Christoph Bangert hat digitalen Selbstmord begangen. Das schon vor ein paar Jahren, lange bevor Digital Detox hip und in aller Munde wie vegane Ernährung war. Christoph Bangert ist Fotojournalist, er dokumentierte beispielsweise den Krieg im Irak für die "New York Times". Auf seiner Website findet sich dieser Hinweis: "Christoph Bangert arbeitet ausschliesslich für redaktionelle Kunden. Er fotografiert keine Handtaschen oder Uhren." Im Krieg fotografiert er oft das, was nicht einmal Redaktionen sehen wollen. Verletzte Menschen, stark blutende Menschen, Menschen mit abgetrennten Gliedmaßen, Menschen ohne Kopf. Diese Bilder, die keine Redaktion drucken wollte, zeigt er in seinem Fotobuch "War Porn" (Kehrer Verlag, 2014).
Als das Buch in Druck war, überlegte er, wie er die Pressearbeit zu diesem kontroversen Thema machen soll. Ihm war wichtig, differenziert darüber sprechen zu können. "Das geht aber auf Facebook und Twitter nicht. Dort ist alles kurz und schnell. Also dachte ich mir, dann eben ohne: Lösch alles! Das war die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe", sagt er heute. Bangert war zuvor ganz normal auf Facebook und Twitter unterwegs, bis er es nicht mehr war, weil er seine Profile löschte.
Das amerikanische Magazin "Vulture" stellte aktuell die Frage, ob man sich von Instagram verabschieden und trotzdem erfolgreich als Künstler sein könne. Christoph Bangert weiß, dass ihm durch seinen digitalen Selbstmord Nachteile entstanden sind. Die sozialen Medien fallen nämlich für ihn als Distributionsplattformen weg. Eigenwerbung, das geht jetzt nur noch durch einen Newsletter und öffentliche Auftritte beispielsweise bei Konferenzen und Fotofestivals – und natürlich im persönlichen Gespräch. Er steht hinter seiner Entscheidung: "Ich gehe nicht zur Party! Ich mache da nicht mit! Diese Entscheidungen verlangen eine gewisse Sturheit, einen Eigenwillen, der in der heutigen Zeit oft zu kurz kommt. Panik, Angst, nicht mehr dazuzugehören, Dinge zu verpassen – das habe ich empfunden."
Kunst kommt von Können, heißt es. Eine Studie hat jetzt herausgefunden, dass Können hilft, wenn man als Künstler erfolgreich sein will. Viel entscheidender aber ist das richtige Netzwerk. Der Kunstmarktexperte Magnus Resch hat gemeinsam mit Wissenschaftlern die Karriere von einer halben Million Künstler untersucht, die Ergebnisse der Studie sind im Magazin "Science" erschienen. Im Gespräch mit Monopol hat er die Ergebnisse auf den Punkt gebracht: Der Kunstmarkt ist undemokratisch. Die Aufstiegschancen sind gleich null, wenn man nicht im richtigen Netzwerk ist. Der Künstler muss Unternehmer sein und am Aufbau seiner Marke arbeiten. Erfolgreiche Künstler sind im richtigen Netzwerk.
Jetzt also die Frage an Magnus Resch via Instagram-Direktnachricht: Was hat sich durch die sozialen Medien verändert? Und wie wichtig ist Instagram? Resch antwortet sofort: "Ich habe dazu keine Studie gemacht. Instagram ist völlig überbewertet." Er ist sich sicher, das weiß er aus Gesprächen mit Galeristen, dass maximal im absoluten Low-End-Segment von Neukunden gekauft wird, dabei handelt es sich meist um Editionen im Wert von unter 1.000 US-Dollar. "Instagram ist nichts weiter als ein klassischer Werbeträger, wie eine Anzeige in einer Zeitung, nur ein bisschen zielgerichteter." Erfolg als Künstler zu haben, das bedeutet für ihn: Verkäufe auf dem Kunstmarkt. Zahlen seien das einzig Greifbare, sagt er, der Ökonom, von Kunst nämlich habe er keine Ahnung, da sei er transparent.
Was aber ist mit der jungen Generation von Künstlern, die durch soziale Medien wie Tumblr und Instagram groß geworden sind und die den Kunstmarkt vielleicht gar nicht anvisieren, weil Markenkooperationen zumindest kurzfristig gesehen eine verlässlichere Einnahmequelle sind? Die kanadischen Fotografin Petra Collins beispielsweise arbeitet mit Gucci, die amerikanischen Künstlerin Signe Pierce mit Adidas und die schwedischen Künstlerin Arvida Byström mit Urbanears.
Das Telefon klingelt, Magnus Resch ruft aus New York an. Instagram sei kein Verkaufsbooster, sagt er noch einmal, aber es helfe natürlich dabei, eine Marke aufzubauen. Früher sei es ein Artikel im "Artforum" gewesen, dem wichtigsten Kunstmagazin der USA, der zu Power und Relevanz verholfen habe, heute seien es Follower auf Instagram.
