Auf Sand soll man sein Haus bekanntlich nicht bauen. Es gibt ganze Stockfoto-Sammlungen mit entsprechenden Symbolbildern, in denen das Bauwerk ohne ordentliches Fundament hoffnungslos in sich zusammensackt. Lukas Schönthals temporäre Skulpturen zeigen die Qualitäten des Vergänglichen: "Haus auf Sand" hat er seine Werkreihe genannt, die inzwischen mehrere Dutzend Exemplare umfasst. Für einen Zufallsfund sind die Gebilde zu sorgfältig arrangiert, für eine Skulptur aber scheinen sie ausgesprochen prekär. Ein Windstoß, und die für einen Augenblick einander zugeneigten Äste, Holzleisten, Tütenreste oder Algenranken, aufgebaut an einem namenlosen Sandstrand entlang der Atlantikküste, drohen in sich zusammenzufallen. "Alles Statik, Schwerkraft – und der Wind hilft auch mit", bestätigt Lukas Schönthal. Manchmal beobachtet er noch, wie Strandbesucher eine Skulptur als Handtuchhalter benutzten. Dann zieht er weiter.
Schönthal studiert an der Staatlichen Akademie der Bildende Künste in Karlsruhe. Kalin Lindenas Klasse gefiel ihm: Wie die 1977 geborene Künstlerin hat auch er früher Graffiti praktiziert. Ohne diesen antielitären Zugang, sagt Schönthal, hätte er sich vermutlich nie für ein Kunststudium beworben. Als Student findet er es heute befreiend, den Zufall in die Materialsuche einzubeziehen. Alles, was er benötigt, findet er vor Ort. Eine ganz und gar "ballastarme Kunst" sei das. Denn wohin mit all den Werken, wenn man noch nicht viel Platz und keinen Lagerraum hat? Schönthals Arbeiten existieren nur für den Moment, in dem sie gebaut und anschließend fotografiert werden. Die Abzüge hat der Kunststudent auf Holz, Schranktüren, Eisenplatten aufgezogen und mit dickem Leim übermalt. Allemal kleiner als die abgebildete Skulptur. Er präsentiert sie in einer alten Tabakfabrik vor den Toren der Stadt, in der er seit der Coronapandemie auch arbeitet. An der Akademie war es ihm während dieser Zeit zu beengt geworden, jetzt pendelt er zwischen Atelier und der Akademie in Karlsruhe.
Zehn Kilometer Luftlinie entfernt, überlegt Marcel van Eeden, welche Spätfolgen die Pandemie fürs Kunststudium mit sich bringen wird. Der Hochschulalltag in der traditionsreichen Akademie läuft für die rund 300 Studierenden gerade wieder normal an, aber die verlängerten Studienzeiten, sagt van Eeden, und die Doppelbelegung werden sich noch bemerkbar machen. Der gebürtige Niederländer hat viele Jahre seine eigene Klasse geleitet, seit 2021 ist er Rektor der Akademie.
Das ist in Deutschland eher unüblich – nur drei Kunstakademien im Land haben derzeit eine Künstlerin oder einen Künstler an der Spitze. Gibt es konkrete Situationen, in denen die praktische Erfahrung Vorteile mitbringt? Ja, im Verständnis für künstlerische Arbeitssituationen, meint van Eeden: "Dass man, ganz praktisch, zum Beispiel genügend Wandfläche braucht in der Malerei." Schließlich sei dies eine der Grundlagen im Kunststudium: Man könne als Professorin, als Professor nur Raum und Zeit bereitstellen. Und kreativen Input. Die Prozesse müsse dann jeder selbst durchlaufen.
In der Akademie führen Sarah Albrecht, Martha Burkart und Ruben Brückel durch ihre Atelierräume. Alle drei studieren wie Lukas Schönthal in der Klasse von Kalin Lindena, auch sie schätzen das künstlerische Selbstverständnis ihrer Lehre, dass es grundsätzlich keine Denkverbote gebe. "Die Idee kommt zuerst", sagt Albrecht. Sie beschäftigt sich mit vorgefundenen Materialien und Objekten, die sie zu neuen Bildern zusammenfügt. Ein ramponierter Schaumstoffklotz, ein Bruchstück neongelb-transparenten Kunststoffs und eine Buchseite finden sich aktuell auf ihrer Materialliste. Im Atelier nebenan lehnen Malereien von Martha Burkart an der Wand. Auf dem Boden stapeln sich Zeichnungen: Es sind ganz schnelle Arbeiten, oft nebenbei angefertigt, die einfach rausmüssen, wie die Studentin erklärt.
Ruben Brückel ist im letzten Herbst von einer anderen Kunstakademie nach Karlsruhe gewechselt. In Lindenas Klasse hat er ein Thema neu für sich entdeckt: "Humor". Der habe in seiner früheren Malereiklasse keine Rolle gespielt. Im Atelier lehnt eine Leinwand an der Wand, vom oberen Rand ragt das Panel eines Videospiels ins Motiv. "GTA – Grand Theft Auto". Ein Lieblingsgame aus Brückels Kindheit, das jetzt selbstverständlich Einzug in seine Bildwelten hält. Alle drei finden es befreiend, hier nicht schon krampfhaft eine Haltung einnehmen zu müssen. So ein Kunststudium soll ja auch erst einmal aus Sackgassen heraushelfen. Hier werden sie ermutigt, möglichst viel auszuprobieren – Haltungen, Formen, Techniken, Arbeitsorte. Allein die Werkstätten der Karlsruher Kunstakademie sind mit Schwerpunkten wie Fotografie, Gips- und Betonguss, Holz, Metall, Lithografie oder Siebdruck beneidenswert aufgestellt.
Eine schöne Tradition ist das gemeinsame Ausstellen geworden: Jedes Jahr präsentiert die Klasse an einem Ort außerhalb der Hochschule und lernt dabei, die eigenen Arbeiten sortieren zu müssen, vor sich selbst und im Kontext zu anderen. Vom Planen und Kuratieren bis zu Plakaten, Aufbau und Aufräumen wird alles selbst gestaltet. So entstehen sagenhafte Orte wie das Chrompalais in Berlin, wo die Wände und Böden in diesem Frühjahr schimmerten wie das gleichnamige Element.
Zur Art Karlsruhe wird Lindenas Klasse den Messestand von Monopol bespielen – Konkretes ist zu diesem Zeitpunkt noch offen. Vertrauen ist ein Schlagwort, das oft fällt an diesem Tag. In die eigene Arbeit, aber auch in die anderen Studierenden. Mit diesem Ansatz lässt sich aus vielem etwas machen. Und theoretisch überall, auf Sand, dem Holzparkett der Ateliers, auf Teppich oder Beton. Kalin Lindena weiß, dass die Fragen, die einem im Kunststudium begegnen, im Grunde die gleichen bleiben. "Ich finde erst mal wichtig, herauszufinden, worum es jeder einzelnen Person geht. Was anfangs leicht scheint, wird mit dem Hineinbegeben dann echte Arbeit." Ein guter Moment sei es, wenn jemand neben seinem Werk stehe und sagen könne: Das ist meine Arbeit, jetzt gerade. Alles andere komme dann sowieso mit heraus.