Die Künstlerin Nan Goldin zwischen Schönheit und Blutvergießen
Mit ihrer Eröffnungsrede in der Neuen Nationalgalerie, in der sie das Vorgehen Israels in Gaza und im Libanon scharf kritisierte, hat die US-Fotografin Nan Goldin Ende November für große Empörung gesorgt. Dabei überlagerte die Debatte um ihre politische Haltung zum Nahost-Krieg die Kunst der Retrospektive "This Will Not End Well". Wer sich dafür interessiert, wie Aktivismus und Ästhetik in Goldins Werk zusammenhängen, findet Anhaltspunkte im Film "All The Beauty And The Bloodshed". Darin porträtiert die Regisseurin Laura Poitras die heute 71-Jährige und zeigt einfühlsam, wie sie zu ihren Themen kam: Beispielhaft ist die Agitation gegen die Pharma-Familie Sackler, deren aggressive Werbung für abhängig machende Schmerzmittel für die Opioidkrise in den USA mitverantwortlich ist. 2022 gewann die Dokumentation bei den Festspielen von Venedig den Goldenen Löwen.
Über mehrere Jahre hat die Filmemacherin den Kampf von Goldin und ihrer Initiative P.A.I.N. begleitet, die öffentliche Wahrnehmung für die Verstrickungen der Sacklers in die Kunstwelt zu schärfen. Zugleich wurde Poitras durch die Begegnung mit Goldin zu einem intensiven Porträt der Künstlerin motiviert, deren Biografie und künstlerische Laufbahn in die chronologische Schilderung der Gruppenaktivitäten zwischen 2018 und 2021 eingeflochten werden.
In der Person Nan Goldins laufen alle Fäden dieser irrsinnigen Geschichte zusammen, nicht allein deshalb, weil die 1953 in Washington D.C. geborene Fotografin eine Kennerin des US-Kulturbetriebs ist, einem System, das mangels staatlicher Förderung stark von privater Förderung abhängig ist und sich notorisch vom Geldadel (etwa für Steuerabschreibungen) benutzen lässt – wie in diesem extremen Fall von "Artwashing".
Doch die Causa Sackler ist eben nur die eine Seite eines immer wieder in die Vergangenheit Goldins zurückkehrenden Films. Während man die raue Altstimme der Künstlerin auf der Tonspur hört, sind vor allem Fotografien zu sehen. Kunst und Leben sind eng verzahnt im Schaffen von Nan Goldin, wie man auch in Berlin wieder beobachten konnte. So setzte sie ihre berühmte "Ballade der sexuellen Abhängigkeit" aus Fotos zusammen, die ihre privaten Beziehungen in den späten 1970er- bis 1980er-Jahren zeigen, an Orten wie Provincetown, Boston, New York oder Berlin. Die insgesamt 800 Aufnahmen wurden von Goldin, die selbst eine Figur der "Ballade" ist, in Diaserien und zwischen Buchdeckeln immer wieder unterschiedlich kombiniert.
Souverän hat die Filmemacherin die Fülle an Material in eine dramaturgisch komplexe wie schlüssige Form überführt, sodass sich zunehmend der Eindruck eines großen inneren Zusammenhangs einstellt. Durchgängig ist Goldins Biografie von seelischer und körperlicher Gewalterfahrung geprägt, und von der wachsenden Erkenntnis, dass Individuen von Staat und Gesellschaft wenig Unterstützung zu erwarten haben, dass sich Gleichgesinnte zusammentun sollten und mit Hartnäckigkeit politische Veränderungen herbeiführen können.
