Der Regisseur Henning Gronkowski hat seinen ersten Film vorgelegt. Er heißt “Yung” und beschäftigt sich mit dem Partyleben von vier jungen Mädchen in Berlin. Die Kamera ist dabei ganz nah dran an den Protagonistinnen und erweckt den Eindruck von Authentizität. Gronkowski kokettiert immer wieder mit der Möglichkeit, dass die Dinge im Film gar nicht gespielt sein könnten, sondern vielleicht sogar echt sind. In der Promotion-Phase des Films hat er immer wieder angedeutet, dass die Darstellerinnen gar nicht geschauspielert hätten, sondern lediglich sich selbst gespielt. Oder zumindest lässt er sehr offen, wo genau hier die Grenze verläuft.
Der Regisseur hat den Stoff über zwei Jahre mit den Protagonistinnen zusammen entwickelt. Zu Beginn des Projekts waren sie 17 und 18. Das Publikum wird Zeuge, wie sich Janaina, Abbie, Joy und Emily durch Berlin brandschatzen. Mit einer beneidenswerten Härte und Ungebundenheit loten sie Grenzen erst aus, um sie dann spektakulär zu überschreiten. Diese Rebellion findet allerdings nicht in einer klassischen Auseinandersetzung mit Eltern oder Schule statt. Sie ist ausgelagert in eine Sphäre der Berliner Clubkultur, die parallel zu all dem existiert.
Doch so verführerisch die glitzernd abgerockte Welt auch sein mag, in die Gronkowski seine Darstellerinnen bettet, so sehr verrennt er sich. Der Blick, dem man auf der Leinwand folgt, ist dezidiert männlich und schaut mit der Wunschvorstellung einer vergangenen Generation auf die Jugend. Die präzise als Skandal montierten Bilder sind hier gar nicht der schockierende Moment. Vielmehr ist es die Tatsache, dass der Regisseur diesem Skandal die Möglichkeit geopfert hat, eine echte Geschichte mit Tiefe zu erzählen. Eine, die vielleicht in einigen Jahren wirklich noch relevant wäre. Wie eben Larry Clarks Film “Kids”, der den jungen Regisseur maßgeblich beeinflusst haben soll.
Den Punkt verpasst, an dem es schmerzhaft hätte werden können
Die Handlung von "Yung" ist schnell erzählt. Die vier Hauptfiguren sind Schülerinnen, nehmen viele Drogen und gehen viel feiern. Janaina prostituiert sich nebenbei, Joy verkauft Drogen, Emily ist lesbisch und kurz davor in die Abhängigkeit abzurutschen. Abbie träumt von einer Karriere als Rapperin. Das sind die wenigen Anhaltspunkte, die man als Zuschauerin bekommt, um zu verstehen, warum welche Figur wie handelt.
Der Film verzichtet konsequent auf jedes Narrativ. Jeder Strang, an den man meint andocken zu können, läuft ins Leere. Das Drama, das sich irgendwann einmal fast zu einer Geschichte zu verdichten beginnt, verpufft im Nichts, geht auf im Drogenrausch. "Yung" ist ein Film, der sicherlich zeigt, wie unterkomplex viele Parties sind und wie Menschen im Verlauf einer Drogenkarriere von schillernden Subjekten mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu bloßen Abziehbildern im ewigen Jetzt werden. Auch die Musik ist wirklich fabelhaft.
Doch er verpasst den Punkt, an dem man den Mädchen wirklich hätte nahe kommen können. Den Punkt, an dem es schmerzhaft hätte werden können. So geht die Kamera den Mädchen lieber unter die Kleider als unter die Haut.
Mögen die sich eigentlich?
Trotz eines rasanten Ritts, viel Sex und jungen Frauen, wird der Film irgendwann zäh. Die Wiederholung der immergleichen Handgriffe, um sich die Droge GHB, auch Liquid Ecstasy genannt, mit einer Pipette in den Mund zu spritzen, verkommt zwischenzeitlich zur Farce. Zu oft flüchtet sich "Yung" in klischeehafte Darstellungen. Nicht nur von Parties und dem Sehnsuchtsort Berlin, sondern auch - oder gerade - in der Darstellung der Charaktere.
