Der ZERO-Künstler Heinz Mack ist der Futurist unter den Kunstschaffenden. Schon in den 1950er-Jahren zog es den abenteuerlustigen Maler und Bildhauer in die Sahara. Am 8. März wird Mack 90 Jahre alt. Berühmt wurde er mit silbrigen Reliefs, Rastern und Rotoren - und Kunstexpeditionen in die Wüste und die Arktis, die eher an Raumfahrtmissionen erinnerten. «Wir wurden auch bezichtigt, dass wir nicht mehr alle Tassen im Schrank hätten», sagt er im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Das war in den 50er Jahren. Heute werden vor allem Macks frühe Werke international zu Höchstpreisen gehandelt.
Zu Ihrem 85. Geburtstag haben Sie gesagt, dass sie 100 Jahre alt werden wollen. Gilt das noch?
Ja, das habe ich noch vor. Der Hausarzt geht immer enttäuscht wieder weg. Ich bin froh, dass ich noch kerngesund bin. Ich arbeite täglich im Atelier und bin dort auch sehr glücklich.
Wie verbringen Sie Ihren Geburtstag?
So dass das keiner merkt. Bei meinem 80. Geburtstag waren hier über 150 Leute. Das wollte ich nicht noch mal erleben. Und es wäre wegen der Pandemie auch gar nicht möglich. Nun werden wir sagen, dass wir nicht da sind. Aber wir sind in Wirklichkeit da, und das Leben geht weiter. Mir ist der Tag genauso wichtig wie der Tag vor einem Jahr und der Tag im nächsten Jahr. Ich kann das nicht unterscheiden.
Wie haben Sie den Lockdown erlebt?
Wir waren zur Zeit des ersten Lockdowns im vergangenen Jahr auf Ibiza. Wir haben dort ein Haus, eine wunderbare Umgebung, weit und breit kein Mensch. Man lebt dort isoliert, man sieht kein Auto, man hört nichts. Geplant waren vier Wochen, daraus wurden dann dreieinhalb Monate, weil es kein Flugzeug mehr gab. Man kam nicht mehr raus. Ich habe dann mehrere Wochen mein Grundstück nicht mehr verlassen. Es war belastend. Wir waren gefangen, wenn auch unser Gefängnis eine Art Paradies war. Jetzt habe ich das Glück, dass ich, wenn ich im Atelier bin, das alles vergesse.
Im Düsseldorfer Kunstpalast wartet eine Ausstellung aus Anlass Ihres 90. Geburtstages auf die Eröffnung - wenn die Corona-Lage es zulässt.
Ich hatte fast 400 Einzelausstellungen in 70 Jahren. Diese Ausstellung ist eine Ausnahme, denn sie zeigt zum ersten Mal mein Frühwerk. Ich habe 70 Jahre lang nur Kunst gemacht und Kunst gedacht. Auch aus meiner Werkstatt und meinem Lager sind für die Ausstellung wichtige Bilder entliehen worden. Die haben einen Winterschlaf von einem halben Jahrhundert hinter sich. Nun kommen sie ans Tageslicht.
Wobei es schade ist, dass Ihre Ausstellung noch nicht öffnen kann.
Das ist natürlich alles dramatisch. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass man weiterhin die Museen ausklammert, während man zur gleichen Zeit andere Bereiche öffnet. Genau wie die Lebensmittel ist doch auch die Kunst ein Lebensmittel. Ohne das geht es nicht. Das gilt auch für die Filmkunst, das Schauspiel und die Musik.
Befürchten sie schwerwiegende Folgen für die Kultur nach den wochenlangen Schließungen?
Ich habe da meine Sorgen. Es sind schon mehrere junge Künstler an mich herangetreten, ob sie bei mir arbeiten können. Sie können ihre Miete nicht mehr bezahlen. Das ist eine sehr ernste Situation für die Kultur. Kulturstaatsministerin Grütters sollte an die Ärmsten unter den Künstlern denken. Wer nachweislich von seiner Arbeit als Künstler bislang gelebt hat und jetzt kein Geld mehr hat, dem muss man doch helfen.
Welche Künstler waren Ihre besten Freunde?
Freundschaften sind bei Künstlern nicht selbstverständlich. Aber natürlich gab es freundschaftliche Beziehungen, etwa zu Otto Piene, mit dem ich gemeinsam auf der Akademie war. Und dann folgte sehr bald Günther Uecker. 1950 war ich das erste Mal in Paris. Das war die erste Stadt in meinem Leben ohne Trümmer. Dort traf ich Yves Klein und Jean Tinguely.