"All The Beauty And The Bloodshed", Amazon Prime
Der Fotograf als Außenseiter
Der schwäbische Fotograf Andreas Reiner ist ein Freund der derben Worte: So legt er Wert darauf, dass auf seinen Ausstellungen "keine Prosecco-Weiber mit Stöckelschuhen" auftauchen. Eine Vernissage veranstaltet er lieber in einem halb renovierten Raum bei sich zu Hause als in einer Galerie, weil dann "nicht alles so perfekt und gerade sein muss". Reiner sieht sich selbst als Außenseiter, der erst durch mehrere Schicksalsschläge zur Fotografie gefunden hat. Auch in seiner Arbeit interessiert ihn vor allem das, was im Verborgenen geschieht. Er hält Grabbeigaben im Krematorium fest und rückt Menschen ins Zentrum, die oft im Abseits bleiben. Wichtig ist ihm dabei, eine Beziehung zu seinen Modellen aufzubauen, die er zum Teil in extremen Posen und Settings ablichtet. Wie er es selbst ausdrückt: "Ich kann mitschwätze!"
Der leise Dokumentarfilm "Schattenkind" von Jo Müller kommt ganz ohne Voice-over-Kommentar aus und lässt Andreas Reiner seine Geschichte selbst erzählen. Die Kamera begleitet Reiner zu seinen Shootings, folgt ihm zu Schauplätzen seines Lebens und auf seinem Weg zu neuen Themen. Der Film beobachtet, ohne zu werten. Die Qualität der Ergebnisse zu beurteilen, überlässt er dem Publikum selbst.
"Schattenkind", ARD Kultur
Das Kreuzfahrtschiff als Performance-Space
Als "Triangle of Sadness" wird in der plastischen Chirurgie eine unschöne Stelle auf der Stirn bezeichnet, die sich mit Botox behandeln lässt. Und so lautet auch der Titel der Gesellschaftstragikomödie des schwedischen Regisseurs und Drehbuchautors Ruben Östlund, die sich nicht zuletzt um das Kapital Schönheit dreht. Der Preisträgerfilm der Goldenen Palme von Cannes 2022 beginnt mit Yaja und Carl, einem jungen Paar aus der Modelszene. Carl (Harris Dickinson) kommt mit dem branchenüblichen Gender-Gap zugunsten Yajas (Charlbi Dean Kriek) nicht gut klar. Diese darf als Influencerin an einer Luxuskreuzfahrt teilnehmen - und ihren Freund als Accessoire und Fotograf für Insta-Content mitnehmen.
Auf dem Schiff treffen die beiden auf reiche und neureiche Leute, die jeden Überfluss gewohnt sind und mal mit Selbstironie, mal mit Exzentrik auffallen. Die auf absurde Weise zwingende Handlung wartet mit den Wortgefechten des marxistischen Kapitäns (Woody Harrelson) mit einem osteuropäischen Kapitalisten (Zlatko Burić) auf, amüsiert mit einer grotesken Brech-Orgie beim Dinner (als Kotz-Virtuosin ohnegleichen: Sunnyi Melles) und nimmt mit dem Untergang der Yacht eine unerwartete Wendung.
Unter den auf einer einsamen Insel gestrandeten Passagieren etabliert sich eine neue Rangordnung, in der Geld keine Rolle spielt, sondern Überlebenskünste – und wiederum Schönheit, wobei nun Carl vor Yaja die besseren Karten hat, weil die Machthaberin und Ernährerin der Gruppe, die zuvor unscheinbare Putzfrau Abigail (Dolly de Leon), ihn zum Lover erkoren hat. Die unvorhersehbare Liaison ist nicht die letzte Volte der pechschwarzen Farce um Klassenverhältnisse und die Halbwertszeit von Privilegien – mit einer anrührenden Iris Berben in der Rolle einer betuchten Schlaganfallpatientin, die aufgrund einer Sprachstörung immer bloß den Satz "In den Wolken" herausbringt. Im Himmel spielt Östlunds "Triangle" aber nicht, eher ganz unten, entsprechend dem Sartre-Zitat: "Die Hölle, das sind die anderen".
"Triangle of Sadness", Arte-Mediathek, bis 17. Dezember
Das gestohlene Leben der Martha Liebermann
Der Spielfilm beginnt mit dem Blick auf die Liebermann-Villa 1927. Max Liebermann sagt zu seiner Frau Martha: "Die ganzen Ehrungen, die mir im Laufe meines Lebens zuteilgeworden sind, hätte es ohne dich nie gegeben". Sie sei seine "ehrlichste Kritikerin, klügste Beraterin und der gütigste Mensch, den man sich als Gattin nur wünschen kann." Er erklärt weiter: "Ein Stück Martha steckt in fast allen meinen Werken".
