Die weibliche Seite des Kunstbetriebs
Ob Leonardo da Vinci, Pablo Picasso oder Damien Hirst: Die prominenten und teuren Künstler sind meistens männlichen Geschlechts. Ebenso wie die Mehrzahl der Museumsleiter und Galeristen, Auftraggeber, Mäzene und Sammler. Diesen Zustand zu ändern, schicken sich jedoch seit mehreren Jahrzehnten erfolgreich Künstlerinnen, Kunsthistorikerinnen und Aktivistinnen an.
Die so entstehenden Veränderungen in der Szene schildert die 1991 geborene Schweizer Filmemacherin Sarah Rathgeb in ihrer Doku "Frauen erobern das Kunstbusiness", zu sehen in der 3-Sat-Mediathek. "Frauen existierten hauptsächlich als Musen", heißt es in dem Beitrag eingangs über die früheren Macht-Verhältnisse bis weit in das 20. Jahrhundert hinein.
In Interviews und bei ihrer Arbeit präsentiert Rathgeb dagegen heute höchst aktive und wirksame weibliche Persönlichkeiten wie Yasmin Afschar (39), Interimsleiterin der Kunsthalle Mainz, und das Duo Karolina Dankow und Marina Olsen, Betreiberinnen der Zürcher Galerie Karma – die einst aus einem Dachboden-Projekt hervorging und inzwischen über eine Filiale in New York verfügt. Die Politikwissenschaftlerin und Geschäftsführerin Andreja Hribernik (46) vom Kunsthaus Graz, das bei seiner Gründung 2003 fest in männlicher Hand war, sowie die intim auf den weiblichen Körper blickende Fotokunst der verstorbenen Hannah Villiger (1951-1997) werden ebenfalls vorgestellt.
Welche Eindrücke und Ergebnisse vermag der Film dabei zu vermitteln? Abgesehen von der reinen steigenden Anzahl von Frauen im Kunstbetrieb nehmen die Befragten andere Auswahlkriterien der durch sie an die Öffentlichkeit gebrachten Werke in Anspruch. Und einen anderen Führungsstil - sie betonen Austausch, Zusammenhalt und, wie Afschar es formuliert, "Komplizenschaft bei der Arbeit". Hierarchien würden abgebaut, dafür werde vielfältiger auf die Welt geblickt. In den Exponaten werden nicht zuletzt Unterdrückung, Diskriminierung und Fremdbestimmung durch falsch verstandene Männlichkeit offengelegt. Einige Ausstellungsmacherinnen sehen in der Kunst von Frauen überdies eine größere Nähe zu Natur und Natürlichkeit - wie etwa in Verwendung von Materialien wie Wolle und Stoff.
Insgesamt wirkt Rathgebs knapp einstündige Sendung sehr informativ und dabei unterhaltsam. Männer kommen zu dem Thema allerdings nicht zu Wort.
"Frauen erobern das Kunstbusiness", 3-Sat-Mediathek, bis 15. Juli
Joan Mitchell und die Macht der Farben
Joan Mitchell war eine Frau der Extreme. Sie lebte das Leben in vollen Zügen und verarbeitete es gleichzeitig in ihren Werken. Anhand unveröffentlichter Archivaufnahmen sowie Interviews gewährt der Dokumentarfilm "Joan Mitchell - Poetin des Abstrakten" einen tiefen Einblick in das Seelenleben der US-amerikanischen Malerin. In einer sonst männerdominierten Welt der abstrakten Kunst sagte sie den Rollen-Klischees den Kampf an und verlieh ihrer Kunst eine lyrische Note, deren Leichtigkeit sie sich aus der Natur abschaute. Die Reportage dokumentiert die Entstehung ihrer Werke und damit Mitchells Gabe, an Erinnerungen geknüpfte Gefühle in Bilder zu übersetzen. Das sich hinter den strahlenden Bildern Verletzlichkeit und Einsamkeit ihrer Schöpferin versteckten, bezeugen enge Weggefährten der Expressionistin.