Jetzt könnte man natürlich einwerfen, dass sich Follower schnell kaufen lassen, wie leicht das geht, hat der niederländische Konzeptkünstler Constant Dullaart schon im Jahr 2014 mit seiner Intervention "High Retention, Slow Delivery" gezeigt. Für 5.000 Dollar hatte er 2,5 Millionen Follower gekauft und auf Protagonisten in der Kunstwelt verteilt, so dass ausgewählte Galerien, Künstler, Magazine und Kritiker alle auf 100.000 Follower kamen. Alle sollten gleich wichtig sein und die Aufmerksamkeitsökonomie der sozialen Medien sollte ad absurdum geführt werden.
2015 war in der "New York Times" ein Artikel unter dem Titel "Instagram Takes on Growing Role in the Art Market" erschienen. Gearbeitet wurde mit der Gleichung: "Je größer das Publikum, desto wertvoller der künstlerische Beitrag." Das ärgerte besonders Constant Dullaart, denn der wurde für eben diesen Text interviewt, sprach über seine Intervention, erklärte sein Vorgehen, schickte Screenshots, nur fand all das keine Erwähnung. Dullaart schrieb später selbst darüber.
Der Exkurs entfällt im Gespräch, weil Resch schon weiter ist. Er erklärt, dass es zwei Typen von Künstlern gibt. Typ 1 spielt auf dem Kunstmarkt mit, Typ 2 findet außerhalb des Kunstbetriebs statt. Ein Beispiel für Typ 2 ist das Phänomen Leon Löwentraut. "Der Picasso aus dem Frühstücksfernsehen" titelte der "Spiegel" diese Woche im Wirtschaftsteil. Er sei der ideale Star für eine Zeit, in der es reiche, berühmt zu sein, der Erfolg sei das Ergebnis einer ehrgeizigen Inszenierung, so der "Spiegel" weiter. Auf Instagram hat Löwentraut 51.500 Follower und es wird nicht so ganz klar, ob er Model oder Maler ist. Sicher derweil ist, dass seine Selbstinszenierung ihn zum Maler macht und nicht seine Kunst.
Und natürlich möchte er im Kunstbetrieb mitspielen, vor seinem 30. Geburtstag will er im MoMA ausstellen. Wo auch sonst? Alexander Kühn glaubt nicht daran, er schreibt: "Löwentraut hat einen Weg eingeschlagen, mit dem er vermutlich nie ins MoMA kommt, dafür aber schnell zu Geld." Löwentraut jedenfalls hat es geschafft, eine Marke aufzubauen, nur setzt er mit den Boulevardmedien wie "Bild" im Rücken vermutlich auf das falsche Netzwerk.
Magnus Resch glaubt zu wissen, wie ein Künstler in Zeiten sozialer Medien erfolgreich wird. "Der Künstler der Zukunft wird immer eigenständiger sein und unabhängig vom Kunstmarkt eine Marke aufbauen, die Followerzahlen müssen stabil hoch sein und der Spagat in den Kunstbetrieb muss gemeistert werden." Ohne ein soziales Netzwerk wie Instagram also geht es nicht. Morgen ist das vielleicht schon wieder eine andere Plattform.
Den Künstler der Zukunft, wie ihn Resch beschreibt, gibt es jetzt schon. Petra Collins, Signe Pierce und Arvida Byström, sie alle schaffen den Spagat. Byström hat gerade eine Ausstellung unter dem Titel "Inflated Fiction" im Fotomuseum Fotografiska in Stockholm, Signe Pierce wird international in Museen und Galerien ausgestellt, Petra Collins hat 2017 eine Veranstaltung im MoMA kuratiert. Am Beispiel von Leon Löwentraut zeigt sich, dass Marke und Follower allein nicht reichen, Kunst braucht es auch.
Die Qualität der Kunst auf Instagram aber, die wird gern bemängelt: Einheitsbrei, alles nur kopiert, Künstler wollen dem Algorithmus gefallen. Das sind die gängigen Kritikpunkte. Amalia Ulman, die wegen ihrer überaus erfolgreichen Instagram-Performance "Excellences & Perfections" als Poster Girl der neuen Generation Künstler herhalten muss, vergleicht das soziale Fotonetzwerk mit Pornografie. Kennst du einen, kennst du alle. Und außerdem geht es sowieso nur um das eine: um Likes.
Christoph Bangert fällt ein ähnlich hartes Urteil: "Wenn man in den sozialen Medien erfolgreich sein will, stolpert man schnell in eine Paul-Ripke-Falle und produziert populistischen Trash." Und selbst wenn man es schafft, das zu vermeiden, bleibt immer noch die Sorge, die Kunst werde zwar irgendwie gesehen, aber irgendwie auch nicht. Der deutsche Fotograf Peter Bialobrzeski, der Großstädte auf der ganzen Welt fotografiert, macht ein eventueller Gewöhnungseffekt Sorge: "Die Intensität nutzt sich sehr leicht ab, wenn man zwar einen Wiedererkennungswert hat, aber dann erst ins Detail einsteigt."