Nach einer Geburtstagsparty für den berühmten Maler, auf der Martha Liebermann den jungen Kunsthistoriker Carl Solbach kennenlernt, folgt ein Sprung in die Zukunft. Max Liebermann ist tot, die Nationalsozialisten sind an der Macht, die Villa am Wannsee wird aufgelöst. Wir befinden uns im Berlin von 1943. Martha, die Jüdin ist, will mithilfe von Hanna Solf ausreisen, muss dafür aber 50.000 Reichsmark bezahlen. Es sollen Bilder des Malers Andre Zorn nach Schweden geschmuggelt und dort verkauft werden. Um den Schwund zu vertuschen, fertigt die Gruppe Fälschungen der Bilder an. Aber die Gestapo ist der Solf-Gruppe auf den Fersen, und Martha Liebermann gerät ins Visier der Nationalsozialisten.
Der Kunsthistoriker Carl Solbach tritt erneut als Gehilfe der Gestapo auf, der die gefälschten Bilder natürlich auf den ersten Blick erkennt, jedoch beschließt, Martha Liebermann vorerst zu decken. Denn auch er will einer Person zur Flucht verhelfen, seinem Partner Benjamin.
Der Spielfilm verarbeitet das historische Material aus der Romanvorlage "Dem Paradies so fern. Martha Liebermann" von Sophia Mott in "Babylon-Berlin"-Krimi-Ästhetik. Die Krux an solchen Interpretationen historischer Figuren ist, dass nicht klar ist, was Fakten und was kreative Ergänzungen sind. Unklar bleibt, was der Film uns über die Person Martha Liebermann erzählen will. Falls die Agenda des Films ist, sie aus dem Schatten ihres berühmten Mannes zu lösen, ist das krachend gescheitert. Martha Liebermann wird einzig in ihrer Rolle als Witwe des bekannten Künstlers gezeigt, die ihre Relevanz erhält, weil sie "in jedem seiner Werke steckt".
Doch ein Aspekt des Films ist heute noch hochaktuell. Zahlreiche, vor allem jüdische Kunstsammler, mussten im Nationalsozialismus ihre Werke zu Spottpreisen veräußern. In Fachkreisen wird hier von NS verfolgungsbedingtem Kulturgutentzug gesprochen. Einige der Werke können wir heute noch in Museen bewundern. Ein Lichtblick sind Häuser, die die Provenienz ihrer Werke zunehmend aufarbeiten und entzogene Werke restituieren.
"Martha Liebermann. Ein gestohlenes Leben", 3-Sat-Mediathek, bis November 2025
Die Femme Fatale - eine Kunstfigur im Wandel
Von Ovid über die Präraffaeliten bis hin zu den Malern der Neuen Sachlichkeit: Die Kulturgeschichte ist voll von vor allem männliche Künstlern, die fasziniert waren von der "Femme Fatale" - dem verführerisch-mythischen Wesen, das Erotik ausstrahlt, das aber auch als Schreckgestalt verliebte Herren ins Verderben stürzt. Nachdem dieses Bild Jahrhunderte lang in der Kunst eher eindimensional eingesetzt wurde, haben sich Künstlerinnen seit der Moderne verstärkt für einen Frauentypus eingesetzt, der der tradierten Passivität etwas entgegensetzt. Und so haben die zeitgenössischen "Nymphen" einer Maria Lassnig oder Valie Export nur noch wenig mit den Imaginationen eines John William Waterhouse zu tun, der seine femmes ätherisch und gefällig malte.
