Dass Orte, in denen kaum guter Kaffee zu bekommen ist, in deren Fußgängerzone vom "Fiskus" gesprochen wird, die besseren Orte für Kunst sind, ist ja eindeutig. Wo Kunst sich nicht in Selbstvergewisserung verwässert. Sie muss dahin, wo Menschen sagen, das mit dem Veganismus müsse ja jeder selber wissen, wo das Italienische Restaurant sicher nicht von Italienern geführt wird. Wo einem in der New Yorker-Filiale eine Frau zuraunt: "Magscht du deine Zukunft wissen?"
So ein wunderbarer Ort ist Friedrichshafen am Bodensee. Der große See, der sich in allen Blau- und Grüntönen zauberhaft verschmiert, der Künstler wie Otto Dix angezogen hat, als die vor den Nazis fliehen mussten. Der große Industriestandort, wo Zeppelin und Rolls Royce sitzen.
Im ortsansässigen Zeppelin Museum läuft derzeit die großartige Ausstellung "Into the deep. Minen der Zukunft". Und die funktioniert hier so gut, weil der Ort und das Museum viel Platz lassen, weil es anregt, ohne zu überfrachten, weil Friedrichshafen viele Touristen anzieht, und die haben Lust und Zeit, sich etwas anzugucken. Auch diese Ausstellung über Aluminium, seine Herstellung und die Probleme der Rohstoffgewinnung der Zukunft.
In allen Bereichen klimaneutral
Seit den 1890er-Jahren wird Aluminium zum Luftschiffbau verwendet. So setzt sich diese Ausstellung nicht nur mit der Industriegeschichte des Ortes auseinander, sondern auch mit dem Metall des Fliegens, das sich später auch hervorragend in den Kriegen verwenden ließ, und das wir heute in Massen auf Joghurtbecher bappen.
Wir sehen zunächst eine der ersten Aluminiumleitern, einen Nachbau der vorderen Gondel des ersten Luftschiffs LZ 1 des Grafen von Zeppelin und ein Wagen mit Aluminiumkarosserie der Firma Schwäbische Hüttenwerke GmbH aus dem Jahr 1925.
Kuratiert wurde die Ausstellung von Jürgen Bleibler aus der Abteilung Technik, Claudia Emmert, der Direktorin und Ina Neddermeyer aus der Abteilung Kunst. Wenn Emmert durch die Ausstellung führt, wird nicht nur ihre Leidenschaft und die Tiefe ihrer Auseinandersetzung mit dem Thema deutlich, auch wie wichtig und ernst es ihr damit ist, dass die Ausstellung in allen Bereichen klimaneutral sein möchte.
Überhaupt nicht oll
Das Ausstellungsdesign arbeitet mit Rohstoffen, die geliehen wurden oder aus vorherigen Ausstellungen wieder verwendet. Die Wände wurden mit Kreidefarbe besprüht oder mit Papier behangen. Das sieht überhaupt nicht oll aus, nicht mal vintage-nervig, sondern modern reduziert und im Sinne der Exponate. Räume sind mit Aluminium-Regalböden ausgeschlagen, Kunststoff-Paletten bilden Sitzgelegenheiten. Die Künstlerinnen und Künstler wurden per Zug angefahren, ihre Materialien passten in Koffer.
Und so plädiert die Ausstellung auch dafür, Ressourcen stärker in einen Materialkreislauf einzubinden. Denn die Förderung zerstört Landschaften, Lebensräume und Existenzen. 2022 wurden weltweit 69 Millionen Tonnen Primäraluminium produziert, das meiste davon in China, erzählt Emmert beim Rundgang.
Für ein Kilogramm Aluminium werden 6 Kilogramm des Gesteins Bauxit benötigt. Und eine Tonne Aluminium hat 1,5 Tonnen hochgiftigen Rotschlamm zur Folge, der oft die Böden kontaminiert. Das Zeug muss irgendwohin und die Rohstoffe müssen irgendwoher. Und die Minen der Zukunft liegen unglaublicherweise nicht mehr unter der Erde, sondern in der Tiefsee oder im Weltraum. Mit großen ökologischen und politischen Folgen.