Paul Auster, kürzlich verstorbener Schriftsteller und enger Freund Mitchells, sowie ihre ehemalige Assistentin Gisèle Barreau enthüllen Persönliches und tragen damit zum Verständnis ihrer Kunst bei. Auch die vereinnahmende Liebesbeziehung zu dem kanadischen Maler Jean-Paul Riopelle sowie die Trennung nach 24 Jahren finden einen Platz. Diese emotionale Zerrissenheit wird anhand ihrer experimentellen Studien der 1970er-Jahre nachdrücklich erklärt. Geplagt von Alkoholismus und Arthritis, von Hüftbeschwerden und Tumoren, zeigt der Dokumentarfilm einen großartigen Abschluss mit Mitchells letzter Ausstellung in New York.
"Joan Mitchell - Poetin des Abstrakten", Arte-Mediathek, bis 5. August
Tschabalala Self und die Poesie des Alltags
Die US-Künstlerin Tschabalala Self ringt alltäglichen Situationen in ihren hybriden Bildern aus Malerei, Textil und Collage eine ganz eigene Poesie ab. Ihre Einflüsse reichen von der westlichen Kunstgeschichte bis hin zu Fashion und Hip-Hop-Kultur. Gerade zeigt die gebürtige New Yorkerin eine große Einzelausstellung im Museum EMMA im finnischen Espoo. Doch auch, wer es nicht in den hohen Norden schafft, kann ihre Arbeit besser kennenlernen, denn das Kunsthaus ist für seine aufwendigen Videoporträts von ausgestellten Künstlerinnen und Künstlern bekannt. In der rund 20-minütigen Dokumentation besucht das EMMA Tschabalala Self in ihrem Studio und zeigt die Entstehung einiger Werke. Außerdem spricht sie über ihre Inspiration, Malen mit der Nähmaschine und die Rolle Schwarzer Körper in ihrer Kunst.
Video-Porträt Tschabalala Self, EMMA Zone, bis auf weiteres
Vom Getreidesilo zur Kunstkathedrale
Norwegen - ohnehin nicht arm an kulturellen Angeboten - hat eine weitere Kunstattraktion. In Kristiansand an der Südküste hat Anfang Mai ein neues Museum eröffnet, das in einem spektakulär umgebauten Getreidespeicher am Hafen beheimatet ist. Zu sehen gibt es dort die Sammlung des Finanzmanagers Nicolai Tangen, der einen Großteil seiner Kunst an seine Heimatstadt verschenkt hat. Die Tangen Collection ist auf nordischen Modernismus spezialisiert und vereint Künstlerinnen und Künstler aus Norwegen, Schweden, Finnland, Island und Dänemark. Zur Website des glamourösen Hauses gehört auch ein ambitionierter Video-Kanal, mit dem man einen Besuch vorbereiten oder sein Wissen über die Kunst des Nordens erweitern kann.
Dort gibt es Filme zum Umbau des Kunstsilos, Porträts von Künstlerinnen und Künstlern aus der Sammlung, Interviews mit dem Leitungsteam und die Entstehungsgeschichte der ersten Ausstellung zu sehen. Beim rauschenden Eröffnungsfest wäre man schon gern dabeigewesen.
Kunstsilo Channel, bis auf weiteres
Der "Schwabinger Kunstfund" als Krimi
Im September 2010 wurde im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet ein älterer Herr im Zug kontrolliert. Er trug 9000 Euro Bargeld bei sich, was an sich erlaubt ist. Trotzdem zog der Mann den Verdacht der Zollfahnder auf sich, weil er angab, das Geld stamme aus dem Verlauf von Kunstwerken, mit denen sein Vater während der NS-Zeit gehandelt habe. Dieser eine Satz und der Nachname des Mannes, Gurlitt, brachten die Behörden dazu, großangelegten Handel mit Nazi-Raubkunst und Steuerhinterziehung zu vermuten. Denn Cornelius Gurlitt, der Herr im Zug, war der Sohn von Hildebrand Gurlitt, eines Kunsthändlers, der unter anderem Werke für das geplante Führermuseum Hitlers zusammentragen sollte.
