Sampling

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Foto: dpa
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Kraftwerk 2013 beim 47. Montreux Jazz Festival

Die zentrale Technik des Hip-Hop ist Sampling – und im digitalen Zeitalter prägt es unsere gesamte Kultur. Ein Essay zu Kraftwerks Reise ins Reich des zeitgemäßen Urheberrechts

Okay, eine Frage: Was unterscheidet Melania Trumps Rede auf dem Parteitag der Republikaner 2016 von Michelle Obamas Rede beim demokratischen Parteitag 2008? Antwort: Fast nichts. Es ist ein bisschen unheimlich, dass in unserer postmodernen, informationsüberladenen Zeit schon ein paar Minuten nachdem Trumps Plagiat auf allen möglichen Kanälen live zu sehen war, sich die Leute direkt über diese wörtliche Kopie empörten und dass man sich sogleich welt- und netzweit einig war, dass ein solches Plagiat grundsätzlich zu verurteilen sei. Aber es ist gut so.

Historisch hat unsere wissensbasierte Ökonomie keinen Vorläufer. Teilen ist eine der Voraussetzungen für Wissen. Und fraglos hat die Urheberrechtsindustrie Reformen zum Wohl der User jahrzehntelang blockiert und unterlaufen. Was bedeutet es, fremde Worte und kreative Äußerungen öffentlich zu verwenden? Das Internet und auch jede digitale Musik basieren auf Kopien. Im Grunde werden bei der Übertragung von Datenpaketen durch die Glasfaserkabel und Satellitenverbindungen, die unsere Welt zusammenhalten, solche Datenpakete von einer ISP auf eine andere kopiert. Wenn sie beim "Endbenutzer" ankommen, haben sie schon einige Kopierdurchläufe hinter sich. Das gilt auch für die Art und Weise, wie man in unserer Kultur das Internet nutzt: Wir schicken ständig Kopien durch die Netzwerke, Fragmente, Teile oder Komplettversionen. Das wird dann zum Problem, wenn man das Urheberrecht als ein unveränderliches, intellektuelles Monopol versteht, das den Schöpfer von Inhalten dazu berechtigt, die Herstellung und Verbreitung von Kopien zu verhindern. Lustigerweise bedeutet das natürlich, dass wir alle täglich die jeweiligen Copyright-Gesetze verletzen – ein informeller Aspekt der Alltagskultur.

Was hat das mit der Klage von Kraftwerk zu tun?

Kurz die Grundzüge der Streitsache: Die deutsche Band Kraftwerk gehört zu den entscheidenden Vorläufern von elektronischer Musik und Hip-Hop. Ihr unbestreitbarer Einfluss reicht von Afrika Bambaataas "Planet Rock" über die DJ-Technik des Scratchens bis zu den computergestützten Sounds von letztlich jedem Song des 21. Jahrhunderts. Nach einem insgesamt zehnjährigen Rechtsstreit hob das Bundesverfassungsgericht als höchstrichterliche Instanz in Deutschland kürzlich ein Urteil auf, das einen Song wegen der Verwendung eines zweisekündigen Kraftwerk-Samples verbot. 1997 hatte der Produzent Moses Pelham für den Titel "Nur Mir" von Sängerin Sabrina Setlur eine kleine Sequenz aus Kraftwerks "Metall auf Metall" von 1977 benutzt. Kraftwerk-Sänger Ralf Hütter hatte Pelham daraufhin wegen Urheberrechtsverletzung verklagt und 2012 vom Bundesgerichtshof recht bekommen. Er erhielt eine Entschädigung, die weitere Verbreitung von "Nur Mir" wurde untersagt. Gegen dieses Urteil legten Pelham und sein Team Widerspruch ein. Nachdem der Fall ein paar Jahre lang durch die Instanzen gewandert war, urteilten schließlich am 31. Mai 2016 die Richter des Bundesverfassungsgerichts, dass der Bundesgerichtshof nicht berücksichtigt habe, dass "die Verwertungsinteressen" der Band durch das zweisekündige Sample nur "geringfügig beschränkt" seien.

Dieses Urteil ist nicht zuletzt – und auch jenseits der EU – deswegen so wichtig, weil es davon ausgeht, dass Musik grundsätzlich auf Wiederholung beruht und aus anderen Songs, Texten und rhythmischen Mustern schöpft. Meiner Meinung nach hängt sowieso alles zusammen: Jede Erzählung ist es wert, dass man sie weitererzählt; jede Idee trägt dazu bei, dass wir die Welt besser verstehen lernen. Das heißt für mich auch, dass jeder Künstler "künstlerische Freiheit" als die Verwendung von Bausteinen interpretieren sollte. Jede Innovation beruht auf vorangegangenen Innovationen.

Unser Leben und die Gesetzgebung haben sich voneinander entfernt. Warum? Weil das Urheberrecht vor 300 Jahren eingeführt wurde, in einer analogen Zeit, in der die Dinge rar und Kopien leicht zu entdecken und zu kontrollieren waren – wie sollte man zum Beispiel eine Druckerpresse verstecken?