Der Dokumentarfilm "Die Femme Fatale in der Kunst - ein Mythos und seine Demontage" geht der Geschichte der Figur auf den Grund und begleitet dabei auch eine Ausstellung, die 2022/23 in der Hamburger Kunsthalle stattfand. Zu Wort kommen nicht nur Kuratorinnen und Kunsthistorikerinnen, sondern auch Künstlerinnen wie Ulrike Rosenbach. In ihrem Werk "Glauben Sie nicht, daß ich eine Amazone bin" griff diese schon 1975 stereotype Darstellungen von Frauen auf und verwarf diese mit großer Geste. So schoss sie beispielsweise mit Pfeil und Bogen auf eine Mariendarstellung - statt Heiliger oder "Femme Fatale" wollte sie lieber eine Kriegerin sein.
"Die Femme Fatale in der Kunst - ein Mythos und seine Demontage", ARD-Mediathek, bis 2026
Die Künstlerin und die Kaiserin
Netflix-Serien mit historischem Hintergrund sind inzwischen so gefilmt, dass sie einem Gang durch den Louvre gleichen. Jede Einstellung scheint einem großen Werk der Kunstgeschichte nachempfunden zu sein. Wie die Personen sich im Ausschnitt befinden, wie sie zueinander stehen – alles erinnert an etwas, das man schon einmal gesehen hat. Es gibt goldene Lichtkanten wie bei Rembrandt, besonders in dunklen Szenen mit den zugezogenen Vorhängen in den Herrschergemächern. Picknicks im Grünen dagegen sind immer französisch-impressionistisch, und wenn irgendwo Kutschen, Pferde und Herren mit hohen Hüten zu sehen sind, gibt es auch dazu unzählige Referenzen in den Sammlungen aller möglicher Museen.
Das ist nicht unangenehm – man fühlt sich sachte umarmt von großem visuellen Kenntnisreichtum, und diese Kenntnis muss nicht im Detail aufgelöst werden. So schaut man Serien wie "The Empress" ohne jede Gefahr, optisch irgendwie überrascht zu werden. Und das will man vielleicht auch nicht, wenn man zu den Menschen zählt, die sich von solchen Geschichten gut unterhalten fühlen, in denen eine junge sympathische Frau so lange drangsaliert wird, bis sie selbst glaubt, verrückt zu sein.
Hier spricht man vom Publikum von "Sissi"-Filmen und eben auch von der "Kaiserin", die jetzt bei Netflix in einer zweiten Staffel anläuft. Nach Geschichten, in denen Frauen gedemütigt werden, kann man sehr leicht gerade keinen Bedarf verspüren. Auch, dass sie als "starke Frauen" in die Geschichte eingehen, nur, weil sie nicht sofort an all der Grausamkeit gestorben sind, sondern sehr langsam, tröstet kaum. Was allerdings trösten kann, ist ein Gesicht wie das von Britta Thie, die in "Die Kaiserin" eine Nebenrolle spielt.
Die Künstlerin und Schauspielerin macht selbst Filme, und ihr eigenes Werk ist radikal gegenwärtig und selbstbestimmt. In diesem deutschen Historiendrama spielt sie das Kindermädchen von Elisabeths erster Tochter Sophie, die im Kleinkindalter sterben wird. (Sissi muss so lange weiter Kinder bekommen, bis sich darunter ein Thronfolger befindet.) Britta Thie sieht dabei nicht nur sehr überzeugend in den Kleidern der Zeit aus, unter den schräg aufgesetzten Hüten und aufgetürmten Haaren. Sie spielt ihre auf Förmlichkeiten und Gehorsam konzentrierte Rolle mit einer faszinierenden Zurückhaltung, hinter der sich viel entwickelt – das möchte man unbedingt weiter verfolgen!
"Die Kaserin", auf Netflix
Von wem ist Marcel Duchamps Pissoir wirklich?
1917 signierte ein gewisser "R.Mutt" ein handelsübliches Urinal und sandte es als Skulptur bei einer New Yorker Ausstellung ein. Es sollte ein Test sein, ob wirklich jedes Werk gezeigt werden würde, wie es die Organisatoren versprochen hatten. Inzwischen gilt diese industriell gefertigte Keramikschüssel als eines der wichtigsten Objekte der Moderne - als Verkörperung des Ready-Mades, also der Idee, dass jeder Gegenstand Kunst sein kann, wenn er dazu erklärt wird. Als Urheber dieses avantgardistischen Stunts gilt heute der legendäre Konzeptpionier Marcel Duchamp, der bereits vor 1917 Alltagsobjekte als Skulpturen signierte.
