Zu Pflanzen habe ich keine besondere Beziehung. Zu der einzigen Pflanze in meiner Wohnung habe ich sogar überhaupt keine Beziehung. Als ich vor ein paar Jahren von Heidelberg nach Hamburg gezogen bin, stellte mir meine Mutter in der letzten Minute eine Zimmerpflanze in den Transporter. Sie wollte die Pflanze los werden, das wussten wir beide. In emotionalen Abschiedsmomenten bietet es sich an, nicht undankbar zu sein. Ich setzte mich also neben meinen Vater auf den Beifahrersitz und nahm mir beim Losfahren vor, während meine Mutter und ich einander noch zuwinkten, die Pflanze gar nicht erst hinauf in die neue Wohnung zu tragen. Es kam anders, ein fleißiges Helferlein muss die Pflanze von mir unbemerkt nach oben getragen haben. Da stand sie nun, und ich ließ sie stehen. Es ging ihr in den letzten Jahren leidlich, mittlerweile geht es ihr schlecht, vielleicht sollte ich sie endlich aussetzen, damit sie Hilfe bekommt.
Der Künstler Frederik Busch porträtiert Pflanzen, die ihren Platz in einer ansonsten recht lebensfeindlichen Umgebung haben. In Büros. Als er noch studierte, arbeitete er für einen Werbefotografen, der wiederum arbeitete für mittelständische Unternehmen – und man kann es sich vorstellen –, dort gib es viele Pflanzen, für die sich niemand zuständig fühlt. Der Kunststudent in Ausbildung machte also, was Kunststudenten in Ausbildung machen, hoffentlich. In den Arbeitspausen nahm Frederik Busch die Kamera in die Hand und beschäftigte sich mit eigenen Projekten. Weil ihm die vernachlässigten Pflanzen in den Betrieben leid taten, porträtierte er sie. Er fotografierte beispielsweise Jonas-Elias, der gut in der Betriebskita zurechtkommt, Udo, der bald in die Grundschule kommt, Anna, die schon lesen kann, Sabine, die unheimlich gern tanzen geht, Albert, der seit einem Jahr Krafttraining macht, und Mandy, die politisch aktiv ist. "Betriebs-Pflanzen können nicht kündigen", sagt er, deshalb machen sie, wie Renate, das Beste daraus oder machen es wie Jürgen, der sich in den Betriebsrat wählen lassen möchte. Den Pflanzen, die er porträtiert, gibt er Namen und überlegt sich, was sie wohl selbst über sich erzählen würden. Zu jedem Foto einer Pflanze gehört ein beschreibender Satz.
Holt die Nagelschere raus
Vor ein paar Tagen trafen Frederik Busch und ich uns in Hamburg auf ein Glas Cola. Ich wollte mehr über Pflanzen und sein Buchprojekt "German Business Plants" wissen. Denn ich hatte mir überlegt, dass es nicht verkehrt sein könnte, wenn meine Wohnung etwas grüner werden würde. Das ist gut fürs Klima, habe ich gehört. Und eine vertrocknete Pflanze macht noch keine grüne Wohnung. Ich stellte mir also vor, wie bald in meinem Bücherregal und zwischen den Bücherstapeln auf dem Boden Pflanzen stehen und wachsen würden. Ein bisschen Pflanzen Hipness für meinen Instagram-Account kann nicht schaden, dachte ich, bis mir wieder einfiel, dass ich meine Wohnung gar nicht für Instagram fotografiere. Ich bin eher der Typ triste Alltagsfotografie und wenn es um Pflanzen und Natur geht eher der Typ #dopebush – mit der Nagelschere gestutzte Büsche – und #institutionplant. Wer auch Fotos von gestutzten Büschen zu schätzen weiß, könnte hier folgen:
Als ich zu Beginn des Gesprächs mit Frederik das auf Instagram existente Hashtag #institutionplant erwähnte, war ich auch schon in das erste Fettnäpfchen gestolpert. Frederik kümmert sich ungefähr so sehr um Instagram, wie ich mich um meine Pflanze in der Wohnzimmerecke. Er wurde unruhig, kramte sein Smartphone hervor und wollte wissen, seit wann es dieses Hashtag gibt. Jetzt wurde auch ich unruhig und scrollte hastig durch die über 300 Institutionspflanzen, um ihm ein Datum nennen zu können. Das Hashtag wurde am 7. September 2012 zum ersten Mal auf Instagram verwendet, Frederik porträtierte von 2009 bis 2015 Pflanzen in deutschen Unternehmen. Spielerische Hashtagprojekte auf Instagram machen konzeptuellen Serien eines Fotografen so viel Konkurrenz wie ein abgefallenes Blatt im Herbst im Garten von Lieschen Müller einer Palme im Sommer in Los Angeles. Aber natürlich ist da zuerst der Gedanke, verdammt, es schenken doch noch mehr Menschen mit ihrer Kamera Büropflanzen Aufmerksamkeit.
