Woods Art Institute in Hamburg

Hin und weg

Zeitgenössische Skulpturen unter jahrhundertealten Bäumen: Vor den Toren Hamburgs hat der Sammler Rik Reinking einen Kunstort geschaffen, der Begegnungen ins Zentrum stellt

Ein wenig fühlt man sich beim Besuch des Woods Art (WAI) Institute wie in der Komödie “Nachts im Museum”. Nahezu ungestört ist hier ein Aufeinandertreffen mit prominenten Werken zeitgenössischer Kunst möglich; die Namensliste reicht von Damien Hirst bis Marc Quinn, von Abigail Lane bis Pia Stadtbäumer. 

Grund für die wörtlich zu nehmende Zweisamkeit mit der Kunst ist dabei nicht mangelndes Interesse, sondern ein klares Konzept. Denn während bei einer Eröffnung an einem Tag bis zu 2500 Besucherinnen und Besucher hier zusammenkommen, gilt im Regelbetrieb ein Prinzip der Entschleunigung, des Ankommens und Einlassens auf die Kunst und den Ort. Entsprechend behält Sammler Rik Reinking die Timeslots, die am besten vorab online zu buchen sind, im Auge. Er schließt ein Zeitfenster, wenn er das Gefühl hat, dass es zu viele Buchungen werden. 

Der vom Gründer des WAI propagierten Idee des "Ortes der Besinnung" folgend, wird schon der Weg dorthin zum Ziel. Die Anreise ist Teil des Gesamterlebnisses: Nur 20 S-Bahn-Minuten liegen zwischen dem Hamburger Hauptbahnhof und der Station Reinbek. Spätestens nach den zehn Gehminuten von der Haltestelle bis zum Kunstort scheint die Hektik des urbanen Lebens einer anderen Welt anzugehören. Vorbei am Renaissance-Schloss flaniert man entlang des Mühlenteichs, durchquert ein mondänes Villenviertel und wandelt schließlich bergauf unter ausladenden Baumkronen des Sachsenwaldes. Rechter Hand der Golfclub, dann erstreckt sich bald auf der anderen Seite das weitläufige Areal des Woods Art Institute.

Skulpturen unter Trauerbuchen

Weiß auf dunklem Holzgrund sind die drei Buchstaben WAI der einzige Hinweis auf diesen ungewöhnlichen Ort. Die Sichtachsen der vom Landschaftsarchitekten Rudolph Jürgens (1850-1930) geplanten, weitläufigen Parkanlage lassen den Blick in die Ferne schweifen. Skulpturen sind unter mächtigen Trauerbuchen auszumachen, ein historisches Ensemble von restaurierten reetgedeckten Gebäuden schmiegt sich dicht zusammen. 

Das Glucksen eines Springbrunnens – ein Werk von Daniel Spoerri – weist den Weg zum Hauptgebäude. Am Eingang begrüßen nicht selten Rik und Anna-Julia Reinking selbst die Besucherinnen und Besucher. Das Interesse am Menschen, das sich in diesem direkten Kontakt zeigt, spiegelt sich im Woods Art Institute wider, insbesondere in der thematischen Ausrichtung der aus den Sammlungsbeständen bestückten wechselnden Ausstellungen.

"Bei mir geht es stark um die An- und Abwesenheit von Körpern und Energien. Und wenn die Sammlung etwas zusammenhält, dann sind das Emotionen", erläutert Rik Reinking und ergänzt: "Ich habe nie verstanden, wie diese Welt funktioniert, oder so grundsätzliche Dinge wie Raum, Zeit und Gesellschaft. Das hat mir zwar auch kein Künstler erklärt, aber die Auseinandersetzung mit der Kunst hilft, die richtigen Fragen zu stellen." 

Schnittstelle von high art und und low art

Diese Auseinandersetzung kann im Falle Reinkings zurückhaltend und nachdenklich bis provokativ und unbequem ausfallen. Für Schlagzeilen sorgt bis heute der Ankauf einer Arbeit des belgischen Konzeptkünstlers Wim Delvoye mit dem Titel "Tim". Es handelt sich dabei um ein Tattoo, das sich auf dem Rücken von Tim Steiner befindet, der sich verpflichtet hat, jedes Jahr einen bestimmten Zeitraum bei Ausstellungen "abzusitzen". 

Die Arbeit an der Schnittstelle von high und low art tritt auch in der aktuellen Ausstellung zu Tage. Bis Ende des Jahres zeigt das WAI eine Retrospektive des Graffiti-Künstlers Mirko Reisser alias DAIM, der mit der revolutionären dreidimensionalen Ausführung seines Kürzels in der Street-Art-Szene für Furore sorgte.

Überhaupt hat Rik Reinking einen Blick für grenzüberschreitende Konstellationen. In einem Nebenraum finden sich Teile seiner Artefakte-Sammlung. Masken aus Ozeanien oder Afrika treten hier in Austausch mit einem Schädel von Damien Hirst, der belgische Künstler Jan Fabre und die niederländische Künstlerin Amie Dicke steuern ebenfalls Bilder des menschlichen Selbst bei. 

