den Träumer in uns allen inspirieren", wünscht sich Maezawa.
Wenn es nach den Berliner Extrem-Fotografen Michael Najjar geht, werden diese Expeditionsteilnehmer aber nicht die ersten Künstler im All sein – sondern er. Najjar hat sich mit einem weiteren schillernden Unternehmer – Richard Branson – zusammengetan und bereitet sich als "Virgin Galactic Pioneer Astronaut" seit 2012 auf seine Weltraumreise vor. Das Wettrennen hat begonnen!
Während sich Wissenschafter über den vielen privat hochgeschossenen "Weltraumschrott" ärgern, ist die Faszination der Künstler mit dem Produktions- und Präsentationsort Kosmos nachvollziehbar. Seit Marcel Duchamps erstem Ready-made, also seit über 100 Jahren, wissen wir, dass es nicht nur das Kunstwerk selbst sondern der Kontext ist, der die Rezeption bestimmt. Kann der Welt- wie ein Ausstellungsraum wirken und Elon Musks ebenfalls 2018 in die Umlaufbahn geschossenen Tesla in ein neues Objekt verwandeln? Und worin verwandelt sich Kunst im All? In Schrott? Oder in Science-Fiction?
Künstler werden wohl erfahren müssen, dass der Weltraum gar kein ahistorischer, leerer Ort ist, sondern längst mit Bedeutung zugeparkt. Denn woran denkt man, wenn man die Renderings von Paglen oder Strachan sieht, wenn nicht an die Bildwelten der Science-Fiction, an den Monolithen aus Stanley Kubricks "2001" etwa. Werden Künstler es jemals schaffen, sich von diesem Genrekorsett zu lösen? Da reist man bis zum Mond und weiter – und findet doch nur wieder Tradition und Kunstgeschichte.
Die Hoffnung liegt also vielleicht eher darin, dass es einen Betrachter gibt, der noch einmal neu alles bewertet und mit Sinn erfüllt: Gott oder das außerirdische Auge, im All sind sie zu Hause.