Mein Eames Chair, mein Perserteppich, meine Monstera
Von Zimmerpflanzen darf man auf Instagram und Pinterest mittlerweile übrigens hart genervt sein. Meine hippe Freundin, die in einer hippen Werbeagentur arbeitet, sagte heute zu mir, als ich ihr zusammenhangslos von meinem sehr neuen Interesse für Pflanzen erzählte, dass jede hippe Person auf Instagram einen Packshot mit einem Monstera-Blatt pimpt. Sie meint Produktfotos, ihre Filterblase besteht aus Modebloggern und solchen, die es werden wollen. Dabei helfen jetzt also Blätter. Den Rest des Tages verbrachte sie damit, mir Beweisfotos zu schicken. Funktioniert auch mit Fotobüchern. Blumentopf daneben, fertig ist das Foto für Instagram.
Seit Ende letzten Jahres gibt es in der Hamburger Neustadt den Concept Store Winkel van Sinkel. Bevor ich den Laden in der Stadt hätte entdecken können, wusste ich von Instagram, dass dort hingeht, wer Pflanzen und ausgefallene Büroklammern kaufen möchte oder ein Foto für Instagram braucht. Been there, seen that. Früher gab es Panini-Sammelalben, heute gibt es Instagram. Meine knallharte journalistische Recherche führte mich also IRL zu Winkel van Sinkel. Unglücklicherweise kam ich auf die Idee, mich an einem Samstag dort umsehen und umhören zu wollen. Ich hielt es dann doch für keine so gute Idee, im überfüllten Laden zu fragen, ob die Kunden dort nur einkaufen würden, um für Instagram richtig eingerichtet zu sein.
Das Ansehen in den sozialen Medien hängt heute auch davon ab, wie die Wohnung ausgestattet ist. Mein Eames Chair, mein Perserteppich, meine Monstera. Möbel und Pflanzen geben Auskunft, ob man weiß, was gerade Mode ist, Bücher und Magazine, ob man auch liest, was gerade in den internationalen Feuilletons und Magazinen rauf- und runterbesprochen wird. Ein Tipp aus einem Inneneinrichtungsratgeber, den ich im Laden in die Hand nahm und an einer beliebigen Seite aufschlug: "Kakteen und Sukkulenten sind wie lebende Skulpturen. Sie schaffen ein optisches Highlight in jedem Raum. Traut euch, sie an einen Platz zu stellen, an dem sie richtig wirken können." Im Buch ging es um den Urban Jungle, wobei der Urban Jungle so viel Dschungel ist, wie die Hipster-Wohnung individuell.
Runterkommen beim Pflanzengießen
Vor zwei Jahren waren Kakteen die neuen It-Pflanzen, das war noch irgendwie praktisch, weil Kakteen sehr genügsam sind. "Der Kaktus ist ein Einzelgänger, er wächst in Ruhe vor sich hin. Er braucht nichts und will nichts", schrieb Johannes Dudziak im "Zeit Magazin". Eine Antwort auf die Frage, woher die neue Liebe zum Kaktus, der doch eigentlich die Pflanze des hoffnungslosen Spießers ist, fand er auch: "Leise vor sich hin wachsend, ist der Kaktus Ruhepol für Menschen in hektischen Berufen. Denn eines lässt sich mit Sicherheit sagen: Wir brauchen den Kaktus vielleicht – aber der Kaktus braucht uns bestimmt nicht." Und jetzt also brauchen Hipster Pflanzen, die sie tatsächlich brauchen, wie die Monstera deliciosa, die wahnsinnig anspruchsvoll ist. Ich bitte das Internet um Antwort: Woher kommt die neue Liebe zu den Pflanzen? Und bekomme als Antwort einen Text über zehn Zimmerpflanzen, die herrlich anspruchslos sind. Warum nur? Will man nicht mit all den Pflanzen in der Wohnung zeigen, dass man Verantwortung tragen kann, dass man ein anderes Lebewesen ernähren und versorgen kann, dass man nicht nur den ganzen Tag hinter einem Bildschirm hängt, dass man eins ist mit Mutter Erde? Runterkommen beim Pflanzengießen. Ich bin gerade aufgestanden, habe Gertrud gegossen, ihre welken Blätter entfernt und sie vor die Balkontüre ins Licht geschoben. Gertrud geht es bald wieder gut. Wir sind noch nicht so weit, dass wir miteinander sprechen, sonst hätte ich ihr das jetzt gesagt. Das Hashtag #crazyplantlady ist, glaube ich, für Fortgeschrittene. Bei Winkel van Sinkel habe ich erfahren, das es eine okaye Maßnahme ist, mit Pflanzen zu sprechen, und dass die Monstera deliciosa bei ihnen zumindest fast immer vergriffen ist. Ich solle klein anfangen, gab man mir als Rat mit auf den Weg, und meine Pflanze zu Hause erst einmal aufpäppeln.
