In Zusammenarbeit mit indigenen Communities erforschen Guido Yannito und Olaf Holzapfel Begegnungspunkte von Natur und Kultur. Aktuell sind die beiden in der Schwartzschen Villa zu sehen
In seinem Buch “Hat das Schreiben Zukunft?” weist der Philosoph Vilém Flusser auf den gemeinsamen etymologischen Ursprung von Text und Textil hin. Der Text ist qua nomen ein Gewebe. Diese materielle Sprache machen sich die Künstler Olaf Holzapfel und Guido Yannitto zu Nutze, deren Arbeiten aktuell in der Schwartzschen Villa in Berlin-Zehlendorf zu sehen sind. Seit Jahren arbeiten sowohl der deutsche als auch der argentinische Künstler mit indigenen Textilkünstlerinnen und -künstlern zusammen und entwickeln im Dialog mit ihnen Werke, die traditionelles Handwerk und zeitgenössische Formsprachen verknüpfen.
Das Vokabular des Webens, erzählt Yannito, fungiert dabei tatsächlich als gemeinsame Sprache, die die Verständigung erleichtert. Der 1981 geborene Künstler wuchs in einer vom Textilhandwerk geprägten Region Nordargentiniens auf; lange vor seinem Studium an der Universidad Nacional de Córdoba fand er durch den Stoff zur Kunst. Dadurch gebe es trotz aller kultureller und linguistischer Differenzen stets eine Verständigungsebene, die er mit den Weberinnen und Webern aus Argentinien, Peru oder Brasilien teile.
Spannend findet der Künstler dabei vor allem die Handschriften und Dialekte seiner Kollaborateure. Für seine Arbeit "Search Here" lud er beispielsweise eine peruanische Weberin ein, die abstrahierte Topografie einer noch nicht vollständig geladenen Google Maps-Ansicht des Grenzflusses Desaguadero in eine Textilarbeit zu übersetzen. Als er bemerkte, wie stark sich das Resultat von seiner Vorstellung unterschied, entschied er, genau jene handwerkliche Mundart zum Gegenstand der Arbeit zu machen. Er ließ das gleiche Motiv von einer argentinischen Textilkünstlerin nachweben und fertigte zudem selbst einen Wandteppich an. In drei unterschiedlichen Ausführungen treffen so virtuelle und handwerkliche Muster, Glitches und Webfehler aufeinander.
Auf Spurensuche
Seit über zehn Jahren kollaboriert der Künstler Olaf Holzapfel, dessen geometrische Fachwerk-Holzskulpturen bei der Documenta 14 in der Karlsaue zu sehen waren, mit den argentinischen Handwerkerinnen Teresa, Mirta und Luisa. Die drei Frauen gehören dem indigenen Volk der Wichí an und fertigen basierend auf den Mustern, die Holzapfel in Natur und Stadtraum aufsammelt, abstrakte Bilder.
In der Schwartzschen Villa ist neben einer ihrer Heu-Arbeiten aus natürlich gefärbten Strohhalmen auch eine aus Fasern der Chaguar geknüpfte Tapisserie ausgestellt. In der südamerikanischen Landwirtschaft gilt die wild wachsende Pflanze als Unkraut, die Wichí weben aus ihr Kleidung, Matten und Fischernetze. In einem Video ist Teresa beim Anfertigen eines Chaguar-Bilds zu sehen. Ihre Kinder, erzählt sie, interessieren sich nicht wirklich für diese Fertigungstradition, durch die Zusammenarbeit mit dem Künstler will sie dazu beitragen, sie zu bewahren.
Auch der Mensch sucht unentwegt nach Mustern
Die Aufnahmen von Teresa bei der Arbeit werden begleitet von Bildern, die Holzapfel in Buenos Aires und in der argentinischen Natur aufgenommen hat. Wuselnde Ameisenstraßen, regelmäßige Erhebungen im Trottoir, Straßenmarkierungen: Ähnlich wie ein Computer sucht auch der Mensch in seiner Umwelt unentwegt nach Mustern.
Jenes Aufspüren repetitiver Formen im urbanen und natürlichen Raum ist eine weiteres Thema, das Holzapfel und Yannito verbindet. Zu den “Search Here”-Teppichen gesellt sich ein aus einem Autofenster aufgenommenes Video. Neben den parallelen Straßenmarkierungen ziehen sich bakterienhaft gekrümmte Linien über die Fahrbahn. War es die Witterung, die diese kunstvollen Spuren im Asphalt hinterlassen hat? Hat sie jemand dorthin gemalt? Sind es Ölspuren? Yannito lässt diese Fragen unbeantwortet.
Wie Holzapfel geht es auch ihm darum, die strikte Trennung zwischen Natur und Kultur, zwischen traditionellen Handwerk und zeitgenössischer Kunst in Frage zu stellen. Es geht darum, Verbindungen zwischen Polaritäten zu knüpfen, statt Demarkationslinien zu ziehen. Kaum eine Kulturpraxis dürfte dafür besser geeignet sein als das Weben.