Doch es gibt immer wieder Diskussionen um diese Zuschreibung. Einige Experten - darunter die prominente US-Autorin Siri Hustvedt - glauben, dass vielmehr eine Frau Schöpferin des Urinals ist: Die lange vergessene Dada-Künstlerin und Autorin Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven (1874 - 1927), die in Deutschland geboren wurde und in New York zu den Künstlerkreisen um Duchamp gehörte. Der neue Dokumentarfilm "Duchamp, die Baroness und das Urinal", der gerade bei Arte zu sehen ist, nimmt die Ermittlungen zur Frage der Autorenschaft auf. Und kleiner Spoiler: Auch den Regisseuren Justine Morvan und Kévin Noguès gelingt es nicht, wirklich neue Beweise für Loringhovens Pissoir-Involviertheit zu finden. Vieles bleibt Vermutung, viele Verbindungen zur Baroness lassen sich auch anders erklären als mit einer großen Verschwörung gegen eine Künstlerin.
Befürworter und Gegner der Loringhoven-These halten sich in dem Film die Waage, der aber trotz fehlender Sensation sehenswert ist. Darin lernt man nämlich vor allem eine exaltierte, furchtlose Performancekünstlerin kennen, die so oder so mehr Aufmerksamkeit verdient hat: ob sie nun am Pissoir beteiligt war oder nicht.
"Duchamp, die Baroness und das Urinal", Arte-Mediathek, bis 10. Dezember
Die Welt mit Kinderaugen sehen
Der US-Regisseur Mike Mills wollte eigentlich Künstler werden und hat in New York beim Konzept-Pionier Hans Haacke studiert. Dann ging er zwar doch zum Film, behielt aber immer die Idee im Kopf, komplexe Porträts zu erschaffen. In seinem neuesten Werk "C'mon, C'mon" von 2022, das nun beim Streamingdienst Mubi zu sehen ist, schickt er den Radioreporter Johnny (Joaquin Phoenix) auf eine Reise durch die USA, auf der er Stimmen von Kindern sammeln soll, die über ihre Wünsche und Hoffnungen für die Zukunft sprechen. Das arbeitsame Leben des leicht verschrobenen Single-Manns nimmt eine Wendung, als seine Schwester ihn bittet, zeitweise auf ihren Sohn Jesse aufzupassen.
Dass ein fantasievoller, eloquenter 9-Jähriger seinen kinderlosen Onkel aus der Reserve und an seine Grenzen lockt, ist dramaturgisch erwartbar. Doch wie das passiert, ist überwiegend klischeefrei, lustig und auch traurig. Der anrührende Film zeigt das Konzept, das Mills in allen seinen Filmen verfolgt: Figuren ernst nehmen, die nicht perfekt und mit der schnellen Welt der Gegenwart leicht überfordert sind. Und Situationen erschaffen, wo sich diese Menschen dann doch begegnen und durch die Reibung aneinander eine Menge Wärme erzeugen.
"C'mon C'mon", bei Mubi
Thierry Mugler: Der Showman der Mode
Thierry Muglers Karriere begann und endete mit der Bühne. In seiner Heimatstadt Straßburg entdeckte der Designer an der Oper seine Liebe für Kostüme und Inszenierungen. Jahrzehnte später dann sollte eine der größten Sängerinnen unserer Zeit, die US-Amerikanerin Beyoncé, seine Entwürfe auf ihrer Tour tragen.