Treffen Sie Günther Uecker gelegentlich noch?
Ganz selten. Im Grunde genommen, ist das wie ein Spaziergang in der Wüste. Da ist man vollkommen alleine. Man ist Einzelgänger als Künstler. Man muss letztendlich seinen Weg ganz alleine gehen. Herauszufinden, welche Richtung man nehmen soll, das muss man selbst entscheiden. Da ist kein Wegweiser. Im Grunde genommen geht da jeder seinen eigenen Weg. Bei allem Ruhm sind auch Künstler wie Picasso oder Matisse bis zuletzt irgendwie allein gewesen.
Als junger Künstler hatten Sie 1957 mit Otto Piene aber noch ein gemeinsames Atelier und lebten dort in einer Art WG.
In dem Atelier hielt man sich ungern auf, weil es kalt war, weil es hineinregnete und es keine eigene Toilette dort gab. Aber wir waren von unserer Arbeit so überzeugt, dass wir das gern ertragen haben. Wenn wir müde wurden, haben wir Rollpappe ausgerollt und uns hingelegt. Rollpappe nimmt auf dem Beton die Kälte etwas weg. Kurzum, es waren sehr harte Bedingungen. Da kam der Wunsch auf, dass das, was wir machten, auch der Öffentlichkeit gezeigt werden sollte. Die Galerien und Museen in jener Zeit waren noch mit der Kunst unserer Großväter und Väter beschäftigt.
Sie aber waren ja Avantgarde ...
Wir wurden auch bezichtigt, dass wir nicht mehr alle Tassen im Schrank hätten. Und das war zum Teil auch demütigend. Einmal bin ich für 24 Stunden verhaftet worden. Das war die Zeit, als in Düsseldorf überall große Plakate von Konrad Adenauer hingen und in sehr großer Schrift stand dort drauf: "Keine Experimente". Da bin ich mit einem Farbtopf mit schwarzer Farbe von Litfaß-Säule zu Litfaß-Säule gegangen und habe das Wort "keine" überall übermalt, bis die Polizei das merkte. Dabei sah ich das positiv und plädierte für Experimente.
Was für ein Verhältnis hatten Sie zu Joseph Beuys? Dieses Jahr wird sein 100. Geburtstag groß gefeiert.
Er war ja auch Schüler von Mataré [Anm.: Ewald Mataré, deutscher Bildhauer, 1887-1965] und zehn Jahre älter als ich. Zwischen Beuys und mir gab es nie eine menschliche Schwierigkeit. Wir haben uns bestens persönlich verstanden. Aber was die Kunst betrifft, liegen wir astronomisch weit auseinander. Das sind zwei Welten.
Was ist für Sie die wichtigste Etappe Ihrer künstlerischen Laufbahn?
Wichtig ist das Sahara-Projekt, das 1959 zum ersten Mal publiziert wurde. Kurz darauf habe ich dann auch in der Wüste meine Experimente gemacht. Das Sahara-Projekt ist auch deshalb so wichtig, weil heute klar ist, dass ich bezogen auf Europa der erste Künstler war, der Land Art gemacht hat. Ich war damit ein Pionier in Europa.
Berühmt ist das Bild von Ihnen mit silbernem Anzug in der Sahara ...
Das ist mein eigener Entwurf, und die Mutter meiner Haushaltshilfe hat den damals zusammengenäht. Für das Klima war die Aluminium-Jacke geradezu ideal. Das war damals natürlich auch aus modischen Gründen gedacht. Ich habe schon 1950 eine Jacke in Paris getragen, auf die ich sehr stolz war. Für diese Jacke habe ich mein ganzes Geld ausgegeben, damit ich mich gut angezogen in Paris sehen lassen konnte. Die Jacke war aus Papier. Da passierte das Schlimmste, was passieren konnte. Eines Tages gab es einen heftigen Regen, und die Jacke war damit nicht mehr tragbar. Da hat mir ein Medizinstudent ein Aquarell abgekauft, so dass ich mir was anderes kaufen konnte.
Das Licht ist das prägende Element in ihrer Kunst.
Es ist das Thema Nummer eins und bleibt es auch. Ich kann mir eine Welt ohne Farben nicht vorstellen. Farbe spielt für mich eine große Rolle. Licht ist das Thema meines Lebens.