Mit der DDR endete auch ein Kapitel deutscher Kunstgeschichte. Kunst, die in der DDR entstand, lässt sich kaum vom politischen System trennen, entstand oft im Auftrag der Partei oder als Ausdruck von Protest im Untergrund. Doch eine derart vereinfachte Kategorisierung von Werken aus der Zeit scheitert an deren Komplexität – auch staatsdienende Künstler wie Werner Tübke interpretierten Aufträge eigenwillig, übten subtil Kritik. Ausstellungen zum Thema führen immer wieder zu Debatten darüber, wie mit Kunst aus 40 Jahren Sozialismus umzugehen ist – auch aufgrund der Emotionalität, die sie bei Besuchern wie Museumsleuten auslöst.
Herr Bauer-Friedrich, Ihre Sammlung umfasst mehr als 220 000 Werke – wie viele davon sind in der DDR entstanden beziehungsweise in die Sammlung gekommen?
Rein quantitativ reden wir durchaus über einen großen Bestand, wobei aus Museumssicht nicht alle Werke künstlerisch-kuratorische Ansprüche erfüllen. Zu DDR-Zeiten hat ja nicht nur das Museum darüber entschieden, was angekauft wird, sondern auch die Politik, sprich Kulturverbände oder offiziellen Einrichtungen, wie der Rat des Bezirkes, haben Werke gekauft und dem Museum übereignet. Ich spreche daher bewusst von Kunst in der DDR und nicht von DDR-Kunst, das muss man differenzieren. DDR-Kunst suggeriert, es habe nur die eine offizielle Staatskunst gegeben. Dem ist natürlich nicht so. Wie in jedem totalitären Regime gab es neben der offiziellen Kunst viele andere künstlerische Positionen, die es oft sehr schwer hatten, öffentlich wahrgenommen zu werden.
Welche künstlerisch-kuratorischen Ansprüche gelten heute für Kunst aus der DDR?
Bevor wir ein Werk, entstanden in der Zeit zwischen 1945 und 1989, ausstellen, prüfen wir natürlich seine künstlerische Qualität, das heißt seine malerische Ausführung, seine gestalterische Komponente und seinen inhaltlichen Anspruch und Bestand heute. Schon Mitte der 90er haben meine Vorgänger die eigenen Bestände zur Kunst in der DDR einer Revision unterzogen, sie katalogisiert und 1999 in einer Sonderausstellung circa 170 Gemälde und 80 Plastiken unter dem Titel „Bestandsaufnahme“ präsentiert.
Inwieweit wäre es aber auch der kunsthistorische Bildungsauftrag des Museums, die Werke aus der Sammlung zu zeigen, die diese Ansprüche nicht erfüllen, aber ja dennoch ein Kapitel deutscher Kunstgeschichte darstellen?
Wir sind ein Kunstmuseum und kein kulturhistorisches Museum, das heißt, für uns zählt in erster Linie der künstlerische Wert des Objektes und nicht sein Charakter als Zeitdokument.
Gab es zu DDR-Zeiten eine Art "Hängequote", sprich musste eine gewisse Anzahl von in der DDR entstandener Kunst in der Dauerausstellung präsent sein?
Eine schriftlich fixierte Quote gab es nicht, aber natürlich haben Behörden und die Partei eingegriffen, und bestimmte Werke wurden mitunter auch wieder abgehängt.
Folgte in den Jahren 1989 und 1990 eine große Umhängeaktion nach dem Motto: Die Kunst aus der DDR muss in die Depots?
Diese Phase habe ich im Museum selbst nicht miterlebt, aber viele meiner heutigen Kollegen waren damals schon am Haus. Sie haben sich nach der Wende westdeutsche Museen angeschaut, auch mit der Frage, wie man auf 40 Jahre Kunst in der DDR einen objektiven Blick gewinnen kann. Nach 1989 wurden erst einmal viele Ausstellungen realisiert, die zu DDR-Zeiten nicht möglich waren, etwa zur klassischen Moderne. Schon seit 1992 gab es auch nahezu jährlich Sonderausstellungen zu Künstlern aus der DDR, etwa zu Evelyn Richter, Hartmut Bonk oder Uwe Pfeifer. Eine dauerhafte neue Präsentation der Kunst aus der DDR wurde erst mit der Eröffnung des Erweiterungsbaus 2008 möglich – bis dahin gab es aus Platznot schlicht keine richtige Dauerausstellung.
Was bedeutet das auf kuratorischer Ebene? Gibt es ein Extrakapitel "Kunst in der DDR", oder ist diese in die chronologische Hängung integriert?
Letzteres. Ziel ist es zu verdeutlichen, wie sich die unterschiedlichen Positionen in West und Ost entwickelt haben. Und ein differenziertes Bild zu vermitteln: Besucher wollen meist den sogenannten sozialistischen Realismus sehen, sprich Willi Sitte, Wolfgang Mattheuer oder Werner Tübke, die wir auch ausstellen, aber eben gemeinsam mit Werken, die die Besucher oft nicht unter sogenannter DDR-Kunst verbuchen. Zuletzt haben wir Wasja Götze ausgestellt, der einer der wenigen Rezipienten der amerikanischen und englischen Pop-Art in der DDR ist und in Halle spätestens seit seiner Unterschrift gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann Persona non grata war. Eine Ausstellung im Jahr 1979 wurde in Halle vorzeitig geschlossen. 2017 zeigten wir Positionen der ungegenständlichen Kunst im 20. Jahrhundert unter anderem mit Werken von Künstlern aus der ehemaligen DDR, wie Karl-Heinz Adler, Ludwig Ehrler und Imi Knoebel.