Im Sample kollidieren Kontext und Inhalt

Kreativität im 21. Jahrhundert ist demokratisiert, und sie unterliegt nicht mehr der alleinigen Kontrolle von Experten. Kreativ sein bedeutet heute, dass man die Botschaften reflektiert, die wir senden, die Videos, die wir hochladen, und die Kommentare zu Texten wie diesem, den Sie gerade lesen. Der Copyright-Streit zwischen Kraftwerk und Pelham ist hier insofern interessant, als Pelham seine kurze Sampleloop praktisch nicht bearbeitet hat und auch nicht von Kraftwerk genehmigen ließ. Aber Appropriation ist so alt wie die Sprache. Sie bittet nicht um Erlaubnis, und sie erlaubt nichts. Es handelt sich dabei im Grunde schlicht um Kreativität als Verb statt als Adjektiv. Appropriation geschieht kontinuierlich und unnachgiebig. Im Sample kollidieren Kontext und Inhalt. Es ist ein Fragment, das der Künstler aus dem Kontext reißt und dort hinwirft, wo er es haben will. Man stelle sich nur mal vor, man müsste jeden Schnipsel einer Collage rechtlich abklären. Genau darum geht es beim Remixen und Samplen im 21. Jahrhundert. In einer Welt der Kopien stellt der Begriff des "Originals" einen atavistischen Rückfall in jene Zeiten dar, in denen die Fiktion individueller Kreativität normativ herrschte. Aber wir haben uns, wie Brian Eno einmal gesagt hat, vom "Genie" zum "Szenie" entwickelt.

Marshall McLuhan benutzte 1964 in "Die magischen Kanäle" die Glühbirne als Beispiel für einen Zusammenprall von Inhalt und Kontext. Vergleichen wir also einmal die Glühbirne mit dem Medium der digitalen Musikproduktion. Die Glühbirne hat keinen Inhalt, wie ihn zum Beispiel ein Magazinartikel enthält oder wie das Fernsehen aus Sendungen besteht. Aber sie ist ein Medium mit einem sozialen Effekt. Sie schafft Räume in der Nacht, die ohne Licht dunkel blieben. McLuhan betrachtete die Glühbirne als Medium ohne Inhalt: "Eine Glühbirne schafft eine Umgebung allein durch ihre Anwesenheit." Handelt es sich bei Ton- oder Bildaufnahmen um Dokumente, aus denen andere Dokumente (Aufnahmen) entstehen können? Oder sind sie nur statische, tote Räume innerhalb einer Kultur?

Bei Kraftwerk und Pelham ging es daher nicht nur um eine Copyright-Verletzung. Hier prallen auch zwei Wertsysteme aufeinander. Das eine davon beruht auf der Vorstellung von Musik als Musik. Im anderen versteht man Musik als Informationssystem. Der Mathematiker Norbert Wiener, der den Begriff der Kybernetik geprägt hat, bemerkte gleich zu Beginn des Informationszeitalters, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg: "Fortschritt eröffnet nicht nur neue Möglichkeiten für die Zukunft, er schafft auch neue Beschränkungen." Wiener erklärte, dass Information Struktur und Datenredundanz benötige und Innovation Regeln brauche.

Wo wird also der Rechtsstreit zwischen Kraftwerk und Pelham enden? Eher nicht in den Bundesgerichtssälen, sondern in den Herzen und Köpfen der Menschen, die täglich digitale Medien benutzen, mitten in unserem von Informationen und Daten geprägten Alltag. Die Algorithmen der Internetkultur sind ebenso Teil der schweren Kollision von Code und Kultur wie die Computersysteme und die Hardware, die das Rückgrat der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts bilden. Die Richter des Bundesverfassungsgerichts haben festgestellt, dass zur "künstlerischen Freiheit" auch das Samplen bereits bestehender, "gefundener Sounds" gehört. Entsprechend könnte man einen fundamentalen Aspekt dieser Freiheit darin sehen, sich frei durch die kollektiven Archive der digitalen Gesellschaft zu bewegen und ihre Vorzüge zu nutzen.

Es scheint fast, als ob Nietzsche das geahnt hat, als er 1881 in "Morgenröte. Gedanken über die moralischen Vorurteile" über eine ähnliche Art von Freiheit und Beschränkung schrieb, dass die reale Welt viel kleiner sei als die imaginäre. Für mich bedeutet dies, dass es in den Archiven der digitalen Medien schon rein zahlenmäßig mehr Kunst durch Sampling, Collagen und die unendlichen Möglichkeiten der Remix-Kultur geben wird als "Originale" – und dass diese Kunst nur die endlosen Möglichkeiten spiegelt, die sich uns aus dem Update des Urheberrechts erschließen. Vielleicht verbirgt sich diese neue Freiheit im Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts.

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Markus Schneider