Zum 120. Geburtstag von Clark Gable

Ein windiger Bursche

Clark Gable und Vivien am Filmset zu "Vom Winde verweht"
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Clark Gable und Vivien Leigh am Filmset zu "Vom Winde verweht"

Vor 120 Jahren wurde Clark Gable geboren. Seine größte Rolle spielte er in einem Film, der mit den jüngsten Anti-Rassismus-Protesten wieder ins Kreuzfeuer geraten ist: "Gone with the Wind"

In alten Filmen wird bei Wutanfällen immer mit Gegenständen geschmissen. Clark Gable war so ein Schmeißer. In seiner berühmtesten Rolle als Rhett Butler in "Gone with the Wind" (1939) wirft er ein Whiskyglas auf Scarletts gemaltes Porträt an der Wand. Der nicht nur wegen des inhärenten Rassismus problematische Mammutfilm zeigt toxische Männlichkeit nur indirekt. Aber eigentlich beschreibt die Szenenfolge, in der Rhett seine widerwillig zappelnde Frau die Treppe zum Schlafzimmer hochträgt, danach Abblende, eine Vergewaltigung in der Ehe. Im nächsten Bild sehen wir Scarlett (Vivien Leigh) am nächsten Morgen im Bett. Zufrieden räkelt sie sich. Und Rhett setzt sich an die Bettkante und entschuldigt für sein rabaukiges Verhalten. Also doch keine Vergewaltigung. Sorry! Sah nur so aus!

Drei Filmstunden früher hat Scarlett eine Vase an die Wand der Bibliothek von Twelve Oaks geworfen. Rhett, für sie noch ein Fremder, schreckt vom Nickerchen auf dem Sofa hoch und fragt schmunzelnd, ob der Bürgerkrieg schon ausgebrochen sei. Der Sezessionskrieg zwischen 1861 und 1865 bildet die historische Kulisse des Coming-of-Age-Dramas einer jungen Südstaatlerin – Scarlett O’Hara –, die wütend darüber ist, dass der Erbe von Twelve Oaks – Ashley Wilkes – ihre Cousine Melanie statt ihrer heiratet (deshalb macht die selbstsüchtige Scarlett die Vase kaputt und geht später daran, mehrere Leben zu zerstören).

Es ist auch die verhinderte Liebesgeschichte zwischen Scarlett und Rhett, der sie leidenschaftlich liebt, weil ihre struppige Art zu ihm passt. Er holt sie aus dem brennenden Atlanta raus, hilft ihr nach dem Krieg, wo er kann und heiratet sie schließlich. Aber erst als Scarletts Schein-Rivalin Melanie stirbt, begreift Scarlett, dass sie den Schlaffi nicht wirklich liebt, sondern den eigenen Ehemann! Im Prinzip praktisch, aber am Abend der Erkenntnis packt Rhett seine Reisetasche und entfleucht in den Nebel von Atlanta. Über die Schulter hinweg beantwortet er noch Scarletts tränenerstickte Frage, was sie jetzt bloß tun soll: "Frankly my dear, I don’t give a damn". Cooler Abgang, superberühmter Satz.

Banalisierung von Rassismus 

Die Vase! Das Porzellan zerbricht also anno 1861 am Kamin der Bibliothek. 1980 stand ich in der Bibliothek des Twelve-Oaks-Landhauses in Georgia. Meine Mutter und ich waren Touristen auf einem Bustrip zwischen New York und Miami, der an allen möglichen (historischen) Sehenswürdigkeiten vorbeiführte. Ich erinnere mich, dass uns erklärt wurde, das Gebäude der Plantage habe das Anwesen der Wilkes’ im Film inspiriert. Dort sieht man natürlich ein Studio-Set, auf Glas gemalte Fassaden und Bäume und kein Fitzelchen echtes Georgia.

"Und hier sehen sie die Bibliothek, in der Scarlett vor Wut eine Vase zerschmiss", sagte jemand. Draußen gab es eine beeindruckende Allee mit uralten Eichen und an der Gebäude-Hinterseite (oder in der Nähe, ich weiß nicht mehr genau) Ställe, in denen nicht nur Pferde, sondern auch Menschen angekettet worden waren. Die schrecklichen Zustände auf den Baumwollplantagen, die dank Sklavenarbeit florierten, wurden auf der Führung durch Twelve Oaks nicht vertieft. "Gone with the Wind" ist durch und durch rassistisch – nicht etwa weil die Sklaverei in Exploitation-Manier ausgeschlachtet worden wäre, sondern schlicht: weggelassen.