Abbau ohne festen Regeln
Kristina Õllek stellt in "Nautilus New Era" Werbevideos der Deep Mining Industrie Videos von Tiefseeforschern entgegen, um zu zeigen, welche niedlich aussehenden Roboter-Werkzeuge da unten in Zukunft welche niedlichen Lebewesen wegsaugen könnten. Die auf Jamaika ansässige Internationale Meeresbodenbehörde ISA der Vereinten Nationen arbeitet seit Jahren an einem Regelwerk, das den Rohstoffabbau am Meeresgrund regeln soll. Bisher ohne Erfolg. Gerade im Sommer ist eine wichtige Frist verstrichen, seitdem muss die Behörde Anträge auf Abbaulizenzen bearbeiten, ohne dass es dafür geltende Regeln gibt.
Der Künstler Armin Linke traf sich für seine Videoarbeit unter anderem mit Umweltaktivistinnen- und aktivisten in Papua-Neuguinea, die sich gegen den Raubbau am Ozean engagieren und führte Interviews mit Wissenschaftlern, die sich mit dem fragilen Ökosystem der Tiefsee beschäftigen. Dass es hier fast zu spät ist, der Rohstoffabbau zu beginnen droht, wird einem schmerzlich bewusst, wenn man den oberen Ausstellungsbereich betritt, wo es um das noch abwegigere Deep Space Mining geht.
Das Büro Bureau d’études hat die Wandkarte "Astropolitique" erstellt, die Abbau von Ressourcen visualisiert und mit Umweltkatastrophen und Asteroiden-Abbau in Verbindung setzt. Die außerirdischen Steinbrocken gelten als größte unerschlossene Quelle für Bodenschätze, weswegen Firmen ordentlich Geld in die Hand nehmen, um dafür notwendige Technologien zu entwickeln.
Man muss sich auch mitnehmen lassen
Demgegenüber steht eine neue und bildgewaltige Videoarbeit von Ignacio Acosta, die den Kreis zum Aktivismus schließt. Er zeigt den Abbau von Eisenerz im arktischen Kiruna in Schweden und die Atacama-Wüste in Chile, wo Kupfer und Lithium extrahiert wird und sich indigene Bewohner entschlossen haben, zu bleiben.
In einem anderen Teil der Ausstellung kann man messen, wie viel man selbst mit dem Mining zu tun hat, wie viel der 34 kritischen Rohstoffe man selbst so verbraucht: in Auto, Handy, Laptops, Roboterstaubsauger. Und ob der eigene Verbrauch im Durchschnitt der Bundesdeutschen liegt.
An die Wände können die Besucher ihre Gedanken, Meinungen, Wünsche schreiben. "Ich werde brutal überrumpelt und nicht mehr mitgenommen", klagt da jemand. Eine andere Person entgegnet: "Das Klima wartet nicht." Und: "Man muss sich auch mitnehmen lassen."
Futuristisch und altmodisch gleichzeitig
Überrumpelt von der bedrückenden Realität, aber mitgenommen von der Kraft der Kunst, verlässt man das Zeppelin-Museum (in dem es natürlich noch die sehr erhellende und umfangreiche Ausstellung zur Geschichte der Luftraumfahrt zu sehen gibt), und dann fährt plötzlich wirklich ein Zeppelin durch den Himmel. Ja, ein Zeppelin fährt und fliegt nicht, lernt man im Museum. Und das kommt einem dann so ganz unwahrscheinlich vor. Futuristisch und altmodisch gleichzeitig.
Und diese Unwahrscheinlichkeit lässt das Tiefsee-Mining plötzlich ganz nah und möglich erscheinen. Da müsse man sich wirklich mit beschäftigen, hat die Direktorin gesagt, das wäre eine Tragödie, wenn wir da alles am Meeresboden wegsaugen würden. Und daran denkt man, wenn man am Abend bei dem Nicht-Italiener an der Seepromenade isst und die Menschen am Nachbartisch über die Größe der Portionen sprechen, aber als Qualitätsmerkmal.