2012 durchsuchen Zollfahnder seine Münchner Wohnung und fanden rund 1200 Kunstwerke, darunter Gemälde von Max Liebermann, Ernst-Ludwig Kirchner oder Franz Marc. Obwohl es der Verdacht der Steuerhinterziehung kaum rechtfertigte, nahmen die Beamten alles mit. Der Fall ging als "Schwabinger Kunstfund" um die Welt - vermutet wurde ein geheimes Depot an Raubkunst. "Der Nazi-Schatz" titelte beispielsweise das Magazin "Focus".
Heute wird darüber diskutiert, ob der Umgang mit Cornelius Gurlitt, der 2014 starb, und seiner Sammlung rechtmäßig war. Der neue Dokumentarfilm "Gurlitts Schatten" von Stefan Zucker rekonstruiert den spektakulären Fall anhand von Unterlagen und Interviews mit Zeitzeugen - und führt vor, wie sehr die öffentliche Erregung eine differenzierte Beschäftigung mit der Gurlitt-Sammlung überlagerte. Außerdem zeigen nachgespielte Szenen Cornelius Gurlitts letzte Monate, in denen der herzkranke Mann von der Presse regelrecht gejagt wurde.
Inzwischen sind fünf Bilder aus der Sammlung an Erben der Vorbesitzer restituiert worden - von einem "Nazi-Schatz" voller Raubkunst kann aber keine Rede sein. Noch immer ist die genaue Geschichte vieler Bilder unklar. So ist der "Schwabinger Kunstfund" auch ein Beispiel, wie ein internationaler Skandal bei näherer Betrahtung zu einer sehr komplexen Geschichte mit vielen Grautönen werden kann.
"Gurlitts Schatten", ZDF-Mediathek, bis 7. Oktober
Die radikalsten Brüder der Straßenkunst
"Ich kann euch nicht das romantische Klischee liefern, auf das ihr vielleicht hofft. Ich bin nicht der Junge mit der schwierigen Jugend, der ohne Eltern in irgendeinem Plattenbau groß geworden ist." So heißt es im biografischen Theaterstück von Rocco und seine Brüder – einem der spannendsten Berliner Künstlerkollektive, das seit Jahren seine Spuren in der Stadt hinterlässt. In der Welt der Graffiti und der illegalen Kunst sind sie längst eine etablierte Größe. Typisch für sie, dass ihre Aufführung natürlich nicht in einem offiziellen Theater spielte, sondern geheim in einem unterirdischen U-Bahn-Schacht.
Die 40-Minütige Dokumentarfilm "Rocco und seine Brüder – Radikale Aktionskunst aus Berlin" von Lukas Ratius und Philipp Majer zeigt nun auch einem breiten Publikum das facettenreiche Werk der Gruppe. Dafür findet die erste Interviewszene auf einem Minigolfplatz statt. Der vermummte Mann stellt sich vor, er sei Rocco, seine Brüder schlagen gerade ein paar Bälle.
Von der Springer-Presse seien sie bereits als Schock-Aktivisten bezeichnet worden, erzählt er. Der Minigolfkurs als Kulisse repräsentiert mit einem Augenzwingern ihren Abenteuerspielplatz Berlin. Dort toben sie sich aus und riskieren viel. Sie laufen durch U-Bahntunnel, besprühen Züge und schenken der Hauptstadt viele künstlerische Interventionen, welche sie selbst nie genehmigt hat.
Eines ihrer gelungensten Werke: Das Zimmer im U-Bahn-Schacht. Mit Sessel, Bett, Fernseher und Tapete richteten sie einen scheinbar gemütlichen Wohnort ein. Das Tapezieren und Möbelschleppen geschah unbemerkt, die Meister der heimlichen Arbeit finden immer Wege, an den Sicherheitsvorkehrungen vorbeizukommen. Die Installation ist ein politisches Werk, verweist es doch auf die steigenden Mietpreise, die Gentrifizierung, Obdachlosigkeit und den Wandel der Städte.