Die "Darkies", wie sie von den O’Haras und Wilkes genannt werden, haben’s gut bei den Herrschaften. Sie sind oft ein bisschen blöd, aber stets loyal, dass sie beim Ehepaar Butler bleiben – schickes Stadthaus in Atlanta –, obwohl die Sklaverei nach dem Bürgerkrieg abgeschafft ist. Dass sich der Krieg zwischen Unionsstaaten und Konföderation im Süden an der Sklaverei entzündet hatte, wird in Margaret Mitchells geschichtsklitterndem Roman und der Verfilmung weitgehend vom Tisch gewischt.

Diskussion um "White supremacy" 

Aber wie bei Fake News ist die Frage: Geht die Geschichte viral oder verpufft sie? Mit seinen fantastischen Darstellern, den Schauwerten und seinen zehn Academy Awards bei der Oscar-Zeremonie 1939 triumphierte der Film über die historische Realität. Und selbst, wer die Fakten ansatzweise kennt, ist ja nicht gefeit davor, sich im falschen Bild einzurichten. Bei mir war es so: 1978 hatte ich die erste Staffel der Fernsehserie "Roots" gesehen und dann auch den Roman von Alex Haley gelesen, auf dem die Reihe basierte. Der afroamerikanische Schriftsteller hatte seine eigene Familiengeschichte recherchiert, die mit der Versklavung des 17-jährigen Kunta Kinte aus einem westafrikanischen Dorf in Nordamerika ihren Ausgang nahm.  

Beim ersten Mal "Vom Winde verweht" im Kino (War es nach "Roots" oder vorher?) war ich noch entgeistert über die Darstellung der Schwarzen Filmfiguren als beschränkte Knallchargen. Je öfter man den Film anschaut, und als Kinojunkie mit besonderem Faible für Überlängen habe ich es oft getan, desto mehr sieht man über die windschiefen oder gar propagandistischen Züge einer Erzählung hinweg. (Goebbels war begeistert von der Wirkungsdramaturgie, und hatte auch eine Kopie des Films besorgt, der in Nazideutschland ansonsten verboten war).  

Als Jugendlicher war ich auch so fixiert auf den main plot um Scarletts Werdegang und das ganze Technicolor-Kostümschinken-Bling-Bling, dass ich mich jahrelang kaum über Ungereimtheiten der Story wunderte. Über die diversen weißen Nebenfigurenfamilien erfahren wir eine Menge, doch woher Scarletts namenlose (!) Mammy, die vorlaute Prissy, der dösige Hausdiener Polk oder der Vorarbeiter Big Sam kommen – keine Ahnung. Gibt es Verwandtschaftsbeziehungen zwischen ihnen? Erfahren wir nicht. Die "Darkies" sind offenbar keine Backstory wert. Wichtig ist nur, dass die Sklaven von Anfang bis Ende loyal zu Scarlett stehen. Dass die Sklaverei im letzten Filmdrittel – nach Ende des Bürgerkriegs – abgeschafft ist, fällt gar nicht auf. Das ist mal konsequent gelogen, schließlich erlebt man vorher auch keine (echte) Sklaverei! 

Im Zug des Erstarkens der Black-Lives-Matter-Bewegung wurde "Gone with the Wind" am 9. Juni 2020 aus dem Programm des US-Senders HBO genommen und im selben Monat, durch eine kontextualisierende Einführung ergänzt, wieder freigegeben. Angefacht wurde die Diskussion um "White supremacy" der goldenen Ära Hollywoods und um die aktuelle öffentliche Meinung dazu durch Donald Trumps Anmerkung zum Oscar für den koreanischen Gewinnerfilm "Parasite". Wie immer mit Blick auf seine Alt-Right-Wähler erklärte der Präsident, "Gone with the Wind" hätte den Academy Award als Bester Film mehr verdient als der Oscarsieger von 2020.

Für die Rolle von Scarletts beherzter Mammy hatte die Schauspielerin Hattie McDaniel 1939 den ersten Oscar errungen, der jemals an eine afroamerikanische Person verliehen wurde. An der Premiere in Atlanta 1939 durfte sie nicht teilnehmen. Clark Gable, der mit McDaniel bis zu ihrem Tod gut befreundet war, soll sehr wütend gewesen sein. Wegen der Segregation am Set – getrennte Toiletten mit Schildern für "Schwarze“ und "Weiße" – drohte er mit Streik und setzte (eine gewisse) Gleichbehandlung durch, weil er sich seiner Machtposition sicher sein konnte. Schließlich konnte sich niemand, der den Roman gelesen hatte, einen anderen Rhett Butler vorstellen als Gable. Auch Margaret Mitchell votierte für den Superstar.