"Betriebs-Pflanzen können nicht kündigen"
Frederik lächelte milde, als ich ihm erzählte, dass mich dieser Text auch zu Winkel van Sinkel führen werden würde. "1995 trug ich, als ich in Berlin wohnte, gerne Hornbrille und Parka. In meiner Wohnung standen Schallplatten und eine Monstera. Was geht denn, fragten meine Freunde", sagt Frederik, während wir in seinem Atelier eine Kiste Fotos durchschauen.
Er zeigt mir Fotos aus seiner Jugend, Partyfotos, Schnappschüsse von Freunden und die ersten Fotos, die er als kleiner Junge gemacht hat. Unscharfe Fotos von Bäumen, Büschen und Pflanzen. "Die Pflanzen haben zu mir gesprochen", sagt er – und muss selbst lachen. Frederiks Mutter hat Pharmazie und Botanik studiert, zu Hause war bei ihm alles voller Pflanzen, sie brachte ihm die Namen der Pflanzen bei, er wuchs am Stadtrand auf und war in der Natur, wenn er die Haustür öffnete. Ob er Zimmerpflanzen überhaupt mag, frage ich ihn. "Draußen sind Wölfe, drinnen sind Chihuahuas", sagt er. Meine Gertrud ist also ein Chihuahua, damit kann ich etwas anfangen, ich mag Hunde. Gertrud und ich sind uns wieder einen Schritt näher gekommen. "Woher kommt die neue Liebe zu den Pflanzen?", frage ich jetzt Frederik. Er überlegt kurz. "Pflanzen sind etwas für sensible Nerds. Nerds sind hip. Sensibel ist hip. Eine Monstera im Zimmer sagt also: Ich bin ein sensibler Nerd."
Zurück zu den Büropflanzen, denn Frederiks Anliegen ist, die Menschen für Büropflanzen zu sensibilisieren. Seine Fotos erinnern an die sachlich dokumentierenden Serien von Bernd und Hilla Becher, seine German Business Plants könnten eine Typologie der Büropflanze sein. Er beschönigt nicht, für ein Foto verrückt er die Pflanze maximal 50 Zentimeter. Seine Porträts der Pflanzen sind eine Anklage der Unachtsamkeit, sie sind Zeugen der Tristesse des Büroalltags. Der Endgegner der Pflanzen ist der Mensch. "Betriebs-Pflanzen können nicht kündigen. Sie müssen funktionieren und gut aussehen. Wenn es ihnen schlecht geht, werden sie in der Regel nicht besser versorgt, sondern getötet und entsorgt", notierte er vor zwei Jahren. Pflanzen sind keine Dinge, sondern Lebewesen. Frederik versucht das mit Humor und Gefühl zu erklären, deshalb soll auf der rechten Seite im Buch immer das Foto einer Pflanze stehen und auf der linken Seite ihr Name und die Charakterisierung. Zum Beispiel:
"Siegfried schämt sich."
"Sven versucht das noch mal."
"Dagmar mag kein Fernsehen."
"Helga mag Techno."
Vielleicht kommt mit dem Buch von Frederik nächstes Jahr auch die Zeit der Büropflanzen, ein Hashtag auf Instagram haben sie schon.