Dazwischen widmete sich Thierry Mugler der Mode, gerade in den 1980er- und frühen 1990er-Jahren. Doch auch seine Designs fanden immer in einem Entertainment-Rahmen statt. Die Models glichen Showgirls, die Laufsteg-Schauen großen Gala-Auftritten, und jeder seiner Entwürfe hätte eine Hauptrolle spielen können. Das berühmte Harley-Davidson-Korsett etwa. Als Körperpanzer lassen sich die Designs des Franzosen beschreiben, als Konstruktionen, die wie bei einer Autokarosserie präzise zusammengesetzt werden. Die darin gekleideten Frauen erscheinen dem Betrachter als Superheldin, ihre Silhouette ins Ideal verformt, große Brust und winzige Taille, oft eine extreme Schulterpartie.
Mugler gestaltete die Körperformen der Trägerinnen neu, ebenso wie später, als er sich von der Mode verabschiedet hatte, seinen eigenen Körper und sein Gesicht. Der Stil des Modedesigners sollte 20 Jahre nach seinem Rückzug und Umzug nach Berlin ein Revival erfahren, an keinen anderen Körpern als denen von Kim Kardashian und Beyoncé. Seine Geschichte wird in "Thierry Mugler - Modeschöpfer und Showman" von seinen Weggefährten wie dem Modedesigner Jean Paul Gaultier, früheren Assistenten und seinem Lebensgefährten erzählt und endet mit seinem plötzlichen Tod im Jahr 2022.
Muglers Erbe jedoch, von dem einst teuersten Kleid der Haute Couture bis zu Frauen, die durch seine Mode vom Objekt zum Subjekt wurden, bleibt bestehen und verspricht Wespentaillen für alle.
"Thierry Mugler - Modeschöpfer und Showman", Arte-Mediathek, bis 20. Februar 2025
Steve McQueen porträtiert London während des "Blitz"
Die Angriffe der deutschen Luftwaffe auf London von 1940 und 1941 haben sich ins britische Nationalbewusstsein eingebrannt: Der "Blitz", wie die Briten den Bombenhagel bezeichnen, hat die Stadt verändert. Ein Porträt dieser Zeit zeichnet der Regisseur und bildende Künstler Steve McQueen in seinem jüngsten, seinem fünften Spielfilm "Blitz", den Apple TV+ zeigt und der gleichzeitig in wenigen deutschen Kinos angelaufen ist. Saoirse Ronan spielt darin eine alleinerziehende Mutter, die ihren dunkelhäutigen Sohn George mit der Kinderevakuierung aufs Land schickt, damit er vor den Bomben sicher ist. Nur will George nicht von seiner Mutter getrennt sein, springt vom Zug und schlägt sich durch ein London, das ein gefährlicher Ort geworden ist.
Wenn der Junge durch die Stadt läuft, wohlgesinnte und gefährlich Leute trifft, in einer Tube-Station Schutz sucht, durch Ruinen klettert und über Brücken rennt, wird vor den Augen des Publikums ein Panorama entfaltet, das die historische Situation des "Blitz" und die überzeitliche, existentielle Dimension eines Bombenkriegs gleichermaßen nachempfinden lässt. Steve McQueen interessiert sich für Städte in Ausnahmezuständen, auf Mubi ist gerade auch sein monumentaler Dokumentarfilm "Occupied City" über die Besetzung Amsterdams durch die Nazis zu sehen.
Darüber hinaus erzählt "Blitz" von Rassismus-Erfahrungen, was in einem Film zunächst überrascht, der vordergründig eine nationale Katastrophe darstellt. Aber die Tragödie täglicher Rassismen wird eben durch ein größeres Gemeinschaftsschicksal nicht aufgehoben, obwohl in "Blitz" neue Möglichkeiten von Empathie und Solidarität angesichts einer verbindenden Erfahrung aufscheinen. Eher ist es doch so: Wenn es schon schwer für alle ist, ist es für rassifizierte Menschen noch schwerer.
"Blitz" ist ein sehenswerter Film, auch wenn er für einen Regisseur, der auch als bildender Künstler arbeitet, überraschend konventionell geraten ist und stellenweise sogar wie ein Weihnachtsfilm wirkt. Angesichts des Horrors, der sich gerade in Gaza und der Ukraine abspielt, ist eine Erinnerung an die Schrecken von damals aber absolut notwendig.
"Blitz", Apple TV+