Abbilden von Geschlechter-Stereotypen 

"Das öffentliche Interesse machte mich verrückt", klagte Gable später. "Ich weiß jetzt, wie eine Fliege in einem Spinnennetz reagiert." Nachdem der den Part dann doch annahm, glänzte er in der Rolle des Machos mit Herz. In einer traurigen Szene flossen sogar Tränen, Cast-Mitglied Olivia de Havilland schaffte es, ihn zum Weinen zu bringen. De Havilland, die im vergangenen Juli im Alter von 104 (!) starb, berichtete: "Er fand, es sei unmännlich", rekapitulierte sie, "so waren Männer damals eben konditioniert".

Gable, am 1. Februar 1901 in der Provinz in Ohio geboren, war ein schüchterner Junge mit abstehende Ohren und schlechtem Gebiss (beides wurde später korrigiert), der sich früh fürs Theater begeisterte und durch Affären mit alternden Theaterstars und zwei Ehen mit einflussreichen Frauen – ebenfalls deutlich älter als Gable – über den Broadway zum Stummfilm kam. Er fing als Statist an, in "The Merry Widow" (1925, Regie: Erich von Stroheim), was ein bisschen lustig war, denn er war damals tatsächlich – bis 1939 – mit einer reichen texanischen Witwe verheiratet.

Zu Dank verpflichtet war er vor allem seiner ersten Ehefrau Josephine Dillon, weil sie ihn managte und ihm Schauspieltraining gab. Neben seine sportlichen Figur (er hätte beinahe Johnny Weissmüller die Tarzanrolle weggeschnappt) konnte Gable mit einer unglaublichen Mimik punkten. Separat bewegliche Augenbrauen, bei Bedarf einsetzbare Dackelfalten und ein umwerfendes Lächeln unterm Oberlippenbart: Der Schauspieler, der 1935 vom Publikum zum "King of Hollywood" gewählt wurde, konnte sich seiner Wirkung auf Frauen wie Männer zeitlebens sicher sein, seinen Spitznamen "King" verlor er nie. 

Ein bodenständiger Typ 

"Es geschah in einer Nacht" (1934) brachte ihm seinen einzigen Oscar ein. In dieser ersten großen Screwball-Comedy der Filmgeschichte reist ein ungleiches Paar durch das Amerika der Großen Depression – sicher geschönt, aber doch weit realistischer gezeichnet als das Bürgerkriegs-Georgia fünf Jahre später. "Das ist der wahre Gable", erklärte Regisseur Frank Capra später, und es sei ein Jammer, dass der Star nur hier den "bodenständigen Typ" verkörpern durfte. "Sie ließen ihn diese überlebensgroßen, aufbrausend-männlichen Liebhaber spielen, aber er war nicht diese Art von Kerl. Er kam prima mit den einfachen Leuten klar. Er wollte schlicht Clark Gable spielen, so wie er in 'Es geschah in einer Nacht' zu sehen war."

Gable dreht über 70 Filme, in denen er mit Energie und Machismo überzeugte, weniger mit einem breiten Rollenspektrum, was im Heldenfach seiner Glanzzeit aber auch kaum gefragt war. Auf dem Höhepunkt seines Ruhms, während "Vom Winde verweht" entstand, heiratete er die wunderbare Schauspielerin Carole Lombard. Der konservative Republikaner und die linke Demokratin liebten sich sehr, und Gable war am Boden zerstört, als Lombard 1942 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Der Star brach seine Filmarbeit ab und meldete sich zum Kriegseinsatz bei der Air Force. Das Publikum hielt zu ihm, als er nach dem Krieg wieder zu drehen anfing, aber die dankbaren Rollen wurden weniger, wie Gable selbst und auch die Kritiker:innen monierten.

Glücklicherweise war sein letzter Film einer seiner besten. In John Hustons "Misfits – nicht gesellschaftsfähig" (1961) spielt Gable den alternden Cowboy Gay Langland, der Wildpferde fängt, damit sie zu Hundefutter verarbeitet werden. Unvergesslich seine finale Don-Quichotte-Aktion, wenn Gay sich noch einmal in die Jagd stürzt, obwohl er längst beschlossen hat, die gefesselten Mustangs am Ende wieder freizulassen – um das Herz von Roslyn (Marilyn Monroe in ihrem ebenfalls letzten Leinwandauftritt) zu erobern, denn die hasst das sinnlose Töten. Kurz nach den Dreharbeiten starb Clark Gable 59-jährig an einem Herzinfarkt. Er gab immer 120 Prozent. Rest in Peace, Clark Gable, verdammt!