Wenn man all das beiseiteschiebt, bleibt immer noch das, was die sozialen Medien ausmacht: Präsenz und Selbstdarstellung. Beides kostet Zeit. Das Fazit von "Vulture" lautet: "Social media has exacerbated the push towards and refined the means of self-presentation into an art itself, such that being an artist can often seem to consist of making an artist-self on social media, rather than in making art." Es gehe also mehr um die Kunst der Selbstdarstellung als um die Darstellung der Kunst in den sozialen Medien. Die Kunst ist nicht mehr ein fertiges Werk, das erst ab Ausstellungsbeginn in einer Galerie oder einem Museum zu sehen ist. Die Kunst, das ist jetzt auch Storytelling, die tägliche Performance in den sozialen Medien, die eigene Mini-Soap im Livestream, die eigene Haltung, wenn ein Hashtag danach verlangt. Und trotzdem spricht niemand mehr über Inhalte, sondern über Content. Menschen, die Inhalte für die sozialen Medien produzieren, werden Content Creator genannt.
Der Autor Rob Hornig hat schon vor einiger Zeit auf die "Angst vor Content" hingewiesen und elf Thesen zum Verhältnis von Inhalt und Selbst aufgestellt. These vier lautet: "Wenn wir unser eigenes Material online posten, sind wir immer in Gefahr, uns selbst in Inhalt zu verwandeln: Entweder in die bedeutungslose Form von Internetcontent. Inhalt ihres Inhalts willen, unser Selbst als reine Form repräsentierend, durch die Beschaffenheit und Konventionen von sozial-medialen Plattformen artikulierend (...) oder es ist die Art von überdeterminiertem Inhalt (...), zu bemüht, um interpretiert zu werden, um bedeutsam zu sein (...) Das Selbst ist eine Contentfarm."
Und on top dient dieser Content dazu, dass Unternehmen wie Facebook Geld verdienen, sehr viel Geld. Bei Facebook sind die Zahlen längst rückläufig, Skandal folgt auf Skandal, Daten, Hacker, Trump und ein Zuckerberg, der wenig Vertrauen weckt, weil er in Krisensituationen keine gute Figur macht und schlechte Erklärungen abgibt. Der Trend trifft jetzt auch die kleine Schwester Instagram, sie rutscht auf der Beliebtheitsskala nach unten. Die Gründer Kevin Systrom und Mike Krieger haben im September das Unternehmen verlassen, sie waren offenbar mit einigen Entscheidungen von Mark Zuckerberg nicht einverstanden.
Gründe, die gegen eine Nutzung sozialer Medien sprechen, sind schnell gefunden. Dafür muss man sich nicht von der Harvard-Ökonomin Shoshana Zuboff auf 600 Seiten erklären lassen, was im, wie sie es nennt, Zeitalter des Überwachungskapitalismus schiefläuft und auf dem Spiel steht. Sie macht das rasend interessant. Man muss nur ab und an einen Blick in die Zeitung werfen, um zu wissen, dass soziale Medien der psychischen Gesundheit schaden und beispielsweise Depressionen, wenn nicht auslösen, so doch zumindest verstärken. Die Nutzung kann zu einer Sucht werden, denn das Belohnungssystem des Gehirns springt an, wenn Likes eintrudeln. "Je stärker nun das Gehirn auf diese Form der Anerkennung reagiert, desto intensiver und zeitlich ausgedehnter nehmen die Menschen an den sozialen Medien teil, immer angetrieben vom Interesse an sozialer Anerkennung", schreibt der Soziologe Steffen Mau in seinem Buch "Das metrische Wir. Über die Quantifizierung des Sozialen".
Instagram ist also ein Zeitfresser, es schadet der Gesundheit und um Inhalte geht es sowieso nicht. Christoph Bangert scheint mit seinem digitalen Selbstmord die einzig richtige Entscheidung getroffen zu haben. Und der Kunstmarktexperte Magnus Resch sagt zwar, Instagram werde völlig überschätzt, gleichzeitig führt er aber hohe Followerzahlen als ein Kriterium für den erfolgreichen Künstler der Zukunft an. Was also tun?
Bangert, der sich die digitale Abwesenheit leistet, weil er es kann, rät dazu, Instagram und Facebook zu nutzen: "Natürlich kommt man nicht wirklich um diese Kanäle herum. Allerdings muss man diszipliniert und streng sein mit sich selbst. Man darf nicht denken, dass etwas gut ist, nur weil Leute viele Likes hinterlassen."
Das vollständige Interview mit Christoph Bangert ist zuerst auf der Website von Freelens erschienen.