Ganze Teile ihres Lebens, wie Schule oder Familie, werden konsequent ausgeblendet. Man erfährt nicht mehr über die Protagonistinnen als das, was sie vor der Kamera tun. Man sieht ein beliebig zusammengesetztes Repertoire an Partyszenen, auf die Straße pinkeln, miteinander rumknutschen und viele Pipetten. Die vier sind nicht nur von ihrer Umwelt völlig isoliert, sondern auch untereinander. Was sie verbindet, oder ob sie sich wirklich mögen, wird nie klar.
Nah kommt man dieser Generation, der sich der Film widmen möchte, auf diese Weise nicht. Der Film ist auf Skandal angelegt, doch ist es nicht die müde Erregungsmaschine, die sich im Zweifel sogar in Gang setzt, sondern eine ganz fatal falsch gedachte Art von sexueller Selbstbestimmung, die einen mit einem dumpfen, unguten Gefühl aus dem Kino entlässt.
Blickwinkel des kalten Voyeurs
Dass in der Rezeption des Films beständig davon geredet wird, dass die jungen Frauen ihre Sexualität selbstbestimmt ausleben würden, ist hoch befremdlich. Denn der gezeigte Sex ist entweder kommerzialisiert, gewaltvoll oder auf Drogen. Und auch, wenn er untereinander stattfindet und alles queer und fluide ist, geht die Kamera in genau die Einstellungen, die man aus Pornos kennt. Der Blickwinkel ist der des kalten Voyeurs. Daran ist nichts selbstbestimmt.
Anstatt die Interviewsequenzen zu nutzen, um zu fragen, wie es den Mädchen damit geht – mit dem Sex mit den sehr alten Männern für Geld, mit der Vergewaltigung – lässt er sie in geskripteten Plattitüden ins Leere laufen. Da erzählt dann Emily, dass sie trotz ihres krassen Lifestyles ja Abi machen würde und das "gar nicht mal so schlecht". Janaina sinnt darüber nach, dass sie keine Ziele hat im Leben, was nicht daran liegen würde, dass sie keine Ziele hätte, sondern einfach noch nicht wisse, was ihre Ziele seien. Das hätte man verdichten können, auch um den Protagonistinnen eine Deutungshoheit über ihre Geschichte zuzugestehen.
Das Zuhause als Seil beim Bungee-Sprung
"Yung" will Jugend zeigen, produziert aber Frauen-Bilder, die so alt sind, wie das Patriarchat selbst. Besonders eine Szene zum Schluss, die die Darstellerinnen innerhalb ihrer Familien zeigt (und die wohl eigentlich verbildlichen soll, wie groß der Abstand zwischen ihrer Welt und der ihrer bürgerlichen Familien ist), entlarvt sich als Rückversicherung. Eine weiche Einbettung in ein mehr oder weniger geordnetes Elternhaus, als Hinweis darauf, dass keine der Protagonistinnen richtig abrutschen wird. Es ist wie der Freifahrtschein dafür, den Film ohne Gewissensbisse toll finden zu dürfen. Weil zum Schluss ja alle wieder nach Hause gehen und alles gut ist. Die Szene ist das Seil beim Bungee-Sprung. Doch damit macht es sich der Film zu einfach.
Gerade der perfide Kniff der vermeintlichen Vermischung von Realität und Fiktion ist den Darstellerinnen gegenüber ungerecht. Denn wenn Gronkowski die Behauptung aufstellt, die Darstellerinnen hätten lediglich sich selbst gespielt, dann entzieht er ihnen die Möglichkeit, für ihre schauspielerische Leistung gelobt oder dafür ernst genommen zu werden. Distanz zur Rolle wird unmöglich.
Es ist ein Blick auf Berlin und auf Frauen, der ermüdend ist, weil er in alten Klischees watet. Die Geschichte der Jugend und auch die Partygeschichte Berlins ist komplizierter. Und so kratzt dieser Film, trotz aller Sehnsucht nach Echtheit, nur ganz zart an der Oberfläche.