"gestern die stadt von morgen" im Ruhrgebiet

Zurück zum Beton

Vor 50 Jahren entstand auf der grünen Wiese im Süden Bochums ein gewaltiges Betonmonster. Die Architektur der ersten deutschen Nachkriegs-Universitätsgründung atmete den Geist der Utopie. Die Wirklichkeit erntet bis heute ambivalente Reaktionen: Bravo, Brutalismus und die Frage "Brennt Beton?".

Das Kunstprojekt "gestern die stadt von morgen" will diese und andere gebaute Visionen im Ruhrgebiet untersuchen: herausragende Exemplare der Architektur der 60er- und 70er-Jahre, entstanden im Zeichen der boomenden Bundesrepublik, heute von Patina überzogen. Ab Sonntag bespielen mehrere Künstler Orte wie das wachstumsorientierte Rathaus in Marl, die brachialen Wohntürme des bahnhofsnahen Forums in Mülheim und die Ruhr-Universität in Bochum. Die von Urbane Künste Ruhr und dem 20 Museen umfassenden Netzwerk der RuhrKunstMuseen eingeladenen Künstler sind unter anderen Michaela Melián, Martin Kaltwasser, Nico Joana Weber, Corinna Schnitt und die Gruppe Konsortium.

Kuratiert wird das Projekt von dem erst seit Kurzem amtierenden Direktor des Museums in Marl, Georg Elben. Allein schon sein Haus, ein umglastes Museum, verortet unter dem Sitzungstrakt des Rathauses, ist ein Beispiel für ge- und verbaute Visionen. Elben sieht die bespielten Orte als "faszinierende Bauten, deren Potenzial wieder sichtbar" gemacht werden solle. Dabei soll die Kunst aber weder zur "pädagogischen Veranstaltung" werden noch zu einem Theorieseminar einer Brutalismusrehabilitierung. Vielmehr stelle sich die ewige Frage: Wie geht man um mit der Kunst im öffentlichen Raum?

Bei den Ausstellungsteilnehmern, die auf einer Rundreise die Orte kennenlernten, herrschte weitgehende Begeisterung, so Elben: "Die Qualität der Orte ist für Künstler unmittelbar ersichtlich." Es entstehen temporäre Arbeiten direkt vor Ort, parallel dazu werden die beteiligten Museen in ihren Räumen (Skulpturenmuseum Glaskasten Marl, Campusmuseum der RUB/Sammlung Moderne und Kunstmuseum Mülheim) korrespondierende Ausstellungen zeigen, die das Thema kunsthistorisch vertiefen und eine Verbindung zwischen den Außenräumen und den institutionalisierten Innenräumen herstellen.

Michaela Melián zum Beispiel wird Glaskuben aufstellen, in denen Tonspuren abgerufen werden können: Fasziniert war sie etwa von den über die Zeit immer mehr klackernden losen Bodenplatten der Ruhr-Universität, die längst zu einem akustischen Signum der Revier-Hochschule geworden sind – Sound gewordene Baufehler. Martin Kaltwasser dagegen wird die Wohnung für eine Künstlerresidenz in Marl einrichten, die am Ende der Ausstellung möglichst weitergeführt werden soll. Und Corinna Schnitt wird eine Performance in Mülheim durchführen: In der einstündigen Inszenierung sollen in einem zum Forum City gehörenden Wohnturm 90 Fenster von 90 Statisten gleichzeitig geputzt werden – Pflege des architektonischen Erbes mal wörtlich genommen.

"gestern die stadt von morgen", 22. Juni bis 7. September. Informationen unter: www.urbanekuensteruhr.de

Dieser Artikel erschien im Monopol-Kunstführer Rheinland 2014. Sie können das Heft hier bestellen.