Trotz ihrer ernsten Themen geht das Kollektiv mit Humor vor. Um ungesehen in den Untergrund zu gelangen, stellen sie beispielsweise ein präpariertes Dixi-Klo über einen vorher aufgebrochenen Schacht. Das Häuschen stammt natürlich aus ihrem Handwerksbetrieb: In der Toilette ist ein Loch, das direkt in den Bauch der Stadt führt. Als Straßenarbeiter verkleidet und mit Klopapier unter dem Arm verschwinden nacheinander Rocco und seine Brüder in diesem stillen Örtchen. Keiner bemerkt es, auch nicht das Ordnungsamt gegenüber. Nun, unterirdisch, bereiten sie ihr Graffitibild vor. "Dixikings" wird einige Zeit später groß auf einem Zug stehen. Dass es hier nicht nur um das fertige Bild geht, sondern um eine besondere Form der Performancekunst, zeigt der Auftakt durch das Klohäuschen.
"Der öffentliche Raum ist eigentlich der nicht-öffentlichste Raum, den es überhaupt gibt. Der unterliegt so vielen Normen und Dogmen und Gesetzen, dass eine Mitgestaltung so gut wie unmöglich ist, beziehungsweise sie ist ganz einfach nicht gestattet", so Rocco. Er und sein Kollektiv bearbeiten diese Räume trotzdem. Ästhetisch, inhaltlich, politisch. Hoffentlich noch lange weiter.
"Rocco und seine Brüder - Radikale Aktionskunst aus Berlin", ARD-Mediathek, bis Juli 2025
Die Leiden des jungen Lagerfeld
Wem bei Karl Lagerfeld nur Brille, Zopf und salvenartige Bonmots mit deutschem Akzent einfallen, hat etwas verpasst. Eine Mini-Serie auf Disney+ zeichnet jetzt ein viel weicheres, komplexeres Bild. Lagerfeld, gespielt von Daniel Brühl, verliert zwar nie die Fassung. Aber wenn er sein Korsett anlegt, um seine Figur zu kaschieren, wenn ihm seine Mutter ein Törtchen "zum 40., Söhnchen" schenkt, während alle glauben sollen, er werde 35, und wenn sein Geliebter ihm immer wieder entwischt, dann umweht den preußischen Workaholic eine Tragik, die auch eine große dunkle Brille mit Farbverlauf nicht ganz verbergen kann.
Dabei scheint Daniel Brühl auf den ersten Blick gar keine schlüssige Besetzung zu sein: zu freundlich, zu wenig kantig. Doch er hat Lagerfeld ganz genau studiert und verblüffend umgesetzt. Die verhalten zackigen Kinnbewegungen, das formvollendete Herumstehen bei nur notdürftig unterdrücktem Vorwärtsdrang, das leichte Lispeln und das bestimmte "hm?" am Ende einer Feststellung. Wer je Lagerfeld ohne Brille sah, entdeckte fast schon erschreckend warmherzige braune Augen. Auch die haben beide Männer gemeinsam.
Die eigentliche Sensation ist aber Jacques de Bascher (dargestellt von Théodore Pellerin): 18 Jahre jünger als Karl, schlank wie eine Modezeichnung und mit einem tiefen, kindlichen Blick, der ohne Wimpernschlag von flirty zu melancholisch wechselt. Und von Karl zu Yves. Die Designer Saint Laurent und Lagerfeld waren, so erzählt es die Serie, freundschaftliche Rivalen, doch als Lagerfelds Gefährte Jacques de Bascher eine Affäre mit Yves Saint Laurent beginnt, wird es kompliziert und gefährlich.
Die 1970er-Jahre in Paris sind visuell großartig inszeniert. Die Hosenbeine weit, die Hüften schmal, die Seidenhemden aufgeknöpft, die Schluppenblusen im Stroboskoplicht schimmernd. Es gibt Drinks und Drogen, und zeitweise scheinen Yves Saint Laurents Partner und Geschäftsführer Pierre Bergé und Karl Lagerfeld die einzigen klar denkenden Individuen in einem Zirkus kichernder Hedonisten zu sein. Natürlich denken sie professionell und feindlich übereinander.
