Herr Mattes, heute benutzen sehr viele Künstler digitale Mittel – und sei es nur zu dem Zweck, ein Modell eines Werkes zu erstellen. Sind die Label „Digital Art“ oder „Medienkunst” überhaupt noch zeitgemäß?
Ich versuche Definitionen zu vermeiden, die sich auf die Art des Mediums beziehen, Begriffe wie „Digital-Art“ oder „Videokunst“. Wenn alles, was eine Gruppe von Leuten zusammenhält, das gleiche Medium ist – sei es ein Computer oder eine Leinwand –, dann finde ich das nicht sehr hilfreich. Ich mochte aber immer den Begriff „Net Art”, denn er umgrenzt eine echte Kunstbewegung, genauso wie es etwa die Bezeichnungen „Dada“ oder „Futurismus“ getan hat.
Das Web 2.0 und Onlinespiele eröffnen neue Möglichkeiten für Collagen oder Performances. Auch Sie nutzen gegebene Infrastrukturen als Material. Aber was charakterisiert ein Kunstwerk im Unterschied zu anderem benutzergenerierten Inhalten?
Ich sehe da eigentlich keinen Unterschied. Sie unterscheiden sich nur, wenn man Kriterien aus dem Kunstsystem akzeptiert, Dinge wie Authentizität, Einzigartigkeit, Originalität oder Marktwert. Wenn man aber Kunst nach eigenen Standards beurteilt, dann existiert diese Unterscheidung nicht. Einige der besten Net-Art-Werke passen nicht einmal in ein Museum oder eine Kunstgalerie.
Kürzlich haben Sie den Web-2.0-Spirit direkt gegen die Kunstwelt ausgespielt: Sie bauten ein im Internet verbreitetes Bild von einer Katze im Vogelkäfig als Skulptur nach und gaben diese als eine Arbeit des renommierten Künstlers Maurizio Cattelan aus ...
Die falsche Cattelan-Skulptur haben wir in der Inman Gallery in Houston, Texas, einen Monat lang ausgestellt, und jeder mochte sie sofort. Es hatten sich sogar auch schon ein paar Sammler gefunden, die die kaufen wollten. In diesem Fall spielte der Kontext eine große Rolle in der Rezeption.
Diese Arbeit wirft eine Frage auf: Wie können Künstler überhaupt noch mithalten mit der rasanten kreativen Kraft von Online-Communities?
Kunst ist häufig zusammengesetzt aus wiederverwerteten Ideen und Bildern, selbst Kunst, die wir als „traditionell“ bezeichnen, etwa Skulptur und Malerei. Das Internet hat sich zu einem Ort entwickelt, in dem diese Quellen zu finden sind. Da ist viel Großzügigkeit im Spiel. Es macht auch viel mehr Sinn, nach Referenzen in Kunstwerken Ausschau zu halten, statt nach Originalität.
Hat unsere Generation durch das Internet ein neues Verhältnis gefunden zum Urheberrecht und Ideenaustausch?
Aneignung wird durch das Internet definitiv populärer, aber diese Strategie gab es schon immer. Michelangelo hat griechische Skulpturen kopiert – buchstäblich. Stellen Sie seinen "David" neben Polykleitos’ "Doryphoros"! Das ist das Gleiche, nur dass Michelangelos Statue 2000 Jahre später entstand. Heute würde das Urheberrechtsverletzung bedeuten …
Es sieht so aus, als würden Sie einige Hoffnungen mit der Entwicklung des Internets verknüpfen ...
Ich war schon immer sehr optimistisch. Wenn es so aussieht, als würde sich das Netz in Google oder Facebook verwandeln, passiert etwas wie 4Chan oder Wikileaks – total wild und außer Kontrolle. Das ist das Internet, wie ich es liebe.
Bis zum 30. Januar sind Arbeiten von 0100101110101101.ORG in der Gruppenausstellung „Virtual Rebellion“ in der Ausstellungshalle KOP im niederländischen Breda zu sehen