Spannungsreich ist auch die Präsentation einer Video-Arbeit des griechischstämmigen Filippos Tsitsopoulos in der ehemaligen Turnhalle. Der Künstler setzt sich mit der Tradition von Masken im antiken Theater als Verkörperung von Emotionen auseinander. Nicht nur in der westlich geprägten Hemisphäre dienen die artifiziellen Gesichter als Instrumentarium, um verborgene Gefühlsregungen freizusetzen. Die Präsentation in unmittelbarer Nähe zu Tanzmasken verschiedener Herkunft verweist auch hier auf die kulturkreisüberschreitende Bedeutung von Ideen und gestalterischen Formulierungen. Das Zusammenbringen dieser Objekte stellt für Rik Reinking den Versuch dar, "die ganze Welt zu nutzen, um sich selbst räumlich und zeitlich zu verorten."

Aus dem Dornröschenschlaf geweckt

Sein erstes Bild erwarb Rik Reinking als 16-Jähriger: "Ich bin da sehr früh reingefallen", bemerkt er schulterzuckend, "den ersten Kunstkauf habe ich über ein Jahr abgestottert". Bald stellte er fest, dass nicht der Dialog mit dem Werk, sondern derjenige zwischen verschiedenen Kunstwerken für ihn von Interesse war. Die Sammlung wuchs, ein Lager musste her. In einer ehemaligen Schlosserei im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel fand Reinking eine entsprechende Fläche, etablierte schon damals einen Ausstellungsraum. 

In Kontakt mit dem Publikum standen die Werke allerdings vor allem durch regelmäßige Leihanfragen von Museen. Die institutionelle Verbindung ist der Sammlung Reinking eingeschrieben. Nach kurzer Zeit stellte das neu erworbene Lager den Sammler jedoch vor die nächste Herausforderung: Es war voll. Der Platz hatte zu Kompromisslosigkeit hinsichtlich Format und Gewicht geführt, die Arbeiten wurden bedingungsloser, gleichzeitig schlummerten sie einen Großteil der Zeit in Kisten.

Mit dem Woods Art Institute fand Rik Reinking schließlich den geeigneten Ort, um seine Sammlung aus dem Dornröschenschlaf zu wecken. Beziehungsweise, so formuliert er es selbst, fand der Ort ihn. "Es ist ja nicht nur, dass so etwas auf einen zukommt, sondern auch zu dieser Zeit. Vor zehn Jahren hätte man das einfach noch nicht gekonnt, in zehn Jahren hätte man das garantiert nicht mehr gemacht." 2017 erwarben die Reinkings das verwilderte Areal inklusive der darauf befindlichen desolaten Gebäude. Behutsam setzten sie dann zunächst die Parkanlagen in Stand, sanierten und renovierten die Gebäude, bauten sie teilweise aus und bemühten sich, die historischen Teile des Ensembles mit entsprechendem Interieur auszustatten. 

"Gucken, genießen, runterkommen"

Heute befinden sich im Hauptgebäude, einer ehemaligen Schule, über 2500 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Die pittoresken historischen Tor- und Waschhäuser beherbergen zwölf Ateliers, Werkstätten, Tagungsräume sowie ein Boardinghouse. Im ehemaligen Herrenhaus, einer als Sommerdomizil gebauten Tudorstil-Villa, schmücken handgedruckte Tapeten nach Entwürfen von Josef Frank (1885-1976) die Wände. Die floralen Ornamente greifen die malerische Natur vor dem Fenster auf. 

Diese Verschränkung von Innen und Außen, von Natur und Gestaltung, Architektur und Landschaft zieht sich durch alle Gebäude des WAI. Beim Gang durch die Ausstellungsräume schweift der Blick durch die bodentiefen Fenster immer wieder nach draußen, das Arboretum mit seinen Baumgruppen wird zur Hintergrundfolie der Kunstbetrachtung. 

"Gucken, genießen, runterkommen. Das kann der Ort. Ich werde nicht müde, das immer wieder zu sagen. Warum? Weil er in der Seele etwas zum Klingen bringt." So beschreibt Rik Reinking, nicht ohne Pathos, das Phänomen, dass die meisten der Besucherinnen und Besucher nach dem ersten Besuch immer wieder hierher zurückkehren. 

Kunstproduktion mit Pfau

Vergleiche mit dem Louisiana-Museum in Dänemark, das ebenfalls über einen Skulpturengarten verfügt, liegen nahe. Der entscheidende Unterschied ist jedoch die persönliche Note, die dem WAI eingeschrieben ist. An Wochenenden empfangen die Reinkings mit der Herzlichkeit von Gastgebern die Besucherinnen und Besucher. Unter der Woche wird das Areal zu einem Ruhepol für befreundete Künstlerinnen und Künstler aller Sparten und damit zu einem Zentrum der Produktivität. Terence Koh startete hier unter den Baumkronen mit Yoga in den Tag, Samy Deluxe und das Bo produzierten auf dem Gelände Musikvideos, Studierenden-Klassen der UdK Berlin oder der Muthesius Kunsthochschule in Kiel halten Workshops ab.

"Den Kopf maximal freibekommen", so empfinden es viele, kann man im Woods Arts Institute auf vielfache Weise; sei es als Kunstschaffender, um Raum für neue Ideen zu entwickeln, oder als Besucherin oder Besucher. Man muss dabei nicht einmal besonderes Interesse an Kunst haben. Allein die Botanik der Parkanlage ist einen Besuch wert, unter den Apfelbäumen lässt es sich hervorragend picknicken. Und wenn Pfau Pollux um die Ecke stolziert und ein Rad schlägt, ist der Zauber perfekt.