Doch es ist nicht dieser Konkurrenzkampf, sondern allein der Kampf eines bis zum Wahnsinn ehrgeizigen, fleißigen Könners gegen sich selbst, den man gebannt verfolgt. Dessen Großzügigkeit und Loyalität sind grenzenlos, doch er fühlt eine "Wand aus Glas" um sich herum, wie Karl Lagerfeld tatsächlich einmal von sich sagte, die der Zuneigung physische Grenzen setzt.
"Becoming Karl Lagerfeld", Disney+
Welches ist nun das echte Quadrat?
Die Rente ist sicher, glaubt der alternde Kunstdieb Vincent Kowalski (Bernhard Schütz), nachdem er Malewitschs berühmtes Gemälde "Das schwarze Quadrat" geklaut hat. Die gleichnamige Filmkomödie von Peter Meister erzählt von der nächsten Hürde nach dem Coup: das Diebesgut an den Mann oder die Frau zu bringen, und zwar auf einem Kreuzfahrtschiff. "Mich interessiert schon immer menschliches Verhalten auf engstem Raum, maximale Konfliktstufe", erklärte der Regisseur Peter Meister im Monopol-Interview, schließlich: "Was gibt es heute für Orte, denen man nicht entrinnen kann? Der Schauplatz Schiff lag für mich auf der Hand".
Tatsächlich häufen sich die Probleme an Bord: Vincents Handlanger Nils (Jacob Matschenz) fällt dort als Kleptomane auf; aufgrund einer Verwechslung müssen die Diebe als Imitatoren von David Bowie und Elvis Presley auftreten – und dann verschwindet auch noch ihr Diebesgut. Der verhinderte Künstler Vincent verfügt immerhin über gewisse Kunstfälscher-Skills…
Obwohl "Das schwarze Quadrat" zeitweilig ins Fahrwasser der Klamotte driftet, bleibt das Katz-Maus-und-Moneten-Spiel amüsant, dank lebendiger Dialoge und einem tollen Cast mit Sandra Hüller, Victoria Trauttmansdorff, Pheline Roggan und Christoph Schärf in charakterstarken Nebenrollen.
"Das schwarze Quadrat", Arte-Mediathek, bis 9. Juli
Diese Giacommetis!
Zeitweilig rückt Alberto Giacometti, der berühmteste Spross der Familie, erwartungsgemäß in den Vordergrund des Films. Schließlich zählt der Schöpfer extrem existenzialistisch-langgestreckter Figuren zu den bedeutendsten Bildhauern des 20. Jahrhunderts. Aber die Filmemacherin Susanna Fanzun widmet sich in ihrem Dokumentarfilm "Die Giacomettis" eingehend auch den anderen Familienmitgliedern. Giovanni Giacometti, der Vater, war Maler, seine Frau Annetta bekam vier Kinder: Alberto, Diego, Ottilia und Bruno, die sich alle mehr oder weniger der Kunst verschrieben.
Das Bergell, ein enges Alpental in der Südschweiz, liegt für drei Wintermonate im Schatten. Der liebe Gott, so geht die Legende, bedauerte die Talbewohner so sehr, dass er ihnen die reich talentierten Giacomettis schenkte, als Lichtblick und Wiedergutmachung sozusagen. In Wahrheit wäre Giovanni (1868-1933), der sich zur Malerei berufen fühlte, beinahe an der Enge und Lichtarmut des Tals zerbrochen. Mit seinem Freund Cuno Amiet ging er für ein paar Jahre nach Paris und lebte einige Zeit in Italien, wo er sich mehr schlecht als recht als Maler durchschlug.
Giacometti hungerte und wurde krank, sah sich gezwungen, ins Bergell zurückzukehren. Er überwand seine Krise, lernte die karge Schönheit seines engen Tals zu schätzen und gründete mit Annetta eine Familie. Seine gewachsene Begeisterung für die heimatliche Umgebung wusste Giovanni Giacometti auf seine Kinder zu übertragen. Weder Alberto noch Diego, Ottilia und Bruno haben mit der Heimat gehadert wie es bei ihrem Vater noch der Fall war.
Susanna Fanzun wuchs im Nachbartal Engadin auf. Die Filmemacherin schildert, wie sie schon als Kind die Märchenbuch-Illustrationen von Giovanni Giacometti liebte. Bereits 2002 hatte Fanzun eine Kurzdokumentation über Alberto gedreht. Einige Interview daraus sind in den aktuellen Film eingeflossen.
"Die Giacomettis" lebt von persönlichen Erinnerungen genauso wie von historischen Zeugnissen, nicht zuletzt von den zahlreichen Briefen, aus denen zitiert wird, welche die tiefe Verbundenheit der Giacomettis zueinander immer wieder unterstreichen. Allerdings wirken die – häufig aus der Drohnenperspektive gedrehten – Filmbilder des Bergell oft viel zu schön, um wahr zu sein.
"Die Giacomettis", Youtube on demand zum Leihen oder kaufen
Dior trifft Faith Ringgold
Die Designerin Maria Grazia Chiuri schaute Ende Juni bei den Haute-Couture-Schauen für das Maison Dior auf das Paris der Olympischen Spiele vor 100 Jahren. Und damit auch auf den Kampf der Frauen, damals als Athletinnen ernst genommen zu werden. "Das Tanktop ist das neue Korsett", ließ Chiuri vor der Show im Musée Rodin in Paris verlauten.
Und tatsächlich tauchte das Oberteil als Couture-Version aus Edelsteinen, mit Mosaik-Spiegeln besetzt oder aus transparentem goldenem Netz auf. Inspiriert von einer Epoche um 1924, in der das limitierende, schmerzhafte Korsett langsam weiten, weichen Silhouetten wich, orientierte sich Chiuri an damals innovativen Designern. Madame Grès und Jean Patou erkennt man in den weiten, drapierten, die Körper umspielenden Kleidern. Den griechischen Peplos interpretierte die Modedesignerin in Jersey-Stoffen: das erste Mal, dass dieses legere Material in Diors Couture-Kollektion vorkommen sollte.
Wie bei jeder ihrer Kollektionen ließ Chiuri ihren feministischen Ansatz über die Kleider hinauswachsen und griff dazu für das Bühnenbild auf Werke von Faith Ringgold zurück. Die Bilder der im April verstorbenen US-Künstlerin rahmten ihre Kleider ein, von Anfang bis Ende. Schon der temporäre Dior-Pavillon, in dem die Show stattfand, war mit Ringgolds Werk "Woman Freedom Now" tapeziert. Innerhalb des Raums säumten gestickte Mosaike den Laufsteg, angelehnt an die Arbeiten, die Ringgold für die Stationen der Untergrundbahn von Los Angeles entworfen hatte. Die hier porträtierten Personen bedienten das Olympia-Fieber für 2024, da sie sportlichen Aktivitäten nachgehen – Joggen, Surfen, Fußballspielen. Wer die Schau in Paris verpasst hat, kann das ganze Defilée inklusive Ringgolds Werken und einem Soundtrack aus Philip Glass' Oper "Einstein on the Beach" noch einmal bei Youtube erleben.
Dior Haute Couture Show, Juli 2024, Paris, auf Youtube
Kunst und Klima auf der Re:Publica
Künstlerinnen und Künstler haben seit Jahrzehnten wichtige Werke zum Thema Ökologie und Nachhaltigkeit geschaffen. Doch das reicht nicht. Jetzt will der internationale Kulturbetrieb selbst Vorreiter werden auf dem Weg zur postfossilen Gesellschaft - und profitiert such von der Innovationskraft der Kunst. Wie das funktioniert, hat Monopol-Chefredakteurin Elke Buhr kürzlich in einem Vortrag auf der Digitalmesse Re:Publica in Berlin erklärt. Jetzt ist der Vortrag über den "Green Deal für die Kultur" online zu sehen – mit vielen Beispielen aus der Praxis.
"Elke Buhr - Ein Green Deal für die Kultur", Re